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Kommentar Derivate-HandelReine Spekulationen verbieten!

Ulrike Herrmann
Kommentar von Ulrike Herrmann

Der schwer kontrollierbare Handel mit Derivaten soll durchschaubar und sicherer werden. Doch es reicht nicht, nur Clearingstellen einzurichten. Die Politik muss weiter gehen.

D ie Finanzmärkte sind eine riesige "Zockerbude". Dieses Bild hat sich bei den meisten Bürgern festgesetzt - und sie liegen damit richtig. Gezockt wird vor allem mit Derivaten, denn mit ihnen lassen sich Wetten abschließen. Gewettet wird auf alles, was sich bewegt: auf die Entwicklung von Zinssätzen, Devisenkursen, Aktienkursen, Rohstoffpreisen oder Kreditausfallrisiken. Eigentlich sind es Nullsummenspiele. Was der eine gewinnt, verliert sein Gegenüber.

Das klingt so harmlos wie eine Fußballwette - und doch sind Derivate extrem gefährlich. Denn mit ihnen werden Billionen umgesetzt, und da kann eine verzockte Wette schnell eine ganze Bank in den Abgrund reißen. Insofern ist es richtig und höchste Zeit, dass sich die EU-Finanzminister darauf geeinigt haben, dass alle Derivate über Clearingstellen abgewickelt werden. Denn bisher wurden diese Papiere meist nur zwischen zwei Partnern "over the counter" gehandelt - so dass niemand wusste, wer eigentlich welches Derivat besitzt. Das hat die Unsicherheit auf den Finanzmärkten extrem verstärkt.

Trotzdem reicht es nicht, nur Clearingstellen einzurichten. Denn damit wird das Risiko im System nicht reduziert - sondern bei den Clearingstellen konzentriert. Noch immer ist es möglich, dass sich Banken grandios verzocken und die Steuerzahler dann die Kosten tragen dürfen. Deswegen müssten sich die EU-Finanzminister dringend auf weitere Schritte einigen.

Bild: taz
ULRIKE HERRMANN

ist wirtschaftspolitische Korrespondentin der taz.

Erstens: Jedes Derivatgeschäft ist mit Eigenkapital zu unterlegen. Zweitens: Alle Derivatgeschäfte werden verboten, die der reinen Spekulation dienen. Letzteres bedeutete, dass man nicht mehr einfach auf den Ölpreis wetten könnte - man müsste auch die Tankerladung in Empfang nehmen. Ölhändler hätten damit kein Problem, Spekulanten schon. Deswegen wäre eine solche Regelung so effektiv.

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Ulrike Herrmann
Wirtschaftsredakteurin
Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

4 Kommentare

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  • M
    Michael

    Frau Hermann, kleine Kunde in "wie funktioniert der Kapitalismus":

    Der Kapitalismus besteht nur aus Wetten. Wenn ich eine Investition tätige, kann ich damit erfolgreich sein oder nicht. Wenn ich mein Geld auf eine Bank bringe, wette ich darauf, dass die Bank noch existiert, wenn ich mein Geld abholen will. Wenn ich mein Geld lieber im Sparstrumpf aufhebe, wette ich darauf, dass es zu keiner starken Inflation kommt oder mein Haus samt Sparstrumf abbrennt.

     

    Das funktioniert auch ganz ohne Derivate. Jede Entscheidung über mein Geld ist im Prinzip eine Wette.

  • H
    Hasso

    Ihr Wort in Gottes Ohr, Frau Herrmann-, aber die Politik ist zu schwach. Die sogenannten Volksvertreter bekommen ein paar Spenden von den Banken und schon verfallen sie wieder in ihr Duckmäusertum. Die Welt ist ein Riesen-Zirkus geworden-, dank des Neo-Liberalismus. Aber langsam scheint das Volk aufzuwachen.

  • F
    FRITZ

    "Zweitens: Alle Derivatgeschäfte werden verboten, die der reinen Spekulation dienen."

     

    Liebe Frau Hermann, könnten Sie bitte genauer erläutern, was Sie mit Derivaten, "die der reinen Spekulation dienen" meinen? Oder würde das voraussetzen, dass man die Funktionsweise von Derivaten versteht?

     

    Wie halte ich, um mal in ihrem Beispiel zu bleiben, eine Wette auf einen steigenden Ölpreis, den ein Industrieunternehmen abschließt, um sich gegen exakt dieses Risiko abzusichern, von einer Wette auf einen steigenden Ölpreis , den ein Händler abschließt, weil er glaubt, dass der Ölpreis steigen wird und daran gerne verdienen möchte, auseinander. Oder muss das Industrieunternehmen dann tatsächlich Öl bunkern (was es nicht kann!)? Und wie verhindere ich, dass der Händler dann Rechte an physischem Öl erwirbt (was den exakt gleichen Effekt wie ein rein synthetisches Derivat hätte)? Alles verbieten? Soll man dann die zehntausende unterbeschäftigte Beamten (Bundeswehr, BA) dafür einsetzen, das zu verwalten? Wäre das effizient?

     

    Dennoch ist ihre eher im Ungefähren angesiedelte Analyse im Ergebnis natürlich nicht falsch - der Markt für Derivate muss stärker reguliert werden, um Auswüchse und systemische Risiken zu vermeiden. Aber der Ansatz "böse Derivate verbieten" springt vielleicht ein bisserl kurz.

  • R
    Risikomilderung

    Derivate an sich sind weder gut noch böse, es kommt auf den Einsatzzweck an.

    Wenn der Bauer im Frühjahr seinen Weizen aussät, dann weiss er nicht, wie der Preis sein wird, wenn er ihn im Herbst verkaufen kann.

    Ein schlauer Bauer wird zumindest einen Teil im Vorhinein zu einem festen Preis verkaufen, um sich gegen zu niedrige Preise im Herbst abzusichern.

    Ebenso wird er versuchen, sich bereits jetzt Futter für den Winter zu einem bestimmten Preis einzukaufen, selbst wenn das Futter bis dahin noch nicht produziert ist. Das nennt man Risikoabsicherung und ist alles andere als Zockerei, obwohl es hierbei natürlich um Wetten auf künftige Preise geht. Ebenso verantwortlich handeln Firmen, die sich gegen schwankende Wechselkurse für ihre Waren absichern, oder Kleinanleger, denen das Direktinvestment in Aktien zu riskant ist. Sie geben lieber alles, was in einem Jahr mehr als 30% Gewinn macht, ab, und kriegen dafür im Falle eines 30%igen Verlusts ihren Ausgangspreis wieder.

    Die pauschale Verurteilung von Derivaten ist purer Populismus in Ermangelung von Sachkenntnis.

    Viel wichtiger sind ein verantwortliches Risikomanagement und Transparenzvorschriften.