Kommentar Claudia Roth: Basis im Machtrausch

Claudia Roth war und ist wichtig für die Grünen. Weil sie einen eigenen Stil hat. Aber ernst genommen wird sie nicht.

Claudia Roth ist eine Ausnahmepolitikerin. Sie ist enthusiastisch, ihre Umarmungen sind legendär, und sie ist offen – auch wenn es um die Schattenseiten ihres Daseins geht. Redet etwa mit der FAZ über ihre Einsamkeit.

Sie wird auch medial als Ausnahmepolitikerin gesehen, dies aber meist im negativen Sinn: Wie kann sie sich nur solche Blößen geben? Oder die Klassiker: „Claudia Roth“ und „schrill“ bekommen 19.000 Treffer im Netz. „Claudia Roth“ mit „nervt“: 23.000 Treffer – auch weil die Grünen mal einen verunglückt-selbstironischen Wahlkampfslogan hatten: „Wer nervt mehr als Claudia?“

Nun tritt sie also wieder als Parteichefin an. Auch das ist nicht selbstverständlich: In anderen Parteien wird nach einer solchen Schlappe, wie Roth sie mit den 26 Prozent Zustimmung bei der Urwahl erlebte, zurückgetreten. Roth macht weiter. Sie ist wichtig für die Partei. Weil sie einen eigenen Stil hat. Und Menschenrechtsfragen bei ihr gut aufgehoben sind. Die professionellen BeobachterInnen deutscher Politik dagegen sind sich weitgehend einig: Die Claudi darf „schrill“ sein und „nerven“, weil sie damit der (in ihren Augen offenbar leicht debilen) Basis der Grünen das Herz wärmt. Aber ernst nimmt man sie natürlich nicht.

Frauen in der Politik geben sich meist Mühe, bloß keinem Weiblichkeitsklischee zu nahe zu kommen: nicht bunt sein, auf keinen Fall emotional wirken. Claudia Roth weicht von dieser Regel eigentlich nur minimal ab. Was genau an ihr soll schrill sein? Was genau nervt? Offenbar reichen rotblonde Haare und ein paar offene Worte, und die Spießerpresse hat ihr Bild fertig.

Die Grünen haben diese Klischees nun per Urwahl bestätigt. Sie wünschen Claudia Roth nicht als Spitzenkandidatin. Zum einen betreiben sie damit typische Grünen-Arithmetik: Dem angeblich linken Trittin stellen sie mit Katrin Göring-Eckardt eine Reala an die Seite. Zum anderen aber zeigen sie auch, dass sie meinen, mit Claudia Roth nicht gewinnen zu können. Seitdem konservative Grüne im Süden Wahlen gewinnen, sind die Mitglieder offenbar im Machtrausch. Die Claudia soll weiter das „Herz“ der Partei wärmen und als Vorsitzende kandidieren. Aber die Außenvertretung für potenzielle Mitte-WählerInnen übernimmt doch bitte jemand anders.

Die Mitglieder nehmen ihre FunktionärInnen eben auch größtenteils via Medien wahr. Das hat Claudia Roth nicht bedacht, als sie zur Urwahl blies. Anders die Delegierten auf Parteitagen: Sie wissen, dass die Medien ein verzerrtes Bild liefern. Die Mitglieder geben ihr nun keine Chance, das unter Beweis zu stellen, sondern zementieren das Stereotyp der veröffentlichten Meinung. Das mag gut für einen maximal angepassten Wahlkampf sein. Aber der ist nun auch um eine Ausnahmepolitikerin ärmer.

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Jahrgang 1968, ist seit langem Redakteurin für Geschlechterpolitik in der taz und im kulturradio vom RBB. Von ihr erschien unter anderem das Buch „Der Kopftuchstreit. Das Abendland und ein Quadratmeter Islam“. 2009 wurde sie mit dem Preis „Der lange Atem“ des Journalistenverbands Berlin Brandenburg für die Berichterstattung über Geschlechterstereotype ausgezeichnet.

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