Kommentar Die Woche: Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?
2010 war das Jahr des Törröristen und 2011 wird das der europäischen Medienzensur.
taz: Herr Küppersbusch, was war schlecht letzte Woche?
Friedrich Küppersbusch: Für meine kleine Radrunde brauche ich doppelt so lange und drei paar Strümpfe übereinander.
Was wird besser in dieser?
Wenn das taut, brauche ich Schwimmflossen.
Was war schlecht 2010?
Nichts! Hans im Glück, fort mit dem Ramsch!
Was wird besser 2011?
Ich hoffe, dass Hans recht hat.
Thilo Sarrazins persönlicher Jahresrückblick: Der Exbundesbanker klagt über eine "beispiellose Medienkampagne". Der Politik mangle es an Zivilcourage. Besonders hart attackiert er Merkel und Wulff.
Erste Septemberwoche: Der lustige Thilofant am Montag bei Beckmann, Mittwoch bei Plasberg, Donnerstag und Sonntag Thema bei Illner und Will; und Montag auf den Titeln von Focus und Spiegel. Letzterer und Bild hatten zuvor seine Texte unkommentiert wie ungeprüft vorabgedruckt. Das kann man "beispiellose Medienkampagne" nennen, schon recht. Bild krönte dann die "ARD-Themenwoche Rassehygiene" mit dem Dringend-beleidigt-sein-wollen-Klassiker "Das wird man ja wohl noch sagen dürfen".
FRIEDRICH KÜPPERSBUSCH ist Journalist und Fernsehproduzent. Jede Woche wird er von der taz zum Zustand der Welt befragt.
In dieser Woche durfte man nichts anderes sagen. ARD-intern wurde hart gerungen, wer sich den wehleidigen Törröristen und Leiter der SPD-Abt. Ahnenerbe noch alles einladen darf. Und auch drumherum galt: Endlich liefert mal ein unverdächtiger Sozi die NPD-O-Töne, mit denen wir schon lange Quote und Auflage machen wollen. Da können Rundfunkrat und Aufsichtsgremien nichts machen. So gesehen: ein Designer-Talkgast. In derselben Woche wurde die Wehrpflicht geschliffen und der Atomausstieg zurückgeholt. Das fiel kaum auf.
Deutsche Bischöfe fordern zu Weihnachten ein komplettes Verbot von Embryonentests bei künstlicher Befruchtung. Eltern dürften kein Recht auf ein gesundes Kind haben. Richtig gedacht?
Das Verhütungsverbot macht auch Herren zum Herrn über andere Menschen und Krankheiten, da wissen die katholischen Bischöfe, wovon sie reden. Längst erfahren werdende Eltern routinemäßig vieles vorab, was die Schwangerschaft beeinflussen kann. Fruchtwasseruntersuchungen etwa vor Ende des dritten Monats. Und längst kommt es zu medizinisch indizierten Abbrüchen oder eben zu dem unlösbaren Dilemma, später seinem Kind gestehen zu müssen: "Ja, wir wussten, dass du behindert sein würdest, wir haben dir dies Leben zugemutet." Pfarrer und Politiker bekommen diese Kinder nicht und begleiten sie nicht durchs Leben. Die Entscheidung - egal zu welchem Zeitpunkt der Schwangerschaft - können nur die Eltern treffen.
Wie bewerten Sie die erste Weihnachtsrede Christian Wulffs?
Ehrenamt kommt immer gut. Erst im Dreiklang mit dem sauber durchgestandenen Integrationsthema und dem angekündigten "Ja zum politischen Gemeinwesen" schimmert das Potenzial dieses Bundespräsidenten durch. Habermas soll auf die Frage "Was hat 68 denn nun gebracht" geantwortet haben: "Rita Süßmuth". Da kannte man Wulff noch nicht so. Dass er nun die 28 Millionen Ehrenamtlichen hochleben lässt, ist so angemessen wie klug; ohne Hausmacht scheitert auch ein Staatsoberhaupt. Die Hausmacht, BürgerInnen und Bürger, erstmals ins Bild zu rücken statt des geübten Frontalunterrichts: Das gibt noch ein Plus in der B-Note für den künstlerischen Eindruck. Sieben von zehn Punkten.
Ungarn schränkt die Pressefreiheit massiv ein. Dabei lobte Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer vor Kurzem noch in Budapest mit offenem Neid Premier Orbán für die tatkräftige Art, das Land umzukrempeln. Wird demnächst auch die Presse in Bayern gleichgeschaltet?
Ab Januar sitzt ein Land der EU vor, in dem eine Zentralbehörde öffentliche wie private Sender, Zeitungen und Netzportale kontrolliert. Sie verhängt existenzvernichtend hohe Bußgelder bei missfälliger Berichterstattung und kann JournalistInnen zwingen, ihre Quellen preiszugeben. Mal ab von der Frage, warum Rechtspopulisten alles machen müssen, wovon Linkspopulist Oskar Lafontaine mal geträumt hat: ungern Ungarn, lieber Bayern. Man soll ja voreilige Nazi-Vergleiche meiden, und Seehoferhotte macht das sehr elegant: "Ich bin tief davon beeindruckt, wie Orban mit einem klaren Konzept herangeht, um die wirtschaftliche Lage des Landes zu verbessern." Hund sans schon, Gulaschkanonen unter sich.
Und was machen die Borussen?
Gegen Frankfurt zu verlieren und einen hysterisch geforderten statistischen Rekord zu vergeigen: Das, liebe Bayern, ist Stil. Das schafft ihr nie.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Lateinamerika und Syrien
Assads Freunde