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Kommentar Entlohnung häusliche PflegeLiebe statt Geld

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Das Verfassungsgericht stellt klar, dass Angehörige für häusliche Pflege weniger bekommen als Fachkräfte. Alles andere wäre eine Utopie gewesen.

Wer seine Eltern pflegt, tut das nicht nur des Geldes wegen Bild: dpa

G leicher Lohn für gleiche Arbeit. Diese Forderung ist im Bereich der Care-Arbeit fast nie erfüllt. Wer etwas für seine Angehörigen tut, bekommt dafür keine oder nur wenig materielle Gegenleistung, während die gleiche Leistung auf dem öffentlichen Markt für Pflege, Erziehung, Sex und Haushaltsdienstleistung natürlich bezahlt wird.

An dieser Ungleichbehandlung wollte nun auch das Bundesverfassungsgericht nichts ändern. Es wies die Verfassungsbeschwerde von zwei Frauen (Mutter und Tochter) ab, die ihren Ehemann und Vater zu Hause pflegten, dafür von der Pflegeversichung aber nur ein bescheidenes Pflegegeld von unter 700 Euro pro Monat erhielten. Hätte eine professionelle Pflegekraft die Arbeit erledigt, wäre dieser dafür mehr als das Doppelte bezahlt worden.

Das Verfassungsgericht akzeptierte nun die Differenzierung des Gesetzgebers. Die Leistung für Angehörige werde eben nicht allein um des Geldes willen getan, sondern sei Ausdruck des „familiären Zusammenhalts“. Das Pflegegeld sei, so gesehen, eben kein Entgelt, sondern nur eine „Anerkennung“ der Leistung.

Die Karlsruher Entscheidung kommt sicher nicht überraschend. Es wäre eine Sensation gewesen, wenn die Richter die gleiche Bezahlung für familiäre Pflege wie für Fremdpflege gefordert hätten. Immerhin ist das Pflegegeld schon ein Fortschritt gegenüber früher, als die familiäre Pflege ganz umsonst geleistet wurde.

Die zunehmende Individualisierung der Gesellschaft wird aber eine weitere Erhöhung des Pflegegeldes erzwingen. Je weniger die Pflege von Angehörigen als selbstverständliche sittliche Pflicht erachtet wird, umso mehr muss der Staat die finanziellen Anreize erhöhen. Denn ein schlecht bezahlter Angehöriger ist für das Sozialsystem immer noch billiger als eine professionelle Pflegekraft.

Auch die professionellen Sätze sind niedrig

Umgekehrt werden damit zwar auch die gesellschaftlichen Rollenbilder stabilisiert. Indem Ehefrauen und Töchter nun ein (steigendes) Almosen für die traditionell von ihnen verrichtete Pflegearbeit erhalten, bestärkt das die überkommene Rollenzuteilung. Daran würde sich aber wohl auch wenig ändern, wenn für familiäre Pflege die gleichen Sätze wir für professionelle Fremdpflege bezahlt würden, denn auch diese sind viel zu niedrig. Auch die professionelle Pflege ist (deshalb) ein Frauenberuf geworden.

Ändern würde sich dies wohl erst dann, wenn für Care-Tätigkeiten die gleichen Löhne wie für Fabrikarbeit bezahlt würden. Dies müsste dann über stark erhöhte Steuern und Sozialabgaben finanziert werden. Angesichts der Produktivitätsfortschritte ist dies nicht undenkbar. Wegen der globalen Standortkonkurrenz dürfte ein solches Modell aber kaum im deutschen Alleingang realisierbar sein.

Schon deshalb ist klar, dass die Forderung nach gleichbezahlter familiärer Pflegearbeit (derzeit) kein Fall für das Verfassungsrecht ist. Die Karlsruher RichterInnen hätten allenfalls eine Utopie aufzeigen können. Doch das ist sicher nicht ihre Kernaufgabe.

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
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3 Kommentare

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  • Gott bewahre uns vor Juristen mit einer Utopie.

     

    Die Schlussfolgerung vom Autor, Pflege solle wie "Fabrikarbeit“ bezahlt werden und auch Angehörigen bei Übernahme der Pflege ausgezahlt werden, zeichnet eher das Bild einer Dystopie.

    Da könnten dann Angehörige der unteren Lohngruppen durch die Pflege von Angehörigen in die mittlere Lohngruppe aufsteigen - ohne Ausbildung, Kenntnisse oder Befähigungsnachweis. Ist dem Autor eigentlich bewusst, dass er damit die Pflegeberufe auf beispiellose Art und Weise herabwürdigt? Pflege - DAS kann doch jeder...

    Ich habe im Studium der Gerontologie viele Haushalte mit Pflegebedürftigen besucht, vor allem, um Hilfestellung im Umgang mit Kranken- und Pflegekassen bzw. Pflegediensten zu leisten. Die sich mir bietenden Einblicke waren oftmals erschütternd. Häufig stand nicht die Liebe zum Angehörigen bei der Pflege im Vordergrund, sondern kühles Rechnen bei der Zuzahlung zum Pflegedienst oder Heim. Da wird dann das - nach eigenem Ermessen - nötige getan, damit der Pflegebedürftige nicht im eigenen Dreck erstickt. Mangelernährung erkennen, Dehydration, Umlegen mit mehr als einer Person, damit es nicht zu Verletzungen kommt? Nachts alle zwei Stunden zum Umlegen aufstehen, oder einen beginnenden Decubitus – die Horrorvision im Pflegebereich – erkennen? Schwierig ohne Ausbildung. Und der amb. Pflegedienst muss dann die Scherben zusammenkehren...

     

    Ich denke, das BVerfG hat in seinem Urteil viel mehr Weitsicht und Klugheit bewiesen, als der Autor mit seinem Kommentar. Häusliche Pflege muss aufgewertet werden, das steht außer Frage. Aber es muss auch so weit wie möglich für Angehörige ab einem bestimmten Krankheitsverlauf unattraktiv gemacht werden. Denn wer seine Angehörigen liebt, der gibt sie in professionelle Hände, um - egal zu welchen Kosten - in der letzten Lebensphase das Leiden zu lindern und die Würde so weit wie möglich aufrecht zu halten.

  • 4G
    4225 (Profil gelöscht)

    Das ganze Pflegegeld ist eine absurde Erfindung, jedenfalls für den Zeitraum, in dem der Pflegebedürftige noch eigenes Vermögen besitzt.

     

    Gibt es eigentlich auch jemanden, der die Aufstockung des Betreuungsgeldes auf die Höhe der Kosten einer Ganztagsbetreuung im Kindergarten fordert ?

  • Eigenartiges Urteil. Wenn jemand Familienangehörige pflegt, ist das kaum mit beruflicher Belastung zu vereinbaren - schon allein wegen der erforderlichen Anwesenheit. Verdienstausfälle kann die Versicherung sicher nicht stemmen, aber schon der nicht unabhängige Kontrollapparat der Krankenkassen, ist ein Unding. Im Falle von Demenz bleibt sowieso nur das Altersheim - was dann richtig teuer wird. mindestens 2000 Eur monatlich - und bei körperlicher Rüstigkeit im Kreise der Familie: NULL

    Man sollte die Rente abzüglich des Sozialsatzes von den fiktiven Altersheimkosten abziehen und diesen Unterschiedsbetrag dem pflegenden Familienangehörigen zu einem generell zu bestimmenden Prozensatz zahlen.