Kommentar Fachkräftemangel: Begrüßungsworte auf Kroatisch
Deutschland wird endlich als das vermeintliche Hochlohnland entmystifiziert - und die hiesige Angst vor dem Jobklau durch Migranten verringert sich. Zeit wurde es.
D er Jobmarkt in Deutschland erscheint überraschend stabil, vielerorts wird über einen Fachkräftemangel geklagt - und damit könnte sich das Verhältnis der hiesigen BürgerInnen zu Arbeitskräften aus dem Ausland verändern. Auf angenehme Weise.
Die Wende ist schon länger in Seniorenheimen zu erleben, in denen heute nolens volens ein internationaler Ton herrscht. Dort bringen Pflegerinnen den Patientinnen kroatische oder tschechische Begrüßungsworte bei. Und die Angehörigen sind dankbar, dass die Arbeitsmigrantinnen ihre gebrechlichen Eltern zu den niedrigen Löhnen und schlechten Bedingungen waschen und pflegen.
Erledigt hat sich auch die Angst vieler BürgerInnen vor den Jobsuchenden aus mittel- und osteuropäischen EU-Ländern, die seit dem 1. Mai jede Stelle hierzulande annehmen können. Es kamen überraschend wenige. Denn viele gut ausgebildete Ingenieure und Krankenschwestern waren längst auf die britische Insel oder nach Skandinavien abgewandert.
BARBARA DRIBBUSCH ist Redakteurin für Arbeit und Soziales im Inlandsressort der taz.
Niedrig qualifizierte InteressentInnen wiederum sprechen meist nicht ausreichend Deutsch und verlieren schnell die Illusionen über den angeblich gut zahlenden deutschen Arbeitsmarkt, wenn sie etwa in der Gastronomie mit Nettolöhnen von 800 Euro netto konfrontiert werden und davon noch Pendelei oder Umzug bezahlen sollen.
Wirtschaftsexperten hoffen nun auf die Zuwanderung qualifizierter Kräfte aus den westlichen EU-Ländern, die von der Finanzkrise betroffen sind. Die Goethe-Institute in Spanien, Portugal und Irland melden Andrang in den Deutschkursen. Die Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen soll hierzulande erleichtert werden. Es stellt sich also Ernüchterung auf beiden Seiten ein: Deutschland wird in den Augen ausländischer Arbeitssuchender als das vermeintliche Hochlohnland entmystifiziert - und die hiesige Angst vor dem Jobklau durch Migranten verringert sich. Zeit wurde es.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“