Kommentar Doppelte Staatsbürgerschaft: Zeit für zwei Pässe
Es ist richtig, dass die SPD die Debatte über den Doppelpass neu eröffnet. Der faule Kompromiss namens "Optionspflicht" war für Nicht-EU-Bürger von Anfang an ungerecht.
A uf dem ersten Blick wirkt es wie ein alter Hut, den die SPD da hervorzaubert. Doppelte Staatsbürgerschaft – das war doch mal eines der großen Versprechen, mit dem die rot-grüne Regierung 1998 angetreten war? Doch dann machte die hessische Union unter Roland Koch mit einer Unterschriftenkampagne dagegen mobil, gewann die Landtagswahl, kippte die Mehrheit im Bundesrat und torpedierte so die rot-grüne Reform des Staatsbürgerschaftsrechts.
Heraus kam jener faule Kompromiss namens "Optionspflicht", nachdem sich Einwandererkinder mit 18 zwischen dem deutschen Pass und jenem ihrer Eltern entscheiden müssen. Das war von Anfang an ungerecht, denn für Angehörige von EU-Staaten gilt diese Regel nicht.
Sie richtet sich vor allem gegen Türken, was dazu geführt hat, dass deren Einbürgerungszahlen stagnieren. Rund drei Millionen Menschen türkischer Herkunft leben in Deutschland, meist seit Jahrzehnten. Aber fast zwei Drittel von ihnen besitzen keinen deutschen Pass.
Es ist absurd, ihnen zum Vorwurf zu machen, sich nicht zu integrieren, wenn man es ihnen unnötig schwer macht, Deutsche zu werden. Und die Staatsbürgerschaft ihrer Eltern aufzugeben fällt nun mal vielen schwer – teils aus emotionalen, teils aus erbrechtlichen Gründen.
Natürlich hat die SPD derzeit keine Chance, im Bundestag eine Mehrheit für ihren Vorschlag zu bekommen. Doch es ist richtig, dass sie die Debatte über den Doppelpass neu eröffnet. Und sieht man das Tempo, in dem Angela Merkel derzeit alte Glaubenssätze und Gewissheiten der Union über Bord wirft, stehen die Aussichten gut, dass die nächste Regierung – ob mit oder ohne Merkel – ein Einsehen hat und die unsinnige Optionspflicht wieder abschafft. Die Zeit dafür ist reif.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Treibhausgasbilanz von Tieren
Möchtegern-Agrarminister der CSU verbreitet Klimalegende
Ägyptens Pläne für Gaza
Ägyptische Firmen bauen – Golfstaaten und EU bezahlen