Kommentar EU-Gipfel: Tief gespaltene Union
Donald Tusk spricht Tacheles: Die EU ist tief gespalten, in der Flüchtlings- wie in der Eurofrage. Neue Formen der Solidarität sind jetzt gefragt.
E s war ein Krach mit Ansage. Im Herbst hatte EU-Ratspräsident Donald Tusk angekündigt, Entscheidungen auf EU-Gipfeln künftig anders vorzubereiten. Statt alle Konflikte in Harmoniesauce zu ertränken, wollte er Probleme der EU offen ansprechen, um sie dann leichter zu lösen.
Nun hat Tusk Klartext geredet – und damit das letzte Treffen der 28 Staats- und Regierungschefs in diesem Jahr überschattet. Mit seinen Aussagen zur umstrittenen EU- Flüchtlingsquote, die er „ineffizient“ und „spalterisch“ nannte, hat der rechtsliberale Pole einen Eklat ausgelöst.
Dass er es danach auch noch wagte, vor einer doppelten Spaltung der EU zu warnen, nahm ihm vor allem Kanzlerin Angela Merkel übel. Dabei hat Tusk ja recht: Neben dem neuen Graben zwischen Ost und West bei der Migration tut sich auch ein Riss zwischen Nord und Süd beim Euro auf.
Jahrelang wurden diese Gräben ignoriert. Jetzt liegen sie offen zutage. Das ist ärgerlich, aber auch eine Chance, endlich realistische Lösungen zu finden. Leider sieht es nicht danach aus, als ob dies auch gelingen würde. Denn so richtig Tusks Diagnose ist, so falsch ist seine Therapie.
Solidarität besser und anders organisieren
Die Lösung der Flüchtlingskrise liegt nicht in einem Zurück zu den Nationalstaaten, wie Tusk suggeriert. Denn das wäre, angesichts der Verweigerung in Polen, Ungarn und Tschechien, das Ende der Solidarität. Die Lösung liegt darin, die Solidarität anders und besser zu organisieren.
Statt mit verpflichtenden Quoten könnte es die EU mit freiwilligen Kontingenten versuchen, statt mit Zwangsgeldern mit Solidarbeiträgen für eine gemeinsame Asyl- und Migrationspolitik. Der Westen sollte auf den Osten zugehen, statt ihn an den Pranger zu stellen.
Ein neuer Ansatz ist auch in der Eurozone gefordert. Den Graben zwischen reichen Gläubigern im Norden und hoch verschuldeten Ländern im Süden wird man nicht durch eine verschärfte Sparpolitik überwinden, wie es Merkel mit ihrem Fiskalpakt vorhat. Der Pakt soll jetzt in EU-Recht überführt werden.
Die Schwarze Null für alle ist jedoch ebenso wenig eine Lösung wie der Versuch, ein paar Milliarden aus dem EU-Budget für den Euro abzuzwacken. Vielmehr sollte die EU endlich die Vorschläge des französischen Staatschefs Emmanuel Macron aufgreifen und über ein eigenes Euro-Budget und neue Formen finanzieller Solidarität nachdenken.
Doch da steht Merkel auf der Bremse, und das nicht erst seit der Bundestagswahl. Die CDU-Chefin blockiert schon seit Jahren jede große Euro-Reform. Hier offenbart sich eine dritte Spaltung der EU: Zwischen Besitzstandswahrern auf der einen und Reformern auf der anderen Seite. Merkel gegen Macron – das ist der neue, dritte Konflikt.
Noch ist er nicht offen ausgebrochen. Doch wenn es weitergeht wie bisher und alle Probleme auf die lange Bank geschoben werden, dann droht 2018 ein böses Erwachen. Im nächsten Sommer will Tusk den gordischen Knoten durchschlagen – beim Euro und bei den Flüchtlingen. Die Chancen stehen schlecht, trotz Klartext – denn die Spaltung sitzt zu tief.
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