Kommentar Erdogan: Kritik an der falschen Stelle
Die Bilanz von Ministerpräsident Erdogan ist durchwachsen. Als Gegner der Integration von Türken in Deutschland muss er sich nicht beschimpfen lassen.
E s gibt Vieles, was man am türkischen Ministerpräsidenten Erdogan kritisieren kann. Er regiert in der Türkei zunehmend selbstherrlich und autoritär. Echte Gleichberechtigung für die Kurden und eine politische Lösung des Konflikts mit der PKK, der in der letzten Zeit wieder eskaliert ist, stehen noch aus.
Eine demokratischere Verfassung, ebenfalls lange versprochen, lässt auf sich warten, und bei der Meinungs- und Pressefreiheit gibt es sogar Rückschritte zu beklagen: Viele Oppositionelle und Journalisten sitzen in Haft, öffentliche Proteste werden unterdrückt. Dass ein breites Bündnis von Migranten aus der Türkei dagegen protestiert, wenn Erdogan zu Besuch nach Deutschland kommt, ist deshalb verständlich und richtig.
Hoffentlich wird die Botschaft in Ankara auch verstanden. Nicht so recht vorwerfen kann man Erdogans Regierung allerdings, dass ihre „Null Problem"-Politik gegenüber den Nachbarstaaten nicht aufgegangen ist. Auf Entspannung zu setzen war ja zunächst richtig.
ist Inlandsredakteur der taz mit dem Arbeitsschwerpunkt Migration.
Dass das Verhältnis zu Israel so abgekühlt ist, hängt auch mit der sturen Haltung der Netanjahu-Regierung in Jerusalem zusammen, die Erdogan mehrfach brüskiert hat und sich bis heute nicht dafür entschuldigen will, dass mehrere türkische Staatsbürger, die sich an einer Solidaritätsflotte nach Gaza beteiligten, erschossen wurden.
Mit Russland und dem Iran konkurriert man um Einfluss in der Region. Und von Syriens Präsidenten Assad sagte man sich erst los, als der auf sein eigenes Volk zu schießen begann. Seither liegt man gegenüber dessen Regime ganz auf der Linie der westlichen Politik, unterstützt die Opposition und nimmt, neben Jordanien, den größten Teil der syrischen Flüchtlinge auf.
Dass hier der Westen und die Türkei weiter an einem Strang ziehen, das ist wohl die wichtigste Botschaft, die von Erdogans aktuellen Besuch in Berlin ausgeht. Ganz falsch ist dagegen der Vorwurf, Erdogan schade der Integration türkischer Migranten und fördere deren „Parallelgesellschaften". Er wird vor allem von rechter Seite in Deutschland erhoben.
Dass auch manche Migrantenverbände neuerdings in diesen Tenor einstimmen, ist populistisch und anbiedernd. Denn wie keine andere türkische Regierung zuvor fordert die unter Erdogan die türkischen Migranten dazu auf, die deutsche Sprache zu lernen, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen und sich in Deutschland zu engagieren. Dass er dabei auch an muslimische Solidarität und türkischen Stolz appelliert, ändert daran nichts, denn Erdogan fordert nur einen selbstbewussten Dialog auf Augenhöhe. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit.
Aber die wütenden Reflexe, die er damit bei manchen Publizisten und Politikern hierzulande verlässlich provoziert, zeigen, dass viele damit noch immer so ihre Schwierigkeiten haben.
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