Kommentar DIW-Studie: Es ist Zeit, umzudenken

Es gibt kein anderes Industrieland, in dem die Reallöhne sogar im Aufschwung sinken. Jetzt ist es Zeit für einen erhöhten Spitzensteuersatz.

Die Mittelschicht schrumpft. Das ist durchaus erstaunlich, ist Deutschland doch ein Land, in dem alle etablierten Parteien monoman auf die "Mitte" zielen. Auch FDP und Union bezeichnen sich derzeit als eine "Koalition der Mitte".

Doch jenseits dieser Rhetorik verliert die Mittelschicht, steigen nicht wenige in die Unterschicht ab. Damit beschreitet Deutschland einen Sonderweg, wie OECD-Studien immer wieder zeigen: Es gibt kein anderes Industrieland, in dem die Reallöhne nicht nur in der Krise sinken - sondern sogar im Aufschwung.

Die Zäsur ist genau datierbar, wie auch die neue DIW-Studie zeigt: Es ist das Jahr 2000. Damals regierte bekanntlich Rot-Grün, und ausgerechnet diese Koalition der selbst ernannten Weltverbesserer begann mit einer Politik, die die Mittelschicht systematisch erodiert und die Top-Verdiener begünstigt. Einige Stichworte sind: Senkung des Spitzensteuersatzes, Unternehmensteuerreform, Ausweitung des Niedriglohnsektors.

Die folgenden Koalitionen haben dieses Klientelprogramm für die Reichen nur noch fortgesetzt. Dazu gehört dann etwa die Abgeltungsteuer oder die Reform der Erbschaftsteuer, die zu dem bizarren Ergebnis führt, dass Firmenerben selbst Milliardennachlässe völlig gratis übernehmen können und nicht einen Cent ans Finanzamt abführen müssen.

Aber vielleicht naht ja Rettung von ganz unerwarteter Seite: Inzwischen wird selbst Konservativen klamm, wenn sie die gesellschaftliche Spaltung beobachten. Anders ist nicht zu verstehen, dass sich sogar CDU-Wirtschaftsführer einen erhöhten Spitzensteuersatz vorstellen können. Diesen Vorschlag sollte sich die Mittelschicht unbedingt zu eigen machen. Eine bessere Zeit fürs Umdenken wird nicht kommen.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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