Jenseits der familientragödie – offenbart das urteil mehreres, darunter:
Der gute alte §211 StGB hilft uns nicht mehr weiter. Der gehört entrümpelt, aufgedröselt, allein schon im wortlaut dem angepasst, was wir heute über gesellschaft im allgemeinen und unsere im besonderen wissen könnten – wenn wir es denn wissen wollten.
Nachdem erst einmal den „ur-deutschen“ tätern in die urteile hineingeschrieben werden musste und immer noch muß, dass ihr verletztes ehrgefühl wegen z.b. verhöhnung wegen eines zu kleinen penis keinen rechtfertigungsgrund darstellt, sondern eben als mord aus niedrigen beweggründen angesehen und strafrechtlich geahndet wird (by the way: es war ein langer weg dorthin!), sind nun also die nicht-mitteleuropäischen wertvorstellungen dran. Das ist einerseits richtig, soweit es darum geht, männliche dominanzvorstellungen dahin zu schicken, wo sie hingehören, nämlich ins „Aus“.
Aber es ist nur wenig hilfreich, wenn daraus wird, dass auch die „archaischen“ werte sich der moderne anpassen müssten. Immerhin klingt der ausspruch in der hamburger urteilsbegründung, die tat stehe auf der „untersten sittlichen Stufe“ auch reichlich archaisch, zumal das gericht mehr oder weniger deutlich ausgesprochen doch einen „Ehrenmord“ bzw. das, was es sich darunter vorstellt, verurteilte. Das festigt nur die vorstellung, dass die variante der modernen mittel-europäischen männlichen ehre die bessere sei – und hilft wahrscheinlich dem einen oder anderen, bevor er ihn den begeht, den um sich greifenden homicid zu rechtfertigen.
Dem, was wir heute über die komplexität von gesellschaft, von männer- und frauenrollen wissen bzw. wissen können, wird das überhaupt nicht gerecht. Und schon gar nicht hilft eine solche urteilsbegründung männern wie frauen, die vorstellungen abzulegen, dass männliche dominanz im grunde doch etwas gutes sei; nämlich unter der voraussetzung, dass sie eine mittel-europäisch moderne sei.
Und schließlich: die verurteilung wegen mordes blockiert für diesen einen täter vermutlich alles, was unternommen werden könnte, sein denken über die welt im allgemeinen und das verhältnis von frauen und männern im besonderen und seinen begriff von sich selbst durchzuarbeiten. Schließlich landet er als wegen mordes verurteilter in einer institution, einer totalen, und wegen der im strafvollzug praktizierten geschlechter-segregation dazu total männlichen, in der er nur allerschnellsten lernen muss, als männlicher mann weiter dominant zu bleiben.
Bei dem wenigen, was ich der presse zur persönlichkeit dieses jungen mannes entnommen habe, befürchte ich allerdings, dass ihm das nur schwer gelingen wird. So gesehen, war das gestrige urteil ein todes-urteil.
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