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Kommentar EuropawahlKrise macht konservativ

Ulrich Schulte
Kommentar von Ulrich Schulte

Ausgerechnet die Parteien profitieren, die für neoliberale Ideen stehen - obwohl die Krise den Neoliberalismus als Ideologie scheinbar erledigt hat.

M itten in der Krise vertrauen die Menschen ausgerechnet den Parteien, die für neoliberale Ideen stehen - obwohl die Krise den Neoliberalismus als Ideologie scheinbar erledigt hat. Dies ist das auffälligste Ergebnis der Europawahl in Deutschland. Wäre es am Sonntag um die Neubesetzung des Bundestags gegangen, hätte Schwarz-Gelb knapp an einer absoluten Mehrheit gekratzt. Merkel, Westerwelle und Co dürfen sich gestärkt fühlen, während der SPD die Aufholjagd gründlich misslungen ist - sie liegt weit abgeschlagen hinter den Konservativen.

anja weber

Ulrich Schulte leitet das Inlandsressort der taz.

Auch die Union musste Verluste hinnehmen, dennoch erscheint sie den Menschen offenbar als die geeignetere Krisenmanagerin. Kein Wunder, unter Merkel ist die CDU mittlerweile in fast alle Richtungen anschlussfähig. Während die Kanzlerin, ohne mit der Wimper zu zucken, eine Staatsbürgschaft für Opel mitträgt, funktioniert Wirtschaftsminister Theodor zu Guttenberg als ordnungspolitisches Feigenblatt, der den marktliberalen Flügel bedient. Und wem dieses weichgespülte Marktprogramm nicht mehr reicht, wählt eben FDP. Die Liberalen haben auch durch solche Überläufer ihr Ergebnis beinahe verdoppelt.

Und so banal es ist: Wenn Unternehmen und Banken wanken, wählen viele Menschen wieder diejenigen, bei denen sie Wirtschaftskompetenz vermuten. Die Krise macht konservativ. Auch wenn sie gerade durch Rezepte der Marktapologeten ausgelöst wurde - ebenjene profitieren nach wie vor von jahrzehntelanger Diskurshoheit. Es ist eine absurde Volte, dass sich dies bei der Europawahl so deutlich zeigt. Denn in der EU lassen sich Banken regulieren, soziale Standards wie Mindestlöhne festlegen oder die Wirtschaft ökologisieren.

Für die SPD ist das Ergebnis nicht weniger als eine Katastrophe. Sie hat es nicht geschafft, ihre WählerInnen zu mobilisieren, obwohl sie sich als Verfechterin des starken Staates geriert. Wobei sich ja allem auch Positives abgewinnen lässt: Nach dieser Klatsche ist jedem Genossen klar, dass es jetzt ums Ganze geht. Und mancher politikverdrossene, aber SPD-nahe Bürger wird vielleicht doch zur Bundestagswahl gehen - obwohl er es eigentlich nicht vorhatte.

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Ulrich Schulte
Leiter Parlamentsbüro
Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.
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25 Kommentare

 / 
  • V
    vic

    @ dietah

    meine MitbürgerInnen machen mich ziemlich ratlos. Wie ist es nur zu erklären, dass immer wieder dieselben Versager auf den Thron gehoben werden, dass Leute wie Merkel, Guttenberg, etc..auch noch die Polit Charts anführen?

    Die nächste Kanzlerin it schon klar. Nur, ich fürchte es wird noch weitaus schlimmer kommen. Ich sag ´nur Westerwelle!!

     

    Brilliante Aussichten für Atom und Kohle- Industrie, alle Großkonzerne und deren Lobbyisten. Bestverdiener, alle Vermögenden, und Steuerhinterzieher ab Millionenbeträgen.

  • KI
    karl ilnyzckyj

    Paris, den 10.6.2009

    Die Listen der regierungstragenden UMP haben am 7. Juni insgesamt 4,7 Millionen Stimmen erhalten. Das sind 5,7 Mio Stimmen weniger als bei der Prâsidentschaftswahl 2007. Ist das ein Grund zum Feiern?

    Sieht man sich die Ergebnisse der EU-Wahlen insgesamt an, dann sieht man, dass alle Parlamentsgruppen verloren haben, ausser den Grünen und den "sonstigen".

  • F
    Fiasco

    Ganz wichtig nach der Wahl wird ein ordentlicher Personalwechsel um aus dieser Lethargie herauszukommen.

    Zu Gutenberg ist der einzige, der im Moment soetwas wie Dynamik transportiert. Und ich bin sicher kein Anhänger der Union

  • N
    Nordlicht

    Es ist die Angst, die konservativ macht.

    Eine ganze Serie von Studien belegt: der Konservative ist ein recht ängstliches Wesen, das Konflikte, Kontrollverlust, Ungewissheit und Veränderung scheut. Dafür zeigt er eine starke Bereitschaft Ungleichheit in der Gesellschaft zu akzeptieren und Autoritäten zu idealisieren.

     

    Dabei sind die psychologischen Einflußfaktoren: ein niedriges Selbstwertgefühl, Angst, Wut und Aggression, Pessimismus, Ekel und Verachtung, Vermeidung von Verlusten, Angst vor dem Tod, eine gefühlte Bedrohung durch sozialen und ökonomischen Mangel, und eine geistige Rigidität und Engstirnigkeit. Zudem gehört er zu den häufigsten Nutzern von Internet-Porno-Seiten.

     

    Wer mehr erfahren möchte, einfach mal googeln nach: John Jost, Arie Kruglanski, Jack Glaser und Frank Sulloway, Benjamin Edelman (Berkeley, Stanford, Harvard Business School)

     

    Von Souveränität und Realismus, Selbstbestimmtheit und Entscheidungsfreiheit des Konservativen ist in diesen Studien nichts zu finden. Diese Begriffe dienen dem Neocon nur als Mauer hinter der er sein ziemlich verhuschtes aber aufgeblasenes Wesen verbergen kann.

  • M
    Mistal

    @ Jens Schröder

     

    Blinder Aktionismus nützt auch niemanden etwas. Zunächst benötigt man erstmal eine Idee davon, was man tun möchte und warum!

     

    Und was heißt "Überwindung des Blockdenkens" - die größte Fehleinschätzung der neunziger Jahre war doch anzunehmen, dass es keine unterschiedlichen Weltsichten und Interessenslagen mehr gäbe (siehe Francis Fukuyama - "Das Ende der Geschichte")

     

    Um reale Problme zu lösen, bedarf es mehr als Aktionismus und "Ruck-Reden"

  • S
    Spin

    Schaut man sich die Minderheit jenseits der Wahlverweigernden an:

    Kann es da sein, dass vor allem Konservative und Liberale zur Wahl gegangen sind (die an nichts anderes als den Markt - und gelegentlich ein bisschen an Gott oder sonstige "Werte" - glauben?) - während linke WählerInnen sich von der Parlamentslinken einfach nur mehr wenig versprechen? Dass die SPD ihre sozialdemokratische Stammwählerschaft mit Schröders Neoliberalismus -evtl. nachhaltig - verprellt hat? Dass die Linkspartei an der Schallmauer von 6-10% anlangt, die aus veröffentlichter Meinung, aber auch internen Widersprüchen (regieren/Krise verwalten vs. opponieren) besteht?

    Einzig der "Green New Deal" hat (vorerst) noch Credits, weil die Grünen ihr Kernthema Öko nur aus dem Regierungs-Neoliberalismus der Fischer-Ära rausschälen müssen, um wieder (weiterhin?) anzukommen.

    Eine wirkungsvolle Strategie kann wohl nur langfristig anvisiert werden; dazu sind Milieu-übergreifende Bündnisse und soziale Bewegungen für eine soziale und ökologische Politik (auch über Gewerkschaften, Umwelt- und Sozialverbände und die progressiven Kirchenreste hinaus) nötig. Sowie Parteien, die auch ernsthaft mit diesen kooperieren. Sonst steht mit Verschärfung der Krise und einer "Weiter so!"-Politik ein weiteres Erstarken der Rechten (da sitzt noch einiges bei vielen Nicht-WählerInnen) bevor.

  • JS
    Jens Schröder

    Das einzig Traurige an der ganzen Sache ist - und das machen auch diese Kommentare wieder mal deutlich, dass in Deutschland ewig lang philosophiert, sinniert, diskutiert, analysiert und reflektiert wird - aber nichts angepackt wird.

    Da hat die Piratenpartei in Schweden allen deutschen Laberköpfen etliches voraus - die machen was!

    Die eigentliche Krise der deutschen Politik und Gesellschaft ist das Nichtstun im Umbruch, die geistige Stagnation. Und das hat nichts mit konservativ, links oder sonstwas zu tun. In der Überwindung des Blockdenkens und im gemeinsamen Anpacken von Problemen läge die Chance - aber dazu ist Deutschland wohl nicht in der Lage - schade...

  • P
    Peter

    @markus müller-meier (heißen Sie wirklich so?):

    "Die SED mordet einen Studenten" Hä? Es war immer noch ein Angehöriger des Westberliner Staatsschutzes, der während der Hatz auf demonstrierende Studenten (im Jargon "Füchse jagen" genannt) einen tödlichen Schuß abfeuerte, und nicht "die SED". Das MfS hat das weder angeordnet noch gewollt.

    Blöd und Co. haben offensichtlich ganze Arbeit geleistet, daß die Behauptung MMM's auch hier herumgeistert.

    Tja, und daß die Kräfte, die am meistens für den derzeitigen Kapitalismus und seine Krise stehen, bei der Europawahl die meisten Stimmen bekommen, ist schon eine bittere Ironie. Na gut, viele haben ja in verständlichem Frust gar nicht erst gewählt. Und die Linke ist geschwächt, z.T. selbstverschuldet, z.T. von einem medialen Trommelfeuer ohnesgleichen in die Knie gezwungen.

  • A
    anke

    Es scheint, als wäre Ulrich Schulte der CDU/CSU-Propaganda auf den Leim gegangen. Krisen machen nicht konservativ(er). Wer das annimmt, der hat seine Wünsche wohl mit der Realität verwechselt.

     

    Die Union hat von 100 Wählern, die sie noch 2004 hatte, immerhin 15 verloren. Die Linke hingegen hat, bezogen auf 100 Wähler im Jahr 2004, 23 neue gewonnen. Und dass die SPD nur drei von hundert Wählern eingebüßt hat, ist vielleicht nicht das Schlimmste, was ihr passieren konnte angesichts dessen, was sie gerade als Ausweg aus der laut bejammerten Misere anbietet. Die stärkste Partei jedenfalls ist nach wie vor die der Nichtwähler. Das Wahlprogramm dieser Partei aber verspricht lediglich, die Situation nicht noch schlimmer zu machen, als sie sowieso schon ist.

     

    So weit ich sehen konnte, hat im Krisenjahr 2009 keine einzige der Parteien Wahlwerbung betrieben mit der Behauptung, sie hätte auch nur den blassen Schimmer einer Idee, wie die anstehenden Probleme auf europäischer Ebene zu lösen seien. Im Gegenteil: Alle haben angesichts der Lage die Augen fest zugekniffen und auf albernen Plaketen irgend ein hirnloses Bla erzählt. Ein Wunder, dass angesichts der propagierten Krise überhaupt irgend jemand gewählt worden ist. Offenbar wird von den EU-Parlamentariern gar nicht erwartet, dass sie den Untergang des Abendlandes aufhalten. Man kann das durchaus positiv sehen, finde ich.

  • C
    Christoph

    Frei nach Brecht möchte man all den enttäuschten linken Kommentatoren nachrufen:

    "...empfehlen wir der Linken, sich ein anderes Volk zu wählen."

    Vielleicht wollen die Wähler deshalb eine Regierung, die weiter auf den Markt setzt, weil sie bisher ganz gut mit dem selben gefahren sind. Deshalb wollen sie ihn auch nur verbessert reguliert und nicht abgeschafft wissen.

    Wir Linken neigen gerne dazu, irgend eine Revolution zu wollen - solange nur unser Café Latte dabei nicht verschüttet geht. Deshalb werden wir auch instinktiv nicht ernst genommen und nur alle Jubeljahre an die Macht gewählt.

  • Y
    Yadgar

    So so, die Krise macht also konservativ... und wenn es aufwärts geht, wird auch konservativ gewählt, "Keine Experimente!" (50er Jahre), "Weiter so, Deutschland" (1987)... da fragt man sich eigentlich, wieso es überhaupt noch links Denkende in Deutschland gibt, wieso sich dieses Land nicht längst in eine weihrauchparfümierte Eichenkommode mit eingebautem Glockenspiel (und hinten angeflanschtem Hungerlager für Hartz-IV-Empfänger) verwandelt hat...

  • D
    dietah

    Er hats (wieder) getan der Deutsche Michel.

     

    Nun ja, gewählt ist gewählt, es ist des Volkes Wille. Schöne Aussichten für die Bundestagswahl.

     

    Die Brandstifter bleiben im Amt und Würden.

     

    Wer erinnert sich nicht gern an die bleiernen Jahre unter Kohl? Freuen wir uns also auf:

     

    Hintergründig: Parteispendenaffäre; Flick Affäre; Lieferung von ethisch einwandfreien Giftgasanlagen an sattelfeste Demokratien, Euro Fighter; Abbau von Bürger-/ Arbeitnehmrechten; Sozialstaatsabbau; Erhöhung von indirekten Steuern (schön für Arme) etc.

    Vordergründig: Ein spießig popanziger, christlicher Anstrich mit lustigen "Sicherheits"gesetzen und einem Staat mit ausuferndem Interesse am Privatleben seiner Bürger. "Wir sind die Anständigen!"

     

    Hmm... Welche Fluchtstaaten sind denn gerade en vogue zur Zeit?

  • H
    hto

    Mein lieber Schulte, das ist doch weder Wunder noch Phänomen, wo gerade ihr Medienmacher nur auf dem Zeitgeist von Konsumautismus und "Demokratie" durch Kreuzchen auf dem Blankoscheck (leichtfertige Übertragung von zu entwickelndem Verantwortungsbewußtsein) surft / den Fachidioten die Plattformen für den systemrational-konfusionierenden Kommunikationsmüll bereitet, und aus erlerntem Grund wie journalistische "Neutralität" (Suppenkaspermentalität auf Sündenbocksuche) niemals eine vorbildlich-nachahmenswerte Alternative oder Vision anbietet, bzw. dazu nicht fähig seid - "Warten auf Godot"!?

     

    "Krise" KONSERVIERT die Dummheit!!!

  • MM
    Markus Müller-Meier

    Wem soll der Wähler denn ihrer Meinung nach in dieser Krise vertrauen? Bürger fürchten um ihre Arbeitsplätze und wem gibt denn der Vernünftige seine Stimme?

     

    Der SPD? Damit ihre Anstellungen bis nach der Bundestagswahl gerettet werden und dann einfach vergessen werden? Wie bei Philip Holzmann und den Idealen der eigenen Partei? Warum ist die SPD denn keine Volkspartei mehr, weil sie für die meisten Bürger unwählbar geworden ist! Die Sozialschwachen durch Harz 4, den Mittelstand durch „Demokratischen Sozialismus“ (Vergessen ist das Godesberger Programm) und die wohlhabenderen durch immer neue Forderungen verprellt. Wer hat ausserdem Hedgefonds in Deutschland zugelassen? Nicht die FDP, nicht die Schweizer, sondern... Richtig!

     

    Die Linkspartei? Die Nachfolgepartei der Linke.PDS, welche Nachfolgepartei der PDS ist, welche Nachfolgepartei der PDS-SED ist, welche Nachfolgepartei der SED ist... Ganz schön kompliziert, will da denn jemand die Mauerntote, Unrechtsstaat, ach jetzt noch Benno Ohnesorgs Mord vertuschen. Das war ja die SED, die durch ihren Geheim"mord"dienst den 68ern die Legitimation zum Aufbegehren gegen die Bundesrepublik gab. Hmm...

     

    Die Grünen? Ich könnte jetzt von der Grünen Revolution sprechen, aber warum? Was uns die Grünen an Wirtschaftskompetenz zu bieten haben, an Ideen, an Kreativität... Lassen wir das Thema lieber. Aber wenn eine Frau Roth früher die „Mao Faust“ und „Mao Bibel“ in die Luft streckte, dann muss man sich wohl fragen, ob dort nicht die mehreren 10 Millionen Opfer verhöhnt werden? Ob es vertretbar ist, dass diese ganzen ala Fischer, Roth, Ströbele und co von der Stasi durch einen einzigen Mord zu derartigen begeistert werden konnten. Es erinnert immer sehr an den Rattenfänger von Hameln. Die SED mordet einen Studenten und sie alle rennen hinterher, so wie es sich anscheinend schickt und treten dem eigenen Vaterland entschlossen entgegen – auf der Seite eines totalitären, menschenverachtenden, unmoralischen und verbrecherischen Staat! Danke euch 68ern, ihr habt gute Arbeit für die „Sozialistische Einheitspartei Deutschland“ vollrichtet“

     

    Wundert ihr euch denn wirklich warum CDU und FDP Mehrheiten gewinnen und nicht SPD, Linke oder Grüne?

  • EB
    Elmer Brandt

    Gemessen an der Wahlbeteiligung würde ich das Ergebnis nicht überbewerten. Die über 60 Jährigen sind nunmal konservativer eingestellt.

     

    Ich denke und hoffe bei den Bundestagswahlen wird es ein deutliches Zeichen geben richtung links!

  • M
    michaelbolz

    Es handelt sich prinzipiell um das voraus zu ahnende Wellenverhalten der deutschen Wähler: Der Konservativismus ist nichts anderes, als die Besinnung auf die eigenen Ziel- und Hoffnungslosigkeit, die direkt mit der politischen Gestaltung der Gesellschaftstrukturen bedingt ist.

    Was wäre denn die Alternative?

    Es ist aber positiv betrachtet gar nicht so blöd, die Verantwortlichen für die Gesamtsituation nicht abzustrafen - auch wenn das stattgefunden hat - sondern genau die an ihre Verantwortung zu erinnern.

    Die Frage bleibt natürlich, ob sich die Verantworlichen ihrer Verantwortung bewusst sind.

  • HK
    Holger Kühnle

    Das dem Wählerverhalten zugrundeliegende Problem ist offensichtlich, daß naturgemäß unbemerkt (hirnverlust kann nur unbemerkt vonstattengehen) vor der Wirtschaftskrise eine intellektuelle ihren Lauf genommen hat. Die Menschen stellen keine Bzüge mehr her, im Sinne von Ursachen-Auswirkungen-Relationen. Sie beklagen ihre Situation tun aber nichts dagegen, weil sie nicht bemerken, was das bewirken könnte und sie wählen weiterhin die Verursacher, weil ihnen das Festhalten am Gehabten emotional ein heimeliges Gefühl gibt. Kurz: Alles, was ihnen nach dem Hirnverlust noch übrigblieb, sind Teile des Stammhirns. Auf seiner Basis funktionieren sie noch.

    In China findet übrigens etwas ganz ähnliches statt. Immerhin politisch gewollt. Bei unseren Politikern bin ich mir nicht so sicher, ob wenigstens die noch intellektuell Herr ihres Handelns sind.

  • RS
    Ralf Schönfeld

    Lieber Herr Schulte,

     

    was meinen Sie den für ein Volte in Ihrem Kommentar? Ich finde die Verwendung solcher Fremdworte irgendwie "gestelzt".

     

    Auszug aud wkipedia:

     

    Der Ausdruck Volte (frz., zu ital. volta Drehung) bezeichnet:

     

    eine Übung aus dem Dressurreiten, siehe Volte (Reiten)

    einen Kunstgriff aus der Zauberkunst, siehe Volte (Zauberkunst)

    ein Ausweichschritt im Fechtsport, siehe Volte (Fechten)

    eine Platzrunde in der Luftfahrt, siehe Platzrunde

  • RG
    R. Glück

    Ich wollte ja zur Wahl gehen, und die Grünen wählen, aber deren Zuspitzung auf den WUMS, das ist wohl der Dicke im Grünenvorstand, erschien mir zu dünn. Die von der FDP war mir zu blond, der Steinmeier zu trocken. Wollte der nicht Bundeskanzler werden, und wer ist dieser Schulz? Und die CDU entsorgt ohnehin nur ihre Opas in Europa. Daran sollte sich die Linke mal ein Beispiel nehmen!

  • S
    Simon

    Vielleicht treibt ja auch einfach die kollektive Angst vor Sanktionen die FDP-Stammwählerschafft verstärkt an die Urnen... ;)

  • V
    vic

    Die BRD wird ausgeraubt.

    Ökonomisch wie Ökologisch.

    Und wen wählen die BürgerInnen dieses Landes?

    Sie wählen die Räuber selbst, und die Anwälte der Räuberbanden.

     

    Nein, mit diesem Volk will ich keine Volksabstimmungen haben.

  • M
    Mistral

    Herr Schulte hat den Sachverhalt ganz richtig formuliert: Bei den bürgerlichen Parteien vermuten die Wähler, aufgrund der jahrelangen Diskurshoheit und Selbstinszenierung, die Wirtschaftskompetenz. Allerdings sieht die Realität ganz anders aus.

     

    Gerade bei den bürgerlichen Parteien hat man eine ideologische Aversion gegenüber den jetzt notwendigen keynesianischen Instrumenten und ist eher einer (fatalen) Wirtschaftsorthodoxie und Brüningschen Deflationspolitik zugeneigt.

     

    Zumal auch in ökonomischen Fachkreisen der wirtschaftliche Beraterstab Merkels heftig in die Kritik geraten ist. Derart äußerte sich nicht nur der Nobelpreisträgers Paul Krugman, sondern auch bei US-Notenbankchef Ben Bernanke stießen Merkels jüngste wirtschaftspolitische Äußerungen auf Unverständnis. Vor allem die Orthodoxie und Inflationshysterie ihres Beraters Jens Weidmann (ehemals Bundesbank), fielen überaus unangenehm auf.

     

    Zitat aus: "Ökonomen zweifeln an Merkels Expertise" (FTD)

     

    "Das Bundeskanzleramt verhält sich in der aktuellen Weltwirtschaftkrise extrem defensiv und passiv. Von einer aktiven Gestaltung, wie sie jetzt angemessen wäre, ist nichts zu sehen. Das Team um Angela Merkel ist einer orthodoxen Tradition eines sehr defensiven Politikstils verhaftet"

     

    Quelle:

    http://www.ftd.de/politik/deutschland/:Eine-Frage-der-Kompetenz-%D6konomen-zweifeln-an-Merkels-Expertise/522960.html

  • TD
    Tyler Durden

    Wie hoch war die Wahlbeteiligung? Es haben also genau wieviele der Wahlberechtigten z.B. die FDP gewählt?

    Jemand der wirklich an politischer Aufklärung gelegen wäre, also dem was die taz damals bei ihrer Gründung noch als Ziel hatte, der hätte anderes geschrieben.

     

    Der hätte klipp und klar gesagt, dass heutzutage nur noch wirklich diejenigen, die von einer Politik wie der gegenwärtigen profitieren, am Wählen und insgesamt der Demokratie interessiert sind. Die Anderen wissen mittlerweile, dass dieser Staat sich einen Dreck um ihre Interessen kümmert. Dass er in den Händen der Finanzwirtschaft und des Lobbyistentums ist. Und dass Wählen reine Zeitverschwendung ist.

     

    Aber ein so tolles staatstragendes Blatt wie die taz, schreibt natürlich was anderes.

  • M
    Momo

    Einen ganz wesentlichen Aspekt haben Sie völlig aus Ihrem Kommentar ausgeklammert: Den Einfluß der Medien auf das Wahlverhalten.

    Der weit überwiegende Teil der deutschen Medien (das gilt nicht nur für die großen privaten Medienkonzerne) möchte auf Biegen und Brechen bei der Bundestagswahl im September ein schwarz-gelbes Bündnis durchsetzen.

    Zu den Europawahlen schreiben die NachDenkSeiten:

    http://www.nachdenkseiten.de/?p=3991

    "Nach meinem Eindruck werden vor allem SPD und Die Linke bei den heutigen Wahlen unter ihren Möglichkeiten bleiben. Das hat bei der SPD viel damit zu tun, dass sie sich inhaltlich bis auf wenige Ausnahmen dem neoliberalen Glaubensbekenntnis angepasst hat. Hinzu kommt der wahltaktische Fehler, dass sie sich trotz dieses faktischen eigenen Rechtsruckes einen Linksruck anhängen lässt. Dass die Linkspartei vermutlich unter ihren Möglichkeiten bleibt, hat ganz wesentlich mit einer bemerkenswert mangelhaften Wahlkampfführung zu tun. Seit langem ist erkennbar, dass die Strategie der anderen Parteien wie auch der Wirtschaftsverbände darauf zielt, die Linkspartei zu stigmatisieren und im konservativen bis liberalen Wählerbereich einen Antikommunismuswahlkampf wie in den fünfziger Jahren zu führen. Diese Kampagnen strahlen ab auf die potentiellen Wähler der Linkspartei. Sie werden verunsichert und fallen über weite Strecken als Multiplikatoren aus. ...

    Das ist keine graue Theorie. Ich habe eine solche Gegenstrategie als Verantwortlicher für den Wahlkampf der SPD im Jahr 1972 und auch später als Berater für Wahlkämpfe auf Bundes- und Landesebene mit anderen zusammen und mit Erfolg praktiziert.

     

    Die Wahlkampfführung der Linkspartei hat diesen Bedarf offenbar nicht begriffen. In den Pressemitteilungen der Parteiführung und Geschäftsführung der Linkspartei aus den letzten vier Wochen kommt kein einziges Mal auch nur der Versuch vor, die Medienbarriere und die Kampagnen der Gegenseite zu einem Thema zu machen. Offenbar sind sich die Verantwortlichen zu schade dafür. Auch deshalb wird die Linkspartei unter ihren Möglichkeiten bleiben."

  • N
    Nadi

    Die These finde ich ein wenig zu unklar bzw. zu grob. Tatsache ist auch, dass die Linke sehr gespalten ist. Grüne und SPD wollen auf keinen Fall ein gemeinsames Programm mit den Linken, damit ist klar, dass es auf absehrbare Zeit wohl keine Regierung geben wird, sondern die SPD wird indirekt eine bürgerliche Regierung im Herbst zur Macht verhelfen.

    Würde die SPD sich den Diskussionen stellen, dann wäre diese These nämlich gar nicht richtig. Solange fest steht, dass es gar keine Alternativen geben darf / kann, wird auch kein Mensch darauf setzen. Das wäre ja auch in den blauen Dunst - natürlich klammert sich dann eine große Menge von Wählern an bekannte und mögliche Konstellationen.

    Die wirkliche Neuordnung der deutschen Politik findet wohl erst zum Ende des Jahres statt und wird wohl sich über 2010 erstrecken. Dann wird die Krise wohl auch andere Reaktionen bei den Bürgern auslösen.