Kommentar Castros Rücktritt: Vor dem letzten Atemzug
Es ist die Tragödie Castros, dass er, der einst für die Umwälzung der Verhältnisse stand, zum Inbegriff der Erstarrung des Status quo geworden ist.
Bernd Pickert ist Auslandsredakteur der taz.
Keine "biologische Lösung". Der Machtwechsel in Kuba kommt nicht nach dem Tod desjenigen, der ein halbes Jahrhundert lang die kubanische Revolution verkörpert hat, sondern am Ende einer Amtszeit, mit der ordentlichen Neuwahl eines Nachfolgers. Das passt einerseits überhaupt nicht zur Überfigur Fidel Castro, der selbst in seiner Abdankungserklärung noch verkündet, "bis zum letzten Atemzug" der Revolution dienen zu wollen. Aber es symbolisiert Normalität, so als ob der Führungswechsel ein alltäglicher Vorgang wäre - und allein der Gedanke an Zusammenbruch und Umsturz eine absurde Erfindung des Auslands.
Doch inszenierte Normalität ist ja nichts Neues in Kuba. Es ist die Tragödie Castros, dass er, der einst für die Umwälzung der Verhältnisse stand, zum Inbegriff der Erstarrung des Status quo geworden ist. Wie Mehltau lag sein kontrollierender Blick auf der Insel. Selbst die engsten Vertrauten wagten erst nach öffentlich eingestandener Krankheit und Rückzug aus der Politik, vorsichtige Dissens zu formulieren.
Die Dauer Castros Machthabe ist biblisch - der 44. US-Präsident, der im nächsten Januar ins Amt eingeführt wird, wird der erste seit dem 34. US-Präsidenten sein, der es nicht unmittelbar vor der eigenen Haustür mit Fidel Castro zu tun bekommt. Genau diese Hartnäckigkeit und Zähe, die auf Kuba selbst jede sinnvolle Reformierung verhindert hat, wird in der Dritten Welt und besonders in Lateinamerika so bewundert: der ewige David, der dem ewigen Goliath USA ein ums andere Mal Steine an den Kopf schmeißt.
Das ist romantisch, ignoriert aber, wie unfähig sich die Revolution erwiesen hat, von der externen Abhängigkeit - früher vom sozialistischen Lager, heute von Venezuela - wegzukommen. Wenn ein Land über 80 Prozent seiner Lebensmittel importieren muss, dabei aber einen Großteil der eigenen landwirtschaftlich nutzbaren Fläche nicht sinnvoll bewirtschaftet, dann ist zu lange an falschen Dogmen festgehalten worden. Bis die Kubaner selbst Fidel wieder richtig romantisieren, wird noch viel Zeit vergehen.
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