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Kommentar "Ehrenmord"-UrteilJenseits der Familientragödie

Der Urteilsspruch im Fall Morsal Obeidi erscheint wie der kathartische Schlussakt einer Tragödie. Es ist aber vielmehr das Drama eines jungen Mannes mit übersteigertem Männlichkeitsbild.

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Heide Oestreich
Inlandsredakteurin
Jahrgang 1968, ist seit langem Redakteurin für Geschlechterpolitik in der taz und im kulturradio vom RBB. Von ihr erschien unter anderem das Buch „Der Kopftuchstreit. Das Abendland und ein Quadratmeter Islam“. 2009 wurde sie mit dem Preis „Der lange Atem“ des Journalistenverbands Berlin Brandenburg für die Berichterstattung über Geschlechterstereotype ausgezeichnet.
Heide Oestreich
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Jahrgang 1968, ist seit langem Redakteurin für Geschlechterpolitik in der taz und im kulturradio vom RBB. Von ihr erschien unter anderem das Buch „Der Kopftuchstreit. Das Abendland und ein Quadratmeter Islam“. 2009 wurde sie mit dem Preis „Der lange Atem“ des Journalistenverbands Berlin Brandenburg für die Berichterstattung über Geschlechterstereotype ausgezeichnet.
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23 Kommentare

 / 
  • MB
    Manuel Brunner

    Ich verstehe die Kritik an Oestreich nicht.

    Wer hier eine Täterliebelei sieht, hat den bösen Angriff und die böse Verunglimpfung des Täters offenbar nicht bemerkt. Wenn sie von "verwirrten Jungs" spricht, so schmäht sie den Täter - und verharmlost weder Tat noch Opfer.

    Die Frage, wieweit der Staat einzugreifen fähig war, ist berechtigt. Denn dass Anzeigen zurückgenommen werden, ist schlechthin nur übliche Begleiterscheinung. Gewalt, Nötigung und Drohung wirken hier fort; der Staat wird daran gehindert einzugreifen; wenigstens wird das versucht. Was hier im Mord gipfelte, läuft bei häuslicher Gewalt eben ganz ähnlich: familieninterne Gewalt, Anzeigen, Wiederversöhnung, und wieder Gewalt und wieder dasselbe von vorn.

    Es gibt allerdings Möglichkeiten, trotz Rücknahme des Strafantrags bzw. Nichtstellen desselben (eine Anzeige kann man nicht zurücknehmen) einzugreifen. Darauf weist die Autorin hin.

    Zur Vorgeschichte: es hat etwas menschenverachtendes, sogar gegenüber einem Täter, wenn man meint, dessen Vorgeschichte, dessen Kindheit, dessen Lebensumstände seien vollkommen irrelevant, überflüssig und schlechterdings nur langweilig. Dieses Urteil über ein fremdes Leben steht Außenstehenden nicht zu.

    Nur weil die Medienspanner und Zeitungsschnüffler dergleichen schon hundertmal gehört haben, verliert es nicht an Bedeutung. Es gehört zu einem gesunden Rechtssystem und insbesondere zur Aufdeckung der Tat und zur Wahrheitsfindung des Gerichts dazu, auch den Täter samt Vorleben zu untersuchen. Nur so wird man auch dem Opfer gerecht.

    Zu sagen, hier werde das Opfer vernachlässigt und nur Täterjustiz betrieben, liegt schlicht neben der Sache. Der Täter erhielt die höchste Strafe, die unser Rechtssystem kennt - trotz seiner "schweren Kindheit" und trotz dem Gutachten der Sachverständigen (!) (vermindert schuldfähig war ihr Urteil). Er wird sich für 15 (bis 20) Jahre 23 Stunden am Tag auf 7-qm-Zellen fortbewegen. Das ist das Höchste, was wir an Strafe für Mord verhängen können (von Feststellung der Schuldschwere und Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen). Wer noch an der Todesstrafe hängt, wird in Deutschland leider keine Sühne finden.

    Wer den Bericht gänzlich missversteht, sollte nicht dermaßen harte Kritik üben und nicht solch rigorose Gegenberichte verfassen. Denn diese Suaden, die gegen Justiz, Staat und Journalisten gerichtet sind und vermeintlich zugunsten der Opfer sprechen, wirken inzwischen im Übrigen - auch langweilig.

  • T
    TAZLeser

    Na, Frau Oestreich, wo bleibt Ihre Rechtfertigung für den von der Familie beschlossenen und vom Bruder und Vater ausgeführten Mord an Gülsüm S. in Rees? Welche "sozialen Angebote" hätten das verhindern können?

    Ihre naiven Rechtfertigungsversuche für kaltblütige Mörder machen mich wütend.

  • M
    Marco

    Ich finde den Artikel von Heide Oestreich unzutreffend.Man kann einen brutalen Mörder, der seine Schwester eiskalt und ohne jeglichen Grund erstach, nicht als "verwirrten Jungen" bezeichnen.

    Sind denn Mörder arme,verwirrte Leute?

    Wenn Emigranten in Deutschland leben sollten sie sich der Deutschen Lebensweise anpassen.Morsal Obeidi tat dies, sie wollte sich integrieren.

    Ist das etwas schlimmes?

    Anstatt, dass Ahmad Obeidi dem guten Vorbild seiner Schwester folgt und auch versucht sich zu integrieren, ermordet er sie.

    Aber warum? Weil sie sich anpassen wollte.

    Dieser Mord war aus niedrigen Beweggründen getetigt und hat nichts mit häuslicher Gewalt zu tun.

    Ich denke nicht, dass ein Mann der so etwas tut ein "verwirrter Junge" ist, sondern wohl eher ein krankhafter Mann.

    Außerdem behauptet Heide Oestreich, die Staatsanwaltschaft hätte früher etwas unternehmen müssen. Wie soll die Staatsanwaltschaft ermitteln, wenn die Anzeigen immer wieder zurückgezogen werden? Man darf nicht ermitteln, wenn keine Anzeigen vorliegt bzw. die Anzeige wieder zurückgezogen wurde.

     

    Der Kommentar ist völlig unpassend und versucht Mitleid für einen brutalen Mörder zu erwecken. Man sollte sich erst einen Sachartikel zu diesem Thema durchlesen und sich dann seine eigene Meinung bilden, bevor man diesen Artikel liest.

  • T
    TAZLeser

    Sorry, Frau Oestreich, aber Ihr Kommentar ist eine einzige Bankrotterklärung des Multi-Kulti-Wahns.

    Glauben Sie allen Ernstes, das man aus Menschen, die zwar einerseits gerne den deutschen Sozialstaat ausnutzen, andererseits aber die "Schweinefleischfresser" und ihre Kultur verachten und immer noch ihren archaischen Sitten anhängen, mit ein bißchen Kuscheltherapie zu besseren Menschen machen kann?

    Mit "sozialen Angebote für verwirrte Jungs mit verzerrtem Männlichkeitsbild"? Der "Junge" ist 24 Jahre alt!

    Ebenso abgegriffen ist ihr Hinweis auf die "schwere Kindheit" des "Jungen" - ich kann es nicht mehr hören! Immer, wenn ein Straftäter "mit Migrationshintergrund" vor Gericht steht und Farbe bekennen muss, kommt der Hinweis auf die angeblich so "schwere Kindheit", meistens im Verbund auf die angeblich ja so schlimme "Benachteiligung" dieser Bevölkerungsgruppe.

    Der Verurteilte meinte ja auch, in Kabul wäre er schon längst auf freiem Fuß - bitte, dann soll er dorthin gehen, aber ohne Rückflugticket.

    Ihre Naivität, was den Umgang mit solcherart eingestellten Menschen angeht, ist einfach unglaublich.

  • T
    Trillian

    Ich bin erschüttert über diesen Kommentar von Frau Oestreich. Je brutaler der Mord und je weiter sein Herkunftsland entfernt ist, desto mehr Verständnis für den Mörder seitens der Komentatorin. Sie begeht Verrat an den ermordeten Mädchen und Frauen und an denen die noch ermordet werden wegen schwachsinningen, mittelalterlichen Vorstellungen von "Ehre". War die Linke und die taz nicht einmal für die Emanzipation und für selbstbestimmtes Leben? Schenibar haben Mädchen und Frauen aus muslimischen Ländern diese Rechte nicht verdient - laut Journalistinnen wie Frau Oesttreich. Stattdessen gibt es unendlich viel Verständnis für den brutalen und feigen Mörder.

  • T
    Till

    Staunend stehe ich vor der ideologie-basierten Faktenresistenz der Autorin.

     

    In unverbesserlicher Manier wird aus einem Täter wieder ein Opfer, dem die "Mehrheitsgesellschaft" wieder nicht genügend Angebote bereit stellt. Wie weit soll man diesen längst widerlegten 70er-Jahre-Schwachsinn eigentlich noch treiben?

     

    Auch die prügelnden Eltern sind doch bestimmt nur Opfer von ihren prügelnden Eltern, die wiederrum prügelnde Eltern hatten, die von ihren Eltern verprügelt wurden. So ist das nun einmal in islamischen Gesellschaften!!! Da wird geprügelt, befohlen, die Frau unterdrückt, ein archaisches Männlichkeitsbild gepflegt (inklusive gewalttätiger Ablehnung von Homosexualität) und Hass gegen "Andere" gesäht, dass es eine Freude ist.

     

    Genau das zeigt auch dieser Prozess und insbesondere das Verhalten nach der Urteilsverkündung. Der Täter hat in vollem Bewusstsein und in vollem Einklang mit traditionellen Werten gehandelt. Dass wir "Ungläubige" darüber richten, ist per se schon eine Beleidigung.

     

    Aber all diese Fakten fechten Frau Oestreich gar nicht an - wir sollen uns lieber soziale Angebote für die überlegen, die auf unsere Werte, Überzeugungen, Gesetze und die ganze Gesellschaft spucken. Leider besteht das einzige soziale Angebot, dass diese Leute verstehen und dass die Gesellschaft vor ihnen schützt, in "anschliessender Sicherheitsverwahrung"!!!

     

    Ach ja, jetzt kommt wieder der Empörungsreflex und sagt "Knast ist keine Lösung". Doch, ist es - denn während Herr Obeidi im Gefängnis ist, wird er keinen umbringen.

     

    Und wäre Herr Obeidi, der selbstredend ein polizei- und justizbekannter INTENSIVTÄTER ist, schon längst im Gefängnis gewesen, anstatt ihn mit "sozialen Angeboten" zu nerven, dann wäre seine Schwester nicht tot.

     

    Den Opfern der gutmenschlichen Gesinnungsjustiz vom unbelehrbaren Schlage Oestreich kann wieder jemand hinzugefügt werden!

  • A
    Andreas

    Ganz egal, was einen DANACH erwarten könnte, hat jeder von uns nur EIN Leben. Fakt ist, daß der Angeklagte DIESES seiner Schwester genommen hat. Irgendwie zählt in Mordprozessen das Opfer nicht mehr. Ist die Tat unstrittig, wird sich darin überboten, den Täter zu entschuldigen. Jede Menge schwere Schicksale und psychische Auffälligkeiten werden hervorgekramt - so auch von der Autorin. Muß man aber nicht per se gestört sein, um einen anderen zu töten? Ist das Prinzip Mord veraltet?

     

    Wenn man uns dann auch noch vorwirft, wir hätten das Täteropfer nicht genügend therapiert, kann ich nur staunen. Setze das nicht Therapiebereitschaft derjenigen voraus, die sich in ihrer Parallelgesellschaft ganz wohl fühlen? Ich frage mich eher, welcher Wahnwitz aus einer solchen Familie deutsche Staatsbürger macht. Vielmehr hätte man sie auf Zeit aufnehmen, optimal ausbilden und dann zum Aufbau Ihres Landes, in dem sie sich wohlfühlen, als einheimische Entwicklungshelfer zurückschicken können, anstatt das der Bundeswehr zu überlassen, deren Soldaten dort genauso deplaziert herumstehen, wie diese Familie hier.

  • M
    Michael

    Frau Oestreich,

     

    ihr Kommentar klingt wie Häme auf alle getöteten im Namen der Ehre und wie eine versteckte Entschuldigung für die Täter. Ich frage Sie: welchem Mörder sind keine Persönlichkeitsdefizite nachzuweisen? Ist der Mord auf einem Parkplatz etwa gleichzusetzen mit häuslicher Gewalt?

    Sie vermischen bewusst und mit kalkulierter Absicht, in jedem Fall verachtenswerte, Taten miteinander. Wollen Sie ernsthaft behaupten das ein Vater der sein Kind schlägt, weil er gerade seinen Job verloren hat und die Nerven verliert, gleichzusetzen ist mit Mord, geschehen aus der Niedertracht archaischer Denkstrukturen? Was genau wollen Sie den aufgeklärten Menschen dieses Kulturkreises weismachen? Ist es die ideologische Rechtfertigung der vergangenen (und leider noch anhaltenden) verfehlten "Multi Kulti" Lebensanschauung? Hier wird mit vermeintlich moralischem Ansatz Rechtfertigung betrieben. "absurdes Schmierentheater anstatt gesunder Menschenverstand"

  • GD
    GTI DRIVER

    EHRENMORD IST NICHT GLEICH FAMILIENDRAMA

     

    Es ist ganz leicht, diese beiden Dinge auseinander zu halten. Eifersuchtstaten gibt es in der Tat überall. Aber Ehrenmorde sind etwas ganz anderes. Eifersuchtstaten - vulgo: Familiendrama - begeht der Ehemann oder der Ex an seiner Frau. Er gegen sie, und anschließend bringt sich der Täter häufig um. Die Familie des Opfers, also die Eltern, geben ihrer Tochter Schutz, wenn dazu die Möglichkeit besteht. Ebenso die Geschwister oder der Onkel.

     

    Ganz anders der Ehrenmord: Da begehen die leiblichen Verwandten kollektiv den Mord. Die eigenen Eltern, der eigene Vater, die Mutter und die ganze Familie planen den Mord an ihrer eigenen Tochter oder Schwester und begehen ihn kollektiv und rituell grausam. Oder sie bestellen Killer und schauen zu, wie der Tochter der Hals abgeschnitten wird - wie einem Schaf, das geschlachtet wird. Es gibt kein Entkommen, weil alle mitmachen - in Pakistan oder Anatolien sogar die Polizei. Oder der Ehemann erhält von seinem Schwiegervater den Auftrag, seine Frau - und des Schwiegervaters Tochter - umzubringen. Und alle sind glücklich, weil die Familien-Ehre wieder hergestellt wurde.

     

    Nein, meine Freunde, Ehrenmord und Familiendrama haben überhaupt nichts miteinander zu tun. Wir sollten uns den Blick für die Tatsachen nicht verstellen lassen von törichtem Gutmenschen-Gerede.

  • EY
    Elif Yilmaz

    Ein erschreckender Kommentar und das auch noch von einer Frau. Mit keinem Wort geht die Journalistin darauf ein, wie sich die Familie im Gericht benommen hat. Sie stand auf Seiten des Täters. Und dass der Täter gesagt hat, "in Kabul wäre ich draußen", sagt alles über sein Motiv.

     

    Verstehen Sie es nicht oder wollen Sie es nicht verstehen?

    Diese Familie lebt hier und sie geniesst unsere Freiheit. (Ja, es ist UNSERE und auch MEINE Freiheit, denn ich fühle mich als Deutsche und ich bin stolz, das hier ein Rechtsstaaat ist und nicht ein Polizteistaat wie die Türkei. Oder ein Chaos wie Afghanistan.)

    Und gleichzeitig bekämpft die Großfamilie diese Freiheit, WEIL SIE SIE VERACHTET.

     

    Die Familie ist eine Schande für alle Éinwanderer, und sie haben kein Verständnis verdient, und schon gar nicht im Namen der Toleranz und der Ausländerfreundlichkeit.

  • O
    Ole

    "...In seinem Selbstbild muss ein Mann groß und stark sein..."

     

    Ich muss garnichts! Und das schon gar nicht. Also der Satz beruht (meiner Meinung nach) auf einer falschen Annahme.

     

    Wie wäre es mit... "DIESER Mann musste in seinem Selbstbild groß und stark sein..." ?

     

    Ich muss es jedenfalls nicht.

  • M
    Mariam

    "Dankeschön". Für diesen Entschuldigungskommentar meiner Geschlechtsgenossin H. Oestreich lösche ich mein taz-Lesezeichen sofort wieder aus dem PC. Hatte nur einmal aus Neugier geguckt, was die taz denn schreibt. Das war einmal zuviel. Sehr geehrte Kollegin Oestreich, haben Sie es immer noch nicht begriffen? Ein günstigerer Schuldspruch als "Mord aus niederen Motiven" für diese Tat richtet sich gegen ALLE Mädchen und Frauen in der BRD, egal ob mit Mihigru oder ohne.

  • MB
    Marian Bichler

    wow! Danke. Endlich mal jemand, die Kopf und Gefühl einschaltet. Ich fand diesen Kommentar äußerst erhellend. Psychologisches Gespür statt Kulturkampf-Parolen. Bitte mehr davon - nicht nur in der taz.

  • R
    Rojas

    Seien wir doch mal ehrlich:

     

    - Ehrenmorde, ebenso wie "arrangierte Ehen" (oder "Zwangsehen", je nach Standunkt) *haben* mit dem Islam zu tun. Nicht direkt, wohl aber indirekt, denn es ist im Islam prinzipiell nicht vorgesehen, dass Frauen irgendeine Art von "Liebesleben in eigener Regie" (und sei es nur eine Verabredung zum Tanzen) haben. Sex darf es für eine moslemische Frau nur in der Ehe geben, und diese Ehe kann ja nur arrangiert sein, weil eine moslemische Frau im Idealfall (d.h. wie es aus islamischer Sicht sein sollte) gar keine Gelegenheit hat, irgendeinen potenziellen Partner vor der Ehe kennenzulernen. Ergo darf es Sexualität für eine moslemische Frau offiziell nur in der islamischen Ehe geben.

     

    - "Gleichberechtigung von Mann und Frau" hat immer zwei Aspekte: Einen beruflichen Aspekt, nämlich dass Frauen all dieselben Berufe erlernen dürfen wie auch Männer, ob nun Ärztin, Rechtsanwältin, Architektin usw. Damit hat der Islam vielleicht kein größeres Problem. Der andere Aspekt der Gleichberechtigung der Geschlechter ist jedoch der sexuelle Aspekt, nämlich dass Frauen in sexueller Hinsicht all dasselbe dürfen, was auch Männer dürfen: Sexuelle Erfahrungen vor der Ehe sammeln, mal fremdgehen usw. Und da sieht es mit der Gleichberechtigung der Geschlechter im Islam schon wieder ganz anders aus. Denn ganz selbstverständlich gelten in Punkto vor- und aussereheliche Sexualität völlig verschiedene Maßstäbe für Mann und Frau.

     

    So ist es auch denn auch nur auf denn ersten Blick irritierend, dass Ahmed O. genau dasselbe ganz selbstverständlich praktiziert hat, für das er seine Schwester eiskalt ermordet hat. Mit der gleichen Begründung hätte nämlich auch Morsal ihren Bruder umbringen können. Aber das widerspricht der extremen sexuellen Doppelmoral von Mann und Frau im Islam. (Stichwort "Namus", "Ehre").

     

    Ahmed O. hat seine Schwester sicher nicht umgebracht, weil er strenggläubiger Moslem wäre, sondern weil er, wie so viele, wenn nicht leider sogar die meisten Muslime bzw. aus dem islamischen Kulturkreis stammenden, die sexuelle Doppelmoral für Mann und Frau derart tief verinnerlicht hatte. Deshalb sah er sich dazu berechtigt, vielleicht sogar verpflichtet.

     

    Dennoch irritiert es mich immer wieder, bei allem "Ehrendruck", dass so selbstverständlich jemand seiner eigenen Schwester (oder Tochter) das antun kann, was ich nicht einmal meinem geliebten Hund antun könnte.

  • T
    tuwas

    "Die Frage bleibt, welche sozialen Angebote für verwirrte Jungs mit verzerrtem Männlichkeitsbild parat stehen."

     

    Welche konkreten Vorschläge hätten Sie denn, Frau Östreich? Wie kann man verwirrten Jungs mit verzerrtem Männlichkeitsbild und einem Hang zum Abstechen von anderen Menschen (z.B. Familienmitgliedern) helfen?

  • A
    Alf

    "Die Frage bleibt, welche sozialen Angebote für verwirrte Jungs mit verzerrtem Männlichkeitsbild parat stehen."

     

    Meinst man hier bei der TAZ ernsthaft, dass solche realitätsgestörten Menschen freiwillig ein soziales Angebot in Anspruch nehmen würden???? Hätte sich dieser junge Mann denn gefügt, wenn er solch ein Angebot bekommen hätte? Nach den Szenen im Gerichtssaal zu urteilen: Mit Sicherheit nicht!

     

    Dieser Mörder meinte doch, er sei im Recht, als er seine Schwester umbrachte!

     

    Was ist das hier für eine billige Zurechtbiegung des tatsächlich Geschehens?

  • R
    Rolf

    "Es ist vielmehr das Drama eines jungen Mannes mit übersteigertem Männlichkeitsbild. Solche Männer kennt auch die Mehrheitsgesellschaft."

     

    So so...

    Randalieren bei denen auch die Familien im Gerichtssaal? "Ficken" die auch die Mutter des Staatsanwalts?

  • M
    michaelbolz

    Hört! Hört!

    Endlich eine differenzierte Stellungnahme, die das Problem gut zuspitzt.

    Wo anzufangen? In frühkindlicher Erziehung, Bildung, Integration? - "Wir wissen und tun doch - Nichts!"

    Dazu müsste sich nämlich was ändern.

  • CR
    christine rölke-sommer

    Jenseits der familientragödie – offenbart das urteil mehreres, darunter:

     

    Der gute alte §211 StGB hilft uns nicht mehr weiter. Der gehört entrümpelt, aufgedröselt, allein schon im wortlaut dem angepasst, was wir heute über gesellschaft im allgemeinen und unsere im besonderen wissen könnten – wenn wir es denn wissen wollten.

     

    Nachdem erst einmal den „ur-deutschen“ tätern in die urteile hineingeschrieben werden musste und immer noch muß, dass ihr verletztes ehrgefühl wegen z.b. verhöhnung wegen eines zu kleinen penis keinen rechtfertigungsgrund darstellt, sondern eben als mord aus niedrigen beweggründen angesehen und strafrechtlich geahndet wird (by the way: es war ein langer weg dorthin!), sind nun also die nicht-mitteleuropäischen wertvorstellungen dran. Das ist einerseits richtig, soweit es darum geht, männliche dominanzvorstellungen dahin zu schicken, wo sie hingehören, nämlich ins „Aus“.

    Aber es ist nur wenig hilfreich, wenn daraus wird, dass auch die „archaischen“ werte sich der moderne anpassen müssten. Immerhin klingt der ausspruch in der hamburger urteilsbegründung, die tat stehe auf der „untersten sittlichen Stufe“ auch reichlich archaisch, zumal das gericht mehr oder weniger deutlich ausgesprochen doch einen „Ehrenmord“ bzw. das, was es sich darunter vorstellt, verurteilte. Das festigt nur die vorstellung, dass die variante der modernen mittel-europäischen männlichen ehre die bessere sei – und hilft wahrscheinlich dem einen oder anderen, bevor er ihn den begeht, den um sich greifenden homicid zu rechtfertigen.

    Dem, was wir heute über die komplexität von gesellschaft, von männer- und frauenrollen wissen bzw. wissen können, wird das überhaupt nicht gerecht. Und schon gar nicht hilft eine solche urteilsbegründung männern wie frauen, die vorstellungen abzulegen, dass männliche dominanz im grunde doch etwas gutes sei; nämlich unter der voraussetzung, dass sie eine mittel-europäisch moderne sei.

     

    Und schließlich: die verurteilung wegen mordes blockiert für diesen einen täter vermutlich alles, was unternommen werden könnte, sein denken über die welt im allgemeinen und das verhältnis von frauen und männern im besonderen und seinen begriff von sich selbst durchzuarbeiten. Schließlich landet er als wegen mordes verurteilter in einer institution, einer totalen, und wegen der im strafvollzug praktizierten geschlechter-segregation dazu total männlichen, in der er nur allerschnellsten lernen muss, als männlicher mann weiter dominant zu bleiben.

    Bei dem wenigen, was ich der presse zur persönlichkeit dieses jungen mannes entnommen habe, befürchte ich allerdings, dass ihm das nur schwer gelingen wird. So gesehen, war das gestrige urteil ein todes-urteil.

  • D
    Denninger

    Zur Aussage im Artikel "im Fall der Ehrenmorde ist nur der Opferkreis erweitert":

     

    Nein, das ist vom Denkansatz her schon falsch.

    Die "mehrheitsgesellschaftlichen" Täter im Falle von häuslicher Gewalt sind nicht durch Ehrbegriffe ihres sozialen Umfeldes moralisch gedeckt. Es handelt sich um Einzeltäter, die (vielleicht nicht immer aber fast immer) eigenständig und aus eigenem Antrieb handeln. Gerade in diesem Fall zeigt die Reaktion der versammelten Großfamilie bei der Urteilsverkündung, dass Frau O. wenn nicht auf Beschluss dann zumindest nach dem Willen ihrer "Familie" starb. Das kommt bei vergleichbaren Taten in der "Mehrheitsgesellschaft" nicht vor.

    Die "mehrheitsgesellschaft" sieht, im Gegensatz zu Parallelgesellschaften die Familie nicht als rechtsfreien Raum an in welcher das Oberhaupt die Gesetze und deren Anwendung bestimmt.

    Der übliche Tenor "aber bei uns Deutschen kommt das auch vor" ist hier nicht angebracht.

  • J
    Jan

    Kompliment, das ist ja nun mal ein sehr kluger, knapper Kommentar, ohne Multikulti-Gruselfaktor!

  • WR
    Werner Rauch

    Unser Sprachgebrauch widerspiegelt die Vertändnislosigkeit für dieses Phänomen:

    Sollten wir nicht von Schandmord reden statt von Ehrenmord?

    W. Rauch

  • SD
    Steffen Dubois

    Mit verlaub das ist kein "Junge mit verzerrtem Männlichkeitsbild". Die Reaktion der Mutter des Bruders und allgemein der Familie legen doch offensichtlich wie die Tat einzuordnen ist. Ich persönlich verachte diese Tat zu tiefst und sehe es mit Genugtuung wie geurteilt wurde.

     

    Das Urteil setzt ein Zeichen, dass in Deutschland solch ein Verhalten weder durch das Gesetzt noch die Bürger in irgendeiner Form geduldet wird.