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Kommentar DioxinskandalDie Retro-Agrarpolitiker

Kommentar von Hanna Gersmann

CDU und SPD erklären die Dioxineier als Einzelfall ab. Dabei sind verunreinigte Lebensmittel das systematische Ergebnis einer industrialisierten Turbo-Landwirtschaft.

I m Skandal um vergiftete Lebensmittel werden die Verbraucher von der Politik gezielt in die Irre geführt. Ilse Aigner gibt ein paar Schurken die Schuld, weil Dioxine im Frühstücksei, im Schweine- und Putenschnitzel auftauchen. Alt-SPD-Mann und Bauernlobbyist Karl-Heinz Funke kaut im Fernsehen genüsslich ein Ei. Die Botschaft von beiden: Wir haben alles im Griff. Dabei haben sie überhaupt keinen Plan.

Es ist fahrlässig, wie Union und SPD ein Zukunftsthema vernachlässigen: Immerhin stellt die Agrarpolitik die Weichen dafür, wie sich Städter und Dörfler weltweit ernähren. Noch immer verstehen die Talkshow-Experten beider Parteien Agrarpolitik als reine Industriepolitik.

Sie schützen die mächtige Lebensmittelwirtschaft, eine der größten Branchen Deutschlands. Sie tun, als seien Antibiotika in Shrimps, Mäusekot in Mozzarella und Dioxin im Essen Einzelfälle. Dabei sind die verunreinigten Lebensmittel das systematische Ergebnis einer industrialisierten Landwirtschaft, die auf Turboerträge zu Turbobilligpreisen ausgerichtet ist – und wenigen Konzernen, aber sonst keinem gut tut.

taz
HANNA GERSMANN

Hanna Gersmann ist taz-Redakteurin im Ressort Wirtschaft und Umwelt.

Sie treibt viele Bauern in den Ruin, sie belastet das Trinkwasser mit Nitraten, sie heizt das Klima auf. Das hat selbst die Europäische Kommission verstanden, die einen ökologischeren Weg einschlagen und Agrarsubventionen entsprechend umtopfen will.

Unionsleute und SPDler aber zeigen sich hart. Sie nehmen die Schäden durch die Agrarindustrie in Kauf und verstehen nicht, dass sie langfristig damit die Grundlagen der Ernährung zerstören.

Die Möchtegern-Volksparteien brauchen dringend Fachleute, die die Agrardebatte modernisieren. Ihre Wähler sind längst weiter. Sonst wären Bücher wie "Anständig essen" von Karen Duve oder "Tiere essen" von Jonathan Safran Foer keine Bestseller.

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taz-Autorin
War von 2002 bis 2013 in der taz, leitete dort zuletzt das Inlandsressort. Jetzt gehört sie zum Büro die-korrespondenten.de im Haus der Bundespressekonferenz in Berlin. Sie schreibt vor allem über Umwelt-, Verbraucher- und Wirtschaftspolitik.
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6 Kommentare

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  • Y
    yotago

    Alt-SPD-Mann und Bauernlobbyist Karl Heinz "Fleisch" Funke ist der beste Beweis, dass Fleischkonsum mit extremen psychische Störungen verbunden ist. Sein Ausspruch: "Die Bestimmung eines Schweins ist das Kotelett. Denn wenn wir Schweine nicht essen, würde es sie gar nicht geben."

    (Quelle:hart aber fair, 15.12.2010) hat seine Entsprechung in: "Die Bestimmung eines Politikers ist, dass man sich seine Silberhochzeit von Lobbyisten bezahlen lässt. Denn wenn wir keine Gelder annehmen, würde es sie gar nicht geben"

  • VD
    Volker Dilchert

    Ich habe einen Artikel zum Thema Dioxin geschrieben. Bei den Recherchen zu den Dioxin-Grenzwerten stieß ich auf einen interessanten Widerspruch: Der Dioxin-Grenzwert für Futtermittel beträgt 0,75 Nanogramm Dioxin pro Kilogramm Futtermittel. Der Dioxin-Grenzwert für einige Fischsorten beträgt dagegen 24 Nanogramm, also das 32fache des Futtermittel-Grenzwertes. Erstaunlich nicht wahr?

     

    Wieso ist der eine Dioxin-Grenzwert bei Fisch völlig unbedenklich während ein Überschreiten des Grenzwertes für die gleiche Substanz bei einem anderen Produkt fast eine nationale Hysterie auslöst? Das ist fast so als ob man Ihnen sagen würde: "Die Eier mit einer Dioxin-Belastung von 0,76 Nanogramm sollten Sie nicht mehr essen aber der Fisch mit einer Dioxin-Belastung von 23 Nanogramm ist ok."

     

    Wir sollten uns lieber Gedanken über eine wirksame Entgiftung des Körpers machen, da wir in der heutigen Zeit eine Belastung unserer Lebensmittel mit Umweltgiften (Schwermetalle, PAK, Herbizide, Fungizide, Pestizide) weder ausschließen noch verhindern können.

     

    Möglicherweise kontaminierte Lebensmittel aus dem Verkehr zu ziehen löst das Problem nicht. Besser wäre eine fundierte Aufklärung über effiziente Entgiftungsmaßnahmen wie Leberreinigung, Chlorella, Entgiftungsbäder, Darmreinigung etc.

  • M
    MIClimate

    "Industrielle Landwirtschaft" ist ein unethisches System der Fleischproduktion, dessen vor allen Blicken versteckte Wahrheit die perverse Realität der Schlachthöfe ist. Ich würde Kampagnen gegen den Fleischgenuss aus Massentierhaltung begrüßen, die diese Zusammenhänge in all ihrer Drastik zeigen. Vielleicht findet sich demnächst ja mal was auf Youtube.

  • J
    Jan

    @Fakten?

     

    Wie niedlich, dass Sie aus der "industrialisierten Landwirtschaft" die Futtermittelbetriebe raushalten, ich lach mich tot. Die gehören doch zu dem ganzen Konstrukt dazu.

     

    Können Sie sich vor dem posten mal informieren? Ist nichts neues, dass die Landwirtschaft mehr Klimagase emitiert als der gesamte welweite Verkehr (siehe Worldwatch Institute). Sie müssen mal etwas weiter denken und sich fragen, wo z.B. das ganze Mastfutter für die Deutschen "Nutz"-tiere herkommt. Wenn sie jetzt noch einrechnen, dass die Produktion von 1kg Fleisch 6 -18kg pflazen benötigt (je nach Tierart), dann erscheint ein Anteil von 50% am Treibhauseffekt nicht gerade unrealistisch.

  • W
    womue

    "Sie haben keinen Plan", genau! Aber haben denn die Grünen oder die Sozialdemokraten einen? Die heute geltenden Gesetze sind ja zuletzt von der rot-grünen Regierung modifiziert worden und wahrscheinlich nicht auf speziellen Wunsch von irgendwelchen Lobbyisten.

     

    Ich würde mich mal dafür interessieren, liebe taz, warum deutsches Schweinefleisch z.B. nach Südkorea exportiert wird? Hier belügt und betrügt man die Menschen, die gegen die Umweltbelastungen einer Schweinemastanlage protestieren. Und dann wird das Fleisch unter entsprechendem CO2-Ausstoß 10000km um die Erde geflogen, wo es vielleicht jetzt gerade in einer Sondermüllverbrennungsanlage landet. Dabei entstehen wieder Dioxine, die in den weltweiten Kreislauf eintreten, die wir vielleicht mit der nächsten Fischlieferung zurück bekommen. Der freie Welthandel ist eine prima Sache, aber ein wenig Vernunft dabei könnte auch nicht schaden.

  • F
    Fakten?

    vtl. benötigt die taz auch Fachleute die von Agrar-/Landwirtschaft wenigsten etwas verstehen...

     

    Zitat: ...mächtige Lebensmittelwirtschaft, eine der größten Branchen Deutschlands. Sie tun, als seien Antibiotika in Shrimps, Mäusekot in Mozzarella und Dioxin im Essen Einzelfälle. Dabei sind die verunreinigten Lebensmittel das systematische Ergebnis einer industrialisierten Landwirtschaft..."

     

    Also die "industrialisierte" Landwirtschaft ist schuld an verunreinigten Lebensmitteln, die Sie werte Frau Gersmann im Satz vorher noch der "mächtigen" Lebensmittelwirtschaft angelastet haben.

     

    Im konkreten Fall der Dioxine im Futtermittel liegt, so die bisherigen Aussagen, die Schuld beim Futtermittelhandel. Es wurden Fette für Tierfutter eingesetzt die nicht dafür geeignet waren.

    Dieses Tierfutter beziehen dann Betriebe, große (industrielle) wie kleine Betrieben.

     

    By the way wann fängt denn die insdustrielle Landwirtschaft an? Ab 100 Kühen, d.h. 99 Kühe sind noch "bäuerliche" Landwirtschaft und 101 Kühe dann "industrielle"?

     

    Zitat: "... sie belastet das Trinkwasser mit Nitraten, sie heizt das Klima auf."

     

    Nitrat im Grundwasser ist von vielen Faktoren abhängig, z.B. die Menge der Düngung (mineralisch oder organsch), die Umsetzung im Boden, etc.

    In Dtl. nehmen die N-Überschüsse seit Jahren ab (Stichwort verpflichtende N-Bilanzierung).

     

    Landwirtschaft und Klimawirkung (postiv und negativ) ist ein sehr breites Thema. Ein pauschales "Aufheizen" (was immer das auch ist) nur der Landwirtschaft zu unterstellen (es gibt noch Verkehr und Heizung!) halte ich für sehr einseitig.