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Kommentar CDU und urbane MilieusDie wankelmütige Mitte

Ulrich Schulte
Kommentar von Ulrich Schulte

Die CDU diskutiert darüber, ob sie ein Problem in den Großstädten hat. Doch Bürgermeisterwahlen sind immer auch Abstimmungen über Persönlichkeiten.

Spricht die CDU noch urbane Milieus an? Bild: dpa

D ie Analyse der CDU-Strategen nach der Stuttgart-Wahl klingt mehr als hilflos. Jaja, die CDU hat ein Problem in den Großstädten, heißt es zerknirscht. Dann betont der Erste, die Partei müsse sich weiter modernisieren, also engagiert für Frauenquote und Mindestlohn streiten. Der Zweite behauptet das Gegenteil, nämlich dass die CDU den Grünen nicht hinterherlaufen dürfe. Und der Dritte holt die Floskel hervor, man brauche endlich wieder Kümmerer in den Städten.

Wahrscheinlich lässt sich die Frage, warum die CDU in den Städten verliert, schlicht nicht abschließend beantworten. Sicher ist nur, dass die pragmatisch agierende Kanzlerin ihrer Partei bereits ein Höchstmaß an Anpassung an den Zeitgeist zugemutet hat. Mehr Modernisierung würde die CDU nur schwerlich verkraften, und sie verlöre dadurch mehr Wähler in ländlichen Räumen, als sie in Städten gewänne.

Bürgermeisterwahlen sind immer auch Abstimmungen über Persönlichkeiten. Mit ihrer neuen Flexibilität tendiert die bürgerliche Mitte mal zu dem Kandidaten dieser, mal zu dem jener Partei.

Anja Weber
ULRICH SCHULTE

leitet das Parlamentsbüro der taz.

Kennt noch jemand Christoph Ahlhaus, den CDU-Hardliner, der gegen Olaf Scholz (SPD) in Hamburg unterging? Er verlor nicht wegen einzelner Sachthemen, sondern weil der nüchtern-wirtschaftsorientierte Sozialdemokrat das Lebensgefühl der Mitte traf.

So ähnlich lief es bei Fritz Kuhn. Dem unprätentiösen Vollprofi vertrauen die Stuttgarter ihre Stadt an, nicht aber dem blassen Politikneuling Sebastian Turner. Dass auch die CDU mit der richtigen Person in der Lage ist, aufgeschlossene Bildungsbürger zu erreichen, hat Petra Roth in Frankfurt am Main bewiesen.

Diese Bedeutung der Persönlichkeit ist übrigens der Grund, warum die CDU-Strategen ihre Verluste in den Städten mit Gelassenheit betrachten können. Angela Merkel wird im Bund viele Frauen in Großstädten ansprechen. Ein Peer Steinbrück, der ein sehr altmodisches Männlichkeitsbild bedient, eher nicht.

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Ulrich Schulte
Leiter Parlamentsbüro
Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.
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5 Kommentare

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  • T
    Taffer

    Nun, in München, der ehemals einzigen "roten Stadt" in Bayern z.B. erinnert man sich noch gut an die Versuche der CSU-Regierung Bayerns, UNSERE Stadtwerke schnell an irgendwelche bietenden US-Shareholder etc. zu verkaufen, mit dem Argument, es würde alles billiger und besser und die öffentliche Hand würde endlich von Pleitebetrieben entlastet. Unser roter Bürgermeister (Ude) hat das damals verhindert, in letzter Minute nach einer heftigen Schlacht. Die Städte mit den schwarzen Bürgermeistern haben das damals gemacht (z.B. Berlin), die Folgen kann man sich heute überall im Land anschauen. Während die paar als Volkseigentum verbliebenen Stadtwerke in der BRD schwarze Zahlen bei gutem Service und für den Verbraucher und die öffentliche Hand relativ geringen Kosten schreiben, sind alle verkauften Stadtwerke lediglich eine Gelddruckmaschine für die neuen Beitzer während der Service eben nicht mehr so stimmt. Was diese schwarzen Bürgermeister als Provision eingesteckt haben, weiss kein Mensch, aber es wird sich für sie schon gelohnt haben.

     

    Zudem kommt man in der Stadt, wo man eben mit vielen verschiedenen Menschen auf engem Raum trotzdem friedlich zusammenleben möchte und muss, nicht eben gut an, wenn man gegen Ausländer, Schwule, Arbeitslose wettert, Frauen an den Herd schicken will, weil man KiTas einfach nicht gut und voll rabenmutterhaft findet, usw.

     

    Gerade Menschen mit Kindern sind auch von der ach so kinderlieben CSU hier im traditionellen Bayern arg abgstraft worden mit der Einführung von Büchergeld und der Studiengebühren bei gleichzeitigem Mangel von KiTas, Reduzierung der Zuschüsse für Schulen/Unis und für den öffentlichen Verkehr für Schüler und Studenten, Schliessung von Dorfschulen aus Kostengründen (die Kosten für die Fahrt zur nun kilometerweiten nächsten Schule übernehmen ja auch die Eltern), Unwilligkeit trotz erwiesenen Lehrermangels neue Lehrer einzustellen, gegen den Willen fast aller Betroffener das G8 einzuführen, etc.

     

    Die CSU-typischen Spaltungsparolen mögen in einer rein deutschen, lang eingesessenen Landbevölkerung, wo die Großeltern sich im Notfall auch mal um die Kinder kümmern können, Frauen grundsätzlich und wo kein Asylbewerberheim steht, kein Ausländer lebt und arbeitet, höchstens mal als kurzfristiger billiger Erntehelfer, gut ankommen, in der Stadt ist das einfach hinterwäldlerisch und weltfremd. Nur diese von allem unberührte Landbevölkerung stirbt auch langsam aus.

     

    Kurz: die Realität in Städten und zunehmend auch auf dem Land ist eine andere, als sie von der CSU/CDU ausgemacht wird.

  • D
    Detlev

    In Hamburg hatte Ole von Beust gute Gelegenheit, zu zeigen, wie metropolentauglich die CDU ist. Was aber passiert, war eine krude Politik für die oberen 10 Prozent der Stadt. Dazu kamen dann noch idiotische Fehlinvestitionen (Elbphilharmonie, U4), die noch Jahrzehnte nachwirken werden. Addiert man die HSH-Nordbank mit ihren Risiken dazu, dann kann ich nur sagen, selbst die oberen 10-Prozent können sich die CDU an der Macht schlichtweg nicht leisten.

     

    Und bei der relativ langen Dauer, die sie in Hamburg regieren konnte, ging es ihr grundsätzlich nur um Reiche, Superreiche oder Parteifreunde. Dass es Normalmieter und Normalarbeitnehmer gibt, hat die CDU überhaupt nicht interessiert.

     

    heute in Hamburg mit einem begrenzten Budget auf Wohnungssuche geht, geht leer aus. Es ist alles für den Verkauf gedacht. Wer kaufen will, der hat freilich die Auswahl. Wenn man dann im Kopf addiert, wie gut es der Stadt gehen würde, wenn sie ihre Mittel anders eingesetzt hätte, dann fängt man an die CDU zu hassen, und sympathisiert sogar mit Olaf Scholz, allerdings nicht allzu lange, denn der will sparen, der Wirtschaft alles recht machen (geht das noch?).

     

    Ich würde das Problem eher so bezeichnen: Gefangen in der Metropole - keine Chance für Normalos.

  • V
    vic

    "Angela Merkel wird im Bund viele Frauen in Großstädten ansprechen"

    Wieso das denn?

  • RS
    Rolf Steinert

    Die CDU in Stuttgart, ebenso ihr Anhängsel FDP und die Freien Wähler, sie sind in Stuttgart ihrer selbsternannten Unfehlbarkeit aufgesessen. Sie haben nicht gespürt, dass sich schon vor dem Wahlerfolg der Grünen im Landtag der Wind deutlich weg von den Konservativen gedreht hat. Mit altbackenen Brezeln kann man eben keine moderne Großstadtbevölkerung mitnehme, nicht einmal mehr im Speckgürtel. Der hat sich deutlich für den Grünen Kuhn entschieden. Nur in den ländlich-dörflich orientierten Stadtteilen wie z.B. Stammheim, Unter- und Obertürkheim hat sich die alte Stammwählerschaft erhalten. Und die stirbt langsam aber sicher aus, denn 55 % Höchstanteil für den Berliner "vor"-Turner sind selbst dort beschämend.

  • G
    Geno

    Die Gründe für die Niederlagen sind doch recht eindeutig: Jahrzehnte lang hatte eine Partei das sagen. Irgendwann macht sich dann Filz, Vetternwirtschaft und Ermüdung breit. Ein Wechsel war also für eine Demokratie überfällig. Und Fritz Kuhn ist eine Persönlichkeit mit Charisma und Überzeugungskraft. Da trifft der Kommentator genau ins Schwarze. Genauso wie es hysterische Grüne und gelassene CSUler gibt, gibt es stocksteife SPDler und besserwisserische CDUler. Die Persönlichkeit entscheidet.

    Dass die CDU vorrangig den Fokus auf das Großstadtwählerklientel richten soll, wäre aus meiner Sicht zu kurz gegriffen. Auch ist es nicht damit getan, wie es immer wieder in den Medien plakativ dargestellt wird, allein die Beteuung von Kleinkindern in den Fokus "moderner Politik" zu rücken. Ich glaube, dass in ein paar Jahren die Entwicklung diesbezüglich evtl. wieder gegenläufig sein wird, und mehr Mütter (oder Väter) die Kleinkindbetreuung wieder selber übernehmen werden. Was heißt überhaupt "modernes städtisches Bildungsbürgertum"? Gibt es so ein Klientel auf dem Land nicht? Hängt dies ausschließlich vom Kreuz auf dem Stimmzettel ab? Lässt sich so was am PISA-Test oder dem Abi-Schnitt festmachen? Also ein überflüssiger Begriff.

    Bei bedürfnis-orientierter und moderner Politik geht auch um die Renovierung von Schulen, Straßen und die Errichtung von moderner (nachhaltiger) Infrastruktur allgemein. Die CDU soll und darf nicht komplett die Programme der anderen Parteien übernehmen. Wo bliebe das eigene Profil? und für die Wähler die Auswahl zwischen Alternativen? Es gibt doch nicht DEN "Großstadtwähler", genausowenig wie DIE "Landbevölkerung". Ich bin TAZ-Leser vom Land. Ich kenne viele, die beispielweise ein großes Interesse an nachhaltiger und gerechter Entwicklung haben, bzgl. der Kleinkinderziehung aber in dem Ausbau von Krippen (für 1- & 2- Jährige) eine fehlgeleitete Diskussion sehen. Es ist mitunter auch (und gerade) als TAZ-Leser schwierig, eine "Idealpartei" für sich auszumachen. Aber zumindest div. Wahloptionen gibt es momentan noch in Deutschland. Warum soll bitteschön alles gleich gemacht werden?