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Kommentar EurokriseWir Krisengewinnler

Felix Lee
Kommentar von Felix Lee

Allem Gejammer über Eurorettung und möglichen Schuldenübernahmen zum Trotz: Deutschland ist Profiteur der Krise.

G riechen und Italiener ächzen unter gewaltigen Zinsen. Wegen der radikalen Sparmaßnahmen wagen die verunsicherten Menschen dort kaum mehr zu investieren. Hierzulande jedoch blüht die Wirtschaft. Im Vergleich zum dritten Quartal des Vorjahres hat das Bruttoinlandsprodukt um kräftige 2,6 Prozent zugelegt. Überraschend - zumal 40 Prozent der Ausfuhren nach wie vor ins europäische Ausland gehen. Allem Gejammer über Eurorettung und möglichen Schuldenübernahmen zum Trotz: Deutschland ist Profiteur der Krise.

Zu anderen Zeiten hätte jede Notenbank bei einer so robusten Konjunkturentwicklung den Leitzins längst nach oben geschraubt. Doch angesichts der Krisen im Rest von Europa hält sich die Europäische Zentralbank EZB derzeit zurück. Jüngst hat sie den Leitzins gar gesenkt. Deutschen Unternehmern und Häuslebauern kommt das zugute: Firmen können bei bereits blendend laufenden Geschäften günstig neue Kredite aufnehmen und noch mehr investieren. Und wer bauen will kommt derzeit so günstig wie selten zuvor an Geld für die eigenen vier Wände.

Zudem bleibt die Wirtschaftslage unsicher - auch in reichen Industrieländern wie Japan und den USA. Derzeit sind weltweit Anleger auf der Suche nach sicheren Häfen für ihr Geld. Als solcher gilt die Bundesrepublik. Kapital aus aller Welt - nicht zuletzt aus Südeuropa - strömt hierher. Auch das trägt zum Wachstum bei.

Bild: privat
FELIX LEE

ist Redakteur in der taz-Redaktion Wirtschaft & Ökologie.

Doch die Freude darüber wird nicht ewig währen. Längst spürt auch die hiesige exportabhängige Industrie Südeuropas Schuldenkrise. Schon deshalb sollte die Bundesrepublik ihre Blockade der Hilfe für die angeschlagenen EU-Partner beenden und der EZB endlich das Okay zu uneingeschränkten Maßnahmen geben. 2011 war ein gutes Jahr für Deutschlands Wirtschaft. 2012 droht ein Desaster.

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Felix Lee
Wirtschaft & Umwelt
war von 2012 bis 2019 China-Korrespondent der taz in Peking. Nun ist er in der taz-Zentrale für Weltwirtschaft zuständig. 2011 ist sein erstes Buch erschienen: „Der Gewinner der Krise – was der Westen von China lernen kann“, 2014 sein zweites: "Macht und Moderne. Chinas großer Reformer Deng Xiao-ping. Eine Biographie" - beide erschienen im Rotbuch Verlag.
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5 Kommentare

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  • H
    Hasso

    Das Wachstum wurde erreicht auf den Knochen der arbeitenden Bevölkerung, der sozial Schwachen und der Rentner. Der Dank sind Sanktionen an die Opfer dieses Wachstums. Ein Wirtschaftswachstum, das auf Verzicht des "kleinen Mannes" erreicht wurde-, was soll das für ein verlogenes Wachstum sein? Und Wachstum für wen?Wenn hier was gewachsen ist, dann doch nur die, die vorher schon groß genug waren. Wenn ich diese Selbstbeweihräucherung dieser Regime-Clique da höre, fehlen mit die richtigen Worte. Und das Volk lässt sich weiterhin verarschen von diesem Streuer- Gelaber.

  • PA
    Peter A. Weber

    Deutschland als Gewinnler

     

    Bevor man Aussagen darüber trifft, ob Deutschland Krisengewinnler ist, sollte man einmal definieren, wer und was Deutschland ist und wer "wir" sind. Dann wird man schnell zu der Erkenntnis gelangen, daß ausschließlich die Exportwirtschaft und die Konzerne von der Eurokrise und den Exportüberschüssen profitiert haben. Wenn wir uns nicht stets klar vor Augen halten, wer Deutschland ausmacht - nämlich die breite Masse der Bürger - laufen wir immer Gefahr, der rationalisierenden schönfärberischen Propaganda auf den Leim zu gehen.

     

    Deshalb ist bei jedem Phänomen und jeder Entscheidung die gleiche entlarvende Frage zu stellen: Wem nutzt und wem schadet es wirklich? Wer sich das angewöhnt hat, wird den Boden der Realität so schnell nicht verlassen.

     

    Die Leidtragenden der deutschen und EU-Mißwirtschaft waren und sind im Inland vor allem die Arbeitnehmer, deren Lohn seit vielen Jahren systematisch gedrückt wird, damit die Konzerne sich die Lohnkostenersparnisse in die Taschen stecken konnten bzw. die schwächeren Volkswirtschaften der EU niederkonkurrieren konnten. Abgesehen vom damit verbundenen Abbau der Arbeitnehmerrechte hat dieser Teufelskreis natürlich direkte negative Auswirkungen auf die Einkünfte von Nichterwerbstätigen wie Rentnern und Arbeitslosen, die als Konsumenten einen nicht zu unterschätzenden Faktor ausmachen.

     

    Auch wird gerne übersehen, daß die Binnenwirtschaft mit ca. 60 % den Löwenanteil am deutschen Wirtschaftsvolumen trägt. Die ständigen Einbußen beim verfügbaren Einkommen der meisten Bürger stellen einen Konjunktur-Bremsklotz dar, dessen Auswirkungen sich nun verschärfen. Da helfen die niedrigen Bauzinsen auch nicht weiter - aus dieser Logik heraus müßte die Häuslebauer-Konjunktur ja fröhliche Urständ feiern, aber genau das Gegenteil ist faktisch der Fall.

  • T
    Tom

    Na ja, dafür gibt es keine Wechselkursrisiken mehr. Gerade diese Risiken können bei kleinen und mittelständischen Firmen, die überwiegend im Euroraum ein- und verkaufen überlebenswichtig sein!

     

    Das sollte man nie vergessen.

     

    Tom

  • M
    manfred (59)

    "Deutschland" profitiert vom Euro. Deutschland? Sind Deutschland nur die Euro-Gewinnler am oberen Ende der Gesellschaft, die tatsächlich profitiert haben? Was sind dann die Euro-Verlierer am unteren Ende der Gesellschaft? Sind die nicht Deutschland? Und wo verläuft die Grenze zwischen Deutschland und Nicht-Deutschland? Bei der taz vielleicht zwischen Schreiberling - da er "wir" schreibt, gehört er ja wohl dazu - und Wachdinst?

     

    Diese Parole stammt aus der interfraktionellen Verdummungskiste der Merkel-Gabriel-Roth-Rösler-Bande.

  • K
    Kati

    "2012 droht ein Desaster".Aber: "Deutschland ist Profiteur der Krise." Volksverdummung a la taz. Das sagt Jens Ehrhardt, Vermögensverwalter: "Dass Deutschland vom Euro profitiert hätte, ist ein Ammenmärchen. Die deutsche Binnenkonjunktur hat durch den Euro enorm gelitten. ....." Frage: " Warum bremst der Euro denn die Binnenkonjunktur"?

    Erhardt: "Weil er dazu geführt hat, dass der Realzins, also der Zinssatz abzüglich Inflation, in Deutschland immer viel höher war als in den anderen Ländern der Euro-Zone. Deutschland ist so für seine niedrigen Teuerungsraten faktisch regelrecht bestraft worden".