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Kommentar EuropakriseDeutschland spielt den Oberlehrer

Ulrich Schulte
Kommentar von Ulrich Schulte

Es ist fatal, dass Schwarz-Gelb mit seiner nationalistischen Rhetorik die Angst vor Europa schürt, statt den Wert der Staatengemeinschaft zu betonen.

U nbeirrt hält die deutsche Regierung in der Europakrise an ihrer platten Schuld-und-Sühne-Rhetorik fest. Fraktionschef Brüderle stellt das Ja seiner FDP zum Rettungsschirm infrage, und Finanzminister Schäuble betont, es gebe für Schuldenstaaten "keine Rettung um jeden Preis". Sie alle argumentieren: Nur wer mit einem brutalen Sparkurs für angebliche Maßlosigkeiten büßt, bekommt Hilfe. Wenn es in der Europapolitik von Schwarz-Gelb einen roten Faden gibt, dann diesen.

Der oft gehörte Vorwurf, die deutsche Regierung vermittle ihre Europapolitik zu wenig, stimmt daher nur bedingt. Die Botschaft, die schwarz-gelbe Spitzenpolitiker seit Beginn der Krise in immer neuen Varianten vortragen, richtet allerdings immense Schäden an. Nicht nur in den Nachbarstaaten, in denen Deutschland aufgrund seiner Wirtschaftsmacht und seiner Geschichte traditionell sehr genau beobacht wird, sorgt sie für Befremden: Wenn der Koloss in der Mitte wie ein Schulmeister auftritt, zerstört dies das aufgebaute Vertrauen.

Die schwarz-gelbe Strategie, die vor allem auf den Stammtisch zielt, richtet auch innenpolitischen Schaden an. Wie sollen die Wählerinnen und Wähler verstehen, warum die Regierung erst auf die Schuldnerstaaten eindrischt, ihnen dann letztlich aber doch immer wieder aushilft? Ein Oberlehrer, der sich ständig selbst korrigiert, wirkt unglaubwürdig.

Bild: Anja Weber
ULRICH SCHULTE

ist Leiter des Parlamentsbüros der taz.

Nicht besser wird die Lage durch den beeindruckenden Dilettantismus, den sich Schwarz-Gelb leistet. Wenn Koalitionspolitiker gegen Aufkäufe italienischer Anleihen durch die Europäische Zentralbank wettern, ist das billiger Populismus. Denn alle EU-Staatschefs - auch die Kanzlerin - setzen mit dem Rettungsschirm ja genau darauf.

Es ist fatal, dass Schwarz-Gelb mit seiner nationalistischen Rhetorik die Angst vor Europa schürt, statt den Wert der Staatengemeinschaft zu betonen. Dabei wäre es gerade jetzt dringend geboten, eine positive Erzählung von Europa zu entwickeln. Wie wäre es, wenn die Kabinettsmitglieder zur Abwechslung mal mit Interviews aufwarten würden, in denen sie dieses einzigartige Experiment loben: dafür, dass junge Deutsche heute in Barcelona oder Breslau studieren und der europäische Staatenbund ökonomisch mit China und den USA auf Augenhöhe steht? Und sie sollten auch mal daran erinnern, welches Land davon am stärksten profitiert hat: Deutschland.

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Ulrich Schulte
Leiter Parlamentsbüro
Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.
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12 Kommentare

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  • H
    HamburgerX

    @alcibiades:

     

    Ich bezog mich darauf, dass Deutschland angeblich am meisten von der EU profitiert. Das bezweifel ich wie gesagt, denn andere Länder dürften mehr profitieren, vor allem durch die Transferzahlungen, die mit einer Finanzkrise überhaupt nichts zu tun haben, sondern ständig da sind.

     

    Vom Euro *könnte* Deutschland am meisten profitieren, aber doch nicht so.

     

    Die Alternative zu Eurobonds ist nicht das ständige Pumpen, sondern strengere Regeln in Verbindung mit Hilfen durch Kredite und EZB. Falls das nicht durchsetzbar ist, ein Nord-Euro oder zur Not die deutsche Mark.

     

    Im Übrigen wird eine gesunde Volkswirtschaft mit einem vernünftigen Haushalt und ohne Lug+Betrug+Korruption immer immun gegen Spekulanten sein. Diese mögen eine Krise beschleunigen können, aber letztlich haben sie damit nur ein paar Jahre vorweggenommen.

     

    Außerdem belohnen Spekulanten auch eine vernünftige Finanzpolitik, weil sie nämlich in solchen Ländern bevorzugt ihr Geld anlegen.

  • A
    alcibiades

    Herrschaftszeiten, redet einer der ganzen "Ich zahl doch nicht von meieieieinem Steuergeld für die anderen"-Krakeeler mal davon, wieviel Geld die Frau Merkel durch ihre Zauderei und ihre Angst vor diesen unreflektierten unbelehrbaren Stammtischbrüdern schon an Geld verbrannt hat? Während die einen ihr heiliges römisches Reich deutscher Nation verteidigen, machen die anderen einen Riesenreibach damit, Volkswirtschaften in die Pleite zu treiben. Die Alternative zum Eurobond? Jedes verd**** Jahr ein zigfaches in den EU-"Rettungsschirm" zu pumpen, nächstes Jahr ist es dann Frankreich und werweissnoch, und dann kann der HamburgerX sich irgendwann nicht mehr über die Maut in Spanien aufregen, weil er dann nämlich kein Auto mehr hat, um damit in den Urlaub zu fahren.

     

    Eins noch: "Politik Lobbyismus" musste noch erfunden werden. Was hab ich gelacht. Da beisst sich was selber in den Schwanz...

  • S
    Schattenfels

    Gäbe es keine EWU, könnte Deutschland auch nicht als Oberlehrer auftreten. Aber was hat Deutschland nicht profitiert... Vielleicht könnten Sie diese Aussage mal mit ein paar Zahlen belegen, z.B. mit dem schon fast unheimlich gestiegenen Reallohn der Unter- und Mittelschicht. Oder dem dramatisch sinkenden Anteil des BIPs, der zur Tilgung von Schulden an alle möglichen Banken überwiesen wird. Ein Hoch auf das Wirtschaftsressort der taz, man muss Europa einfach nur anders erzählen - genial!

  • HK
    Hans-Peter Krebs

    Wie wir aus der Kritik der politischen Ökonomie wissen, gibt es den bloßen Markt nicht. Daher ist die Frage nach dem oberlehrerhaften Nationalismus von Schwarz-Geld nur über den Hinweis auf die Frage der Juristen zu kläaren: cui bono - Wem nützt es. Oder mit Lenin: wer wen. Die Machtposition Deutschlands unter Merkel verknappt mögliche Kredite, um deren Preis sprich Zinsen möglichst hoch zu halten. Ackermann wirds danken.

  • H
    HamburgerX

    Also ich höre jeden Tag im Radio, dass Deutschland angeblich am meisten profitiert. Das bezweifel ich immer mehr. Ich denke vielmehr, dass wir zwar profitieren (Ausgang der Euro-Krise mal außenvorgelassen), aber fast alle Staaten mehr profitieren als Deutschland.

     

    Was habe ich als Deutscher z.B. von Milliarden für neue Straßen und Autobahnen in Spanien, bin ich etwa von der Mautzahlungspflicht befreit?

    Nein, im Gegenteil, ich muss ordentlich blechen und die Spanier hier können wie andere Ausländer die Autobahnen kostenfrei nutzen.

     

    Was habe ich von umfangreichen Öko- und Sozialprojekten in der Tschechei?

     

    Was habe ich davon, dass die EU der Türkei und anderen Staaten mit hunderten Millionen Euro hilft?

     

    Leute, schaut auf die Schweiz - andere Währung, kein EU-Mitglied, Volksabstimmungen seit Jahrzehnten. Ist dort der Export zusammengebrochen, der Handel eingeschränkt und das Wachstum gefährdert? Lebt es sich schlecht in der Schweiz, haben die Schweizer Probleme im Ausland, sind Arbeitsplätze rar? Nein, die wissen langsam nicht mehr, wohin mit ihrem Geld und ihren Arbeitsplätzen.

     

    Der einzige Vorteil der Krise ist, dass Deutschland und andere "relativ vernünftige" Staaten Tugenden wie Sparsamkeit, Haushaltsdisziplin und strikte Korruptionsbekämpfung auf ihre Nachbarn übertragen können, wovon langfristig natürlich deren Wohlstand und damit auch Deutschlands Exportwirtschaft profitiert. Aber ob das wirklich gelingt, ist völlig offen. Was definitv schon jetzt feststeht, ist, dass Deutschland sich mit Abermilliarden Euro weiteren Schulden verpflichtet hat.

  • S
    Stimmtso

    Treffender Artikel, vielen Dank. Und die Teuro-Basher nerven allmählich mit ihrer Litanei!

  • TF
    Thomas Fluhr

    ? Die europäischen Staaten waren schon vor der EU auf Augenhöhe. Die Beschäftigten kommen jetzt auch langsam, am Boden liegend, auf Augenhöhe zusammen. Das Konstrukt EU dient nur einer bestimmten Bevölkerungsschicht, wie die Statistiken zeigen, sogar ausgesprochen gut. Sollte mal was schief gehen, greift man einfach in den Staatssäckel, dank EU ist es sogar egal in welchem Land man zulangt. Ein tolles Experiment.

  • E
    exodus82

    Es ist immer wieder unfassbar welch wirtschaftspolitisches Unvermögen in den Kommentaren der TAZ an den Tag gelegt wird.

    Ich habe in Barcelona studiert zu einer Zeit als es den Euro noch nicht gab.

    Die Annahme Europa zerbricht wenn nicht massiv umverteilt wird ist ein Witz.

    Ich habe Berlusconi nicht gewählt und würde das auch nie tun, dennoch soll ich als Steuerzahler für die Fehler der ital. Regierung bezahlen? Unsinn. Fehler müssen in den Ländern selbst korrigiert werden. Anders geht es nun einmal nicht, egal was Hobby-Wirtschaftstheoretiker in der TAZ zum Besten geben.

  • B
    BerlinaWoman

    "Und sie sollten auch mal daran erinnern, welches Land davon am stärksten profitiert hat: Deutschland." Das ist nicht die Wahrheit. Das allein disqualifiziert diesen Artikel. Ach ja, ginge es nach der SPD (was sagen die Grünen?), bestünde bereits die offziellle Transferunion. So ist sie noch etwas verbrämt. Alle Politiker von Parteien, die im September -nachträglich- bereits beschlossene Beschlüsse -ganz demokratisch, gelle- abnicken dürfen, verstoßen gegen ihren Eid. "Schaden vom Deutschen Volke abzuwenden". Das müßte ausreichen, das Widerstandsrecht in Kraft treten zu lassen.

  • SB
    Siegfried Bosch

    Und schon wieder so eine Märchenstunde. Neben dem von Karl-August genannten möchte ich noch hinzufügen, wie unsinnig es ist, mit den USA und China "auf Augenhöhe" sein zu wollen. Die Schweiz ist (was das BIP) betrifft überhaupt nicht auf Augenhöhe -- und darauf kommt es überhaupt nicht an. Sondern auf das BIP/Kopf, kaufkraftbereinigt natürlich. Und dort ist die EU zwischen den USA und China (wobei ich den US-Zahlen nicht wirklich traue).

    Und was sollen die Kabinettsmitglieder übrigens machen, wenn sie gar kein "positive Erzählung" von "Europa" (das ist übrigens das bewusst falsche Wort, den es gibt zwar viele EU-Gegner, aber diese wissen, dass sie in Europa sind und wollen das auch bleiben, d.h. EU ungleich Europa (was man auch an der Schweiz, Norwegen, gewissen Balkanstaaten, Weißrussland und der Ukraine sieht)) haben? Sollen sie dann eine erfinden, d.h. lügen?

  • R
    Rudolph

    Nachgewiesener Blödsinn. Deutschland hat nicht vom Euro profitiert. Das ist Volksverdummung.

    Lasst euch nicht für dumm verkaufen.

    Wir müssen uns wehren.

    Raus aus dem Euro.

    Gegen die Versklavung des Volkes.

    Gegen diesen Wahnsinn.

    Gegen diesen Politik Lobbyismus

     

    MfG - Rudolph Rene - ¡Echte Demokratie Jetzt!

  • K
    Karl-August

    Stammtisch, Populismus, nationalistische Rhetorik die Angst vor Europa schürt; und natürlich das beliebte Märchen vom Deutschland, das wie kein anderes Land vom Euro und von Europa profitiert: hier wird einem wieder alles geboten, was man von einem Oberlehrer-Kommentar in der taz erwartet.

     

    Wie wäre es, wenn die taz zur Abwechslung mal mit Kommentaren aufwarten würden, in denen sie dieses "einzigartige Experiment" (!!!) als das bezeichnet was es ist: ein undurchdachtes und übereilt durchgeführtes Projekt, dessen Konstruktionsfehler uns jetzt teuer zu stehen kommen.