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Kommentar DeutschtürkenTendenz zum Rückzug

Daniel Bax
Kommentar von Daniel Bax

Politik und Wirtschaft in Deutschland kann es kaum recht sein, wenn gerade die dritte Generation der Deutschtürken an Auswanderung denkt.

V iel Neues hat die Studie über Deutsch-Türken nicht zu Tage gebracht. Überraschen kann es auch nicht, dass gerade viele Deutsch-Türken auf Distanz zu Deutschland gehen. Nach den vielen Zumutungen der letzten Jahre, von den unsäglichen Islamdebatten über Sarrazin bis hin zu den Morden der NSU ist es wenig erstaunlich, dass sich bei jungen Deutschtürken die Tendenzen zum Rückzug in die eigene Gruppe und zu einem trotzigen Bekenntnis zur eigenen Religion verstärkt haben.

Übergehen muss man konservative Einstellungen zur Homosexualität oder die Ablehnung von Atheisten und Juden damit noch lange nicht. Und wo solche Einstellungen ihrerseits zu diskriminierendem Verhalten führen, auf der Straße oder auf dem Schulhof, muss man ihnen entschieden entgegen treten. Aber es wäre falsch, diese Studie zum Anlass zu nehmen, um mal wieder die Integrationsfähigkeit der größten Migrantengruppe in Frage zu stellen, dafür sind die Ergebnisse im Detail auch zu widersprüchlich.

Deutschland muss sich vielmehr fragen, wo es selbst bei der Integration versagt, denn auch davon zeichnet die Studie ein beredtes Bild. Anders gesagt: Es muss den Kampf gegen Diskriminierungen jeder Art endlich ernster nehmen.

Bild: taz
DANIEL BAX

ist Redakteur im für Migration und Integration im Inlandsressort der taz.

Erst vor zwei Wochen hat eine Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes gezeigt, dass sich viele türkischstämmige Bürger, aber auch Zuwanderer aus Afrika, Asien und Lateinamerika auf dem Arbeitsmarkt, in den Behörden und im Bildungsbereich nach wie vor benachteiligt sehen. Dass junge Deutschtürken darauf reagieren, indem sie die Türkei verklären oder mit dem Gedanken spielen, aus Deutschland wegzugehen, ist evident. Entgegen kommt ihnen dabei, dass die Türkei derzeit einen beispiellosen Wirtschaftsboom erlebt, der das Land als Alternative attraktiv macht.

Politik und Wirtschaft in Deutschland kann es allerdings kaum recht sein, wenn sich gerade die zweite und dritte Generation, die hierzulande ausgebildet wurde, mit Auswanderungsgedanken trägt. Sie sollten deshalb etwas dagegen tun, um einer weiteren Entfremdung entgegen treten. So lange die Bundesregierung aber zum Beispiel der Meinung ist, dass der deutsche Pass erst „am Ende einer gelungenen Integration“ stehen kann, darf sie sich über eine fehlende Identifikation vieler Migranten mit diesem Land nicht wunder.

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Daniel Bax
Redakteur
Daniel Bax ist Redakteur im Regieressort der taz. Er wurde 1970 in Blumenau (Brasilien) geboren und ist seit fast 40 Jahren in Berlin zu Hause, hat Publizistik und Islamwissenschaft studiert und viele Länder des Nahen Ostens bereist. Er schreibt über Politik, Kultur und Gesellschaft in Deutschland und anderswo, mit Fokus auf Migrations- und Religionsthemen sowie auf Medien und Meinungsfreiheit. Er ist Mitglied im Vorstand der Neuen deutschen Medienmacher:innen (NdM) und im Beirat von CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit. Er hat bisher zwei Bücher veröffentlicht: “Angst ums Abendland” (2015) über antimuslimischen Rassismus und “Die Volksverführer“ (2018) über den Trend zum Rechtspopulismus. Für die taz schreibt er derzeit viel über aktuelle Nahost-Debatten und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW).”
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7 Kommentare

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  • B
    Brandt

    Nein, die Auswanderung von Deutschtürken ist kein Problem für uns. Für eine Handelsnation wie die BRD ist es von Vorteil, wenn sie ihre Netzwerke in die Türkei spannt. Der internationale Handel ist sehr ineffektiv und hängt von Kontakten ab. Eine Kanzlei oder ein Notar mit Deutsch und Türkischkenntnissen und einer Fachausbildung ist für uns in der Türkei wertvoller als in der BRD. Es ist für die deutsche Wirtschaft ein Gewinn, wenn Deutschtürken in der Türkei mit einem deutschen Studium ins mittlere Management aufsteigen.

     

    Migration verbessert i.a. die Produktivität der Human Kapital Träger. Eher sollten wir uns überlegen, ob wir Migration, Handel und Bildungsaustausch nicht institutionell besser organisieren. Z.B. könnten wir neben der Gemeinschaftsschule, Gymnasium auch Internationale Schulen zur Regelschule machen.

     

    In den Niederlanden werden Privatschulen bereits staatlich finanziert. In NRW erhalten Privatschulen etwas mehr als 90% der staatlichen Förderung. Mit etwas politischen Willen könnte man einen Schul- und Hochschulpakt für NRW und die Niederlande vereinbaren, um gemeinsame Bildungspfade für eine internationale Karriere für die etwa 20% migrantische Bildungsaufsteiger einrichten.

     

    Ein Verlust an Human Kapital ist nicht zu befürchten. Wir brauchen einfach nur zwei Massnahmen vornehmen.

     

    Erstens: Steuervereinbarungen bei der Körperschafts- und Lohnsteuer für multinationale Unternehmen, die deutsche Bildungsinländer beschäftigen

     

    Zweitens: Betriebsrenten von deutschen Bildungsinländern im Ausland sind durch Sonderfonds zu verwalten. Die Fondsmanager sorgen dafür, dass Investitionsquoten in deutsche DAX-Unternehmen und deutsche Staatsanleihen eingehalten werden.

     

    Beide Massregeln sorgen dafür, dass die Bildungsinvestitionen in Deutschtürken als Bildungsinländer an den Fiskus und die betriebliche Altersvorsorge zurückfliesst.

     

    Da bei der Ausbildung der akademischen Deutschtürken vor allem Bereitstellungskosten angesetzt werden, sollte der Break-Even Point rasch erreicht werden.

  • D
    D.J.

    @T.V.

     

    Wenn Sie die Probleme nicht nur wie Bax auf einer Seite sehen, sind wir doch schon mal d'accord. Religion beispielsweise, unzweifelhaft ein potentielles Gift für das menschliche Zusammenleben, ist nun mal oftmals ein Faktor, der nicht vulgär-marxistisch als bloße Reaktion auf gefühlte oder tatsächliche Benachteiligung gesehen werden kann.

    Mein Rezept dagegen: Aufklärungsunterricht (historisch, naturwissenschaftlich, religionskundlich) statt Religiotenunterricht. Das stets gefährdete Projekt Aufklärung ist einfach viel zu kostbar, um es auf dem Altar politischer Korrektheit zu opfern. Aber in den Wind gesprochen...

  • T
    T.V.

    @D.J.: Dann muss es wohl Ansichtssache sein, wer hier die (welche eigentlich?) "Problematik" verbiegt. Nationale Probleme sieht hier nur, wer in Nationen denkt, statt in Menschen. Menschenhaß wird halt auch in kaum ausgeprägter Form gerne direkt erwidert, da gibt es genug Argumente für beide Seiten.

  • Z
    zat

    Ich bin immer wieder erstaunt, wieviel Vertrauen der Aussagekraft von Umfragen entgegengebracht wird.

  • D
    D.J.

    Das Anheimelnde an Bax ist, dass man fast wortwörtlich vorher weiß, was er zu einem bestimmten Thema absondern wird. Ist ja auch fast dasselbe: Schuld an Integrationsproblemen ist stets und auschließlich die Aufnahmegesellschaft, niemals Nationalismus innerhalb der Migrantengruppe, schon gar nicht eine kollektiv-wahnhafte Weltdeutung, auch Religion genannt.Würde gern mal in seinen Kopf schauen und erfahren, ob er seine Sermones eigentlich selbst glaubt oder aus gesellschaftspädagogischen Gründen die Problematik - nun, sagen wir, ein wenig verbiegt.

  • A
    angelo

    Da die Deutsch-Türken anscheinen eine extreme Bindung an ihr Heimatland haben, ist es doch ganz natürlich, dass sie lieber unter Ihresgleichen leben wollen und wenn sie in Deutschland keinen Job bekommen, aber in der wirtschaftlich aufstrebenden Türkei Karriere machen können, ist das doch o.k. Da gerade bei Türken die Schulabbrecherquote sehr hoch ist, haben sie vielleicht ohne Berufsausbildung in der Türkei eher eine Chance ihren Lebensunterhalt selber zu verdienen. Laut Statistiken würden, wenn die Sozialleistungen in der Türkei besser wären sowieso 45% der Türken in die Türkei zurückkehren. Auch gut ausgebildete Biodeutsche sind ausgewandert, allerdings wurden denen wohl keine Tränen nachgeweint, warum denn den Türken - zumal es durch die europäische Wirtschaftskrise vermehrt junge, gut ausgebildete Europäer, die höchstwahrscheinlich nicht wirklich Integrationsprobleme hätten, nach Deutschland zieht. So ist es eben in einer Multikultination, der eine kommt, der andere geht

  • R
    Raketenprinz

    "Deutschland muss sich vielmehr fragen, wo es selbst bei der Integration versagt, denn auch davon zeichnet die Studie ein beredtes Bild."

     

    Solange wir von "Deutschtürken" sprechen und – wenn schon nicht von Deutschen, was angemessen wäre – nicht von Türkischdeutschen, versagt Deutschland bereits semantisch.

     

    Siehe Wikipedia: "Bei Determinativkomposita in germanischen Sprachen bestimmt das Erstglied (Determinans, modifier, Bestimmungswort) das Zweitglied (Determinatum, head, Grundwort, Basiswort) näher."

    Beispiel: Filterkaffee ist Kaffee. Ein Kaffeefilter ist ein Filter.

     

    Nun kann nicht jeder die grammatikalischen Regeln herunterbeten - aber wir alle kennen den Unterschied zwischen Filterkaffee und Kaffeefilter. Und solange Deutschland von Deutschtürken spricht, bleiben diese sprachlich ausgebürgert.