piwik no script img

Kommentar EU-Regeln für PlastiktütenDas Symbol der Müllgesellschaft

Der Vorstoß der EU, der zu geringerem Verbrauch führen soll, ist erst einmal richtig. Leider tritfft er trotzdem nicht den Kern des Problems.

Auf Straßen, in Gewässern, in Fischmägen: überall Plastiktüten, mal als Rest, mal noch ganz. Bild: dpa

Meere mit riesigen Strudeln aus Plastik, Vögel, die sich in Tüten verfangen, feinste Partikel von zersetzen Plastikbeuteln, die über die Nahrungskette auch im menschlichen Essen landen – das will alles keiner haben. Der Vorstoß der EU, der – wenn auch wohl eher lang- als kurzfristig – zu einem geringeren Tütenverbrauch führen soll, ist deshalb erst einmal richtig. Und trifft trotzdem nicht den Kern des Problems.

Denn abgesehen davon, dass die neue Regelung als Resultat eines intensiven Lobbyings zahlreiche Ausnahmen enthalten wird und es keinen Hinweis darauf gibt, dass die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten nun anfangen, reihenweise Abgaben auf Plastiktüten zu verlangen – der Tütenverbrauch ist vor allem ein Symbol. Ein Symbol für die Vermüllung unseres Alltags. Knapp 200 Plastiktragetüten nutzt ein durchschnittlicher EU-Bürger pro Jahr.

Und auch die Verbraucher in Deutschland sind mit einer Plastiktüte alle fünf Tage nicht gerade abstinent, vor allem wenn man die Zahl der Menschen bedenkt, die mit dem Auto vor dem Supermarkt vorfahren und eigentlich genau null Tüten mitnehmen müssten. Plastiktüten sind wie Zigaretten: Sie sind länger Müll als Produkt und trotzdem präsent im Alltag, jeder weiß, dass es schädlich ist, sie zu nutzen, und trotzdem machen es die meisten irgendwann.

Die Plastiktüten stehen daher für alles andere, das die Meere verschmutzt, Ressourcen frisst und dessen Aufkommen mindestens sehr deutlich reduziert werden müsste. Für Mikroplastikkügelchen in Peelings. Für Handyladegeräte, die ungefragt mitgeliefert werden und nicht einmal für sämtliche Geräte eines Herstellers kompatibel sind. Für Einwegflaschen. Für Verpackungen um Verpackungen um Verpackungen und darunter noch eine Schicht Styropor. Es ist die Summe, die am Ende Müllstrudel in den Ozeanen produziert und an Land, etwa auf Hawaii, sogar zu einer Art Gesteinsform wird. Oder die – und das ist für die Umwelt nicht besser, sondern nur weniger schlecht – oft genug in der Müllverbrennungsanlage landet.

68.000 Tonnen Plastiktütenmüll in Deutschland – das klingt nach einer Menge Abfall, der sich ohne großen Aufwand deutlich reduzieren ließe. Ist es auch. Doch selbst ein Komplettverzicht würde den gesamten Kunststoffverbrauch nur um weniger als 1 Prozent senken. Die Brüsseler Initiative darf daher nur ein Anfang sein.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Eine wahre Geschichte: Ein Mann steht vor mir an der Supermarktkasse. Sein Einkauf besteht aus einer Schachtel Zigaretten. Er bezahlt, geht ein paar Schritte. Dann dreht er um, legt der Verkäuferin zehn Cent hin und fragt, ob er eine Plastiktüte bekommen könne. Die Verkäuferin gibt ihm eine, in die der Mann die Zigarettenschachtel steckt. Dann verschwindet er.

     

    Vielleicht regt ein Plastiktütenverbot mal wieder ein paar eingeschlafene Gehirnzellen im Verantwortungsbewusstsein an.