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Kommentar DatenschutzÖffentlichkeit als Gefahr

Kommentar von Kai Schubert

Die Idee des Datenschutzes hat potentiell paternalistische Züge. Angehörige von Minderheiten sind jedoch bis auf weiteres auf ihn angewiesen.

P ost-Privacy-Aktivisten sind die Lieblinge des Feuilletons. Sie kritisieren den Datenschutz mit teils guten Argumenten, ihre eigenen Ideen sind jedoch keine politische Alternative, sondern postmoderner Lifestyle.

Die Bewegung wirft Datenschützern vor, mit ihrem Appell an die "rettende Regierung" eine Entwicklung zum orwellschen Staat zu fördern, der zum Schutz aller Daten auf massive Kontrollinstrumente angewiesen ist. Schnüffelt er selbst, raten sie höchstens zu "Verhältnismäßigkeit".

Dagegen setzen die Aktivisten auf die vollständige Offenlegung der Daten aller sowie den Verzicht auf Privatsphäre. Konsequenterweise dokumentieren sie intime persönliche Daten im Netz. Ziel ist die "transparente Gesellschaft", in der Konflikte durch gegenseitige Kontrolle vermieden werden. Von Menschen, die – auch unbewusst – privilegiert sind, mag diese mit revolutionärem Gestus vorgetragene Forderung als private Spielerei abgetan werden.

Bild: Anja Weber
KAI SCHUBERT

ist 20 Jahre alt, geboren und aufgewachsen in Berlin. Er studiert Judaistik und Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin.

Der grundlegende Fehler ist jedoch zu glauben, umfassende Transparenz wirke sich auf alle mehr oder weniger gleich aus. Die Menschen würden sich im "anarchischen" Netz besser als im realen Leben verhalten, wo bekanntlich Ressentiments großen Einfluss haben, die durch Transparenz allein nicht verschwinden werden. Wer gesellschaftlichen Normen nicht entspricht, muss die Aufforderung zum Verzicht auf die eigene Privatsphäre als Drohung empfinden. Die Forderung nach allgemeiner "Transparenz" fällt somit selbst hinter die traditionelle Forderung nach dem "gläsernen Staat" zurück.

Regressive Technikkritik hilft nicht

Dass Daten, die einmal im Netz aufgetaucht sind, nicht zu kontrollieren sind, ist eine Binsenweisheit. Die Antwort auf die Frage nach dem Datenschutz darf keine regressive Technikkritik sein, die das Internet dämonisiert und ihm grundsätzlich eine Verflachung der menschlichen Beziehungen vorwirft.

Die Beziehungen der Menschen sind stark durch die Gesellschaft und ihre soziale Lage geprägt. Durch einen krisenbedingten erhöhten Konkurrenzdruck sowohl innerhalb der Gesellschaft als auch im internationalen Wettbewerb werden sie zunehmend unsolidarischer, ausgrenzende Ideen breiten sich aus.

Sowohl Datenschützer als auch Post-Privacy-Aktivisten beschäftigen sich jedoch lediglich mit den Kommunikationswegen, die Menschen gebrauchen, und blenden die Gründe für das Entstehen antipluralistischer Ideologien aus, die ein vollständig transparentes Zusammenleben auf absehbare Zeit unmöglich machen. Beide geben somit keine befriedigende Antwort auf die Frage einer wünschenswerten Zukunft der Informationsgesellschaft.

taz Panter Workshop

Dieser Text ist entstanden in der taz.akademie im Rahmen des 1. taz Panter Workshops Online "Internet Hauptstadt Berlin" für angehende Journalisten.

Anstatt das freiwillige Aufgeben der Privatsphäre zu propagieren, bräuchte es eine neue gesellschaftliche Debatte über solidarisches Zusammenleben und eine gerechte Antwort auf die multiple Krise Europas.

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2 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • T
    Tomate

    Damit auch Butter bei die Fische ist, hier mal ein Link zu einer Story, die zeigt, welche Auswirkungen eine eigentlich ganz harmlose Datenspur haben kann:

     

    http://www.20min.ch/print/story/20139035

     

    Das Problem mit dem Datenschutz ist, dass die negativen Folgen seiner Missachtung kaum jemals greifbar und noch seltener justitiabel werden. Nur selten stellen sich Arbeitgeber dermaßen doof an oder greifen dermaßen verzweifelt nach einem Kündigungsgrund wie die Nationale Suisse. Aber wer kann schon sagen, warum ihm das US-Visum nach bereits gebuchter und bezahlter Urlaubsreise vorenthalten wurde? Warum er bei einer Bewerbung im öffentlichen Dienst abgelehnt wurde?

     

    Und mit der Einführung von Vorratsdatenspeicherung und Rasterfahndung wird es aufgrund der Datenspur zu einer tausendfachen Vervielfältigung auslegbarer "Verdachtsmomente" gegen unbescholtene Bürger kommen, die einfach nur ihr Handy zur falschen Zeit am falschen Ort angeschaltet hatten. Etwa weil sie ihre Freundin ausgerechnet an den Abenden in diesem und jenem Berliner Bezirk besucht haben, an denen auch das eine oder andere Auto abgefackelt wurde. Das reicht dann schon aus - statt echter Polizeiarbeit - dass einem die Wohnung von einem SEK gestürmt wird, und dass die Nachbarn oder Arbeitskollegen von Beamten befragt werden.

     

    Aber meistens werden die Folgen des Datenmissbrauchs nicht mit dem Missbrauch in Verbindung gebracht werden können - deshalb bleibt das Problem für die meisten Bürger nachrangig. Wenn man zu Unrecht verhaftet und in der Haft misshandelt wird, sieht man es hinterher, oder der Betroffene schreit es in die Welt hinaus. Wenn sein informationelles Selbstbestimmungsrecht verletzt wurde, dann kriegt er meistens selbst nichts davon mit. Die Folgen fallen dann aber trotzdem auf ihn zurück.

  • T
    Tomate

    Irgendjemand hat mal gesagt, dass es bei Bürgerrechten immer darum geht, dass das Individuum vor dem Staat beschützt wird. Und dass Zivilisation und Rechtlichkeit darauf beruhen, dass der Einzelne, Schwache vor dem (bzw. den) Stärkeren beschützt wird.

     

    In der Lehre der Kriegsführung hat Information (als "Aufklärung") eine oft größere Bedeutung als Truppenstärke und Bewaffnung. Wer den anderen ausforscht, tut das nicht nur im Krieg, sondern auch im persönlichen Alltag nicht aus neutralem Interesse, sondern forscht nach seinen Stärken und Schwächen. Entsprechend gilt Spionage, die von allen Staaten betrieben wird, zugleich auch überall als Verbrechen und wird oft schwer bestraft.

     

    Nun soll ich als Einzelner es erlauben und kein Problem damit haben, dass mich der Staat oder irgendwelche Unternehmen - oder auch mein Wohnumfeld, mein Arbeitsumfeld usw. - in einem Umfang ausforschen können, das vor Jahren noch undenkbar gewesen wären? Kräfte, gegen die ich, lebensrealistisch gesehen, in einem Streitfall kaum eine Handhabe besitze, allein schon deshalb, weil ich nicht so viel Geld für Anwälte (oder auch nur Zeit für irgendeinen Rechtsstreit) übrig habe wie "die", wenns mal drauf ankommt? Oder weil man Ausgrenzung im eigenen Umfeld eben nicht mal so wegklagen kann.

     

    Wer sich mit dieser Idee anfreunden kann, dem geht es noch zu gut. Genau diese Haltung ist daran schuld, dass das Leben in Deutschland und Europa in den letzten 20 Jahren für die meisten Menschen nicht besser, sondern eher schlechter geworden ist: wir haben uns von 40 Jahren Frieden und sozialer Stabilität einlullen und einschläfern lassen. Die "anderen" aber haben nicht geschlafen, wie man heute sieht.

     

    Und damit sollen wir jetzt im Bereich des Datenschutzes weitermachen? Denn "wenn jeder alles von sich preisgibt, dann wird auch der Ausgrenzung der Boden entzogen" und die Gesellschaft wird dann irgendwie von selbst besser (so eines der Postprivacy-Argumente)?

     

    Es wundert mich überhaupt nicht, dass fast all diese grausam naiven Postprivacy-Leute noch Kiddies sind, gerade erst volljährig geworden und höchstens in ihren 20ern. (Nichts gegen Sie, Herr Schubert - ich stimme Ihnen ja durchaus zu.) Immer schade, wenn sich eigentlich intelligente Leute frühzeitig auf irgendwelche Ansichten festlegen, noch ehe sie irgendwas Substantielles vom Leben mitgekriegt haben.

     

    Es stimmt, dass man über Fragen der Solidarität und der Gerechtigkeit diskutieren muss - aber man muss zugleich auch die Rechte des Individuums schützen, und hierbei ist Datenschutz nicht nur etwas, das als Bonus ebenfalls wünschenswert wäre, sondern ein unverzichtbarer und vorrangiger Bestandteil des Pakets der Bürgerrechte.