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Kommentar CDU-ParteitagSo viel Merkel war noch nie

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Die Krise der CDU ist mehr als eines der üblichen Stimmungstiefs: Die CDU ist überaltert. Und sie verliert vor allem in ihren Hochburgen. Doch sie reagiert nicht darauf.

D ie CDU ist eine Volkspartei im Niedergang. Dieser Prozess wird, anders als bei der SPD, nicht von dramatischen Gesten und schroffen Kurswechseln begleitet, aber er ist erkennbar. In Baden-Württemberg droht der CDU im nächsten Frühjahr nach 57 Jahren der Machtverlust.

Die Niederlage in Stuttgart wäre, wenn es so kommt, vergleichbar mit dem, was der SPD 2005 in Nordrhein-Westfalen widerfahren ist: ein Zeichen, dass das selbstverständlich Geglaubte verschwindet, das den Erosionsprozess der Partei noch beschleunigen wird.

Die Krise der CDU ist mehr als eines der üblichen Stimmungstiefs: Die Bindekraft der Partei schwindet. Die CDU schrumpft, sie ist überaltert. Und sie verliert, wie die SPD zwischen 2000 und 2009, vor allem in ihren Hochburgen, ihre Stammwähler bleiben zu Hause.

Stefan Reinecke ist Redakteur im Berliner Parlamentsbüro der taz.

Offenbar wird es immer schwerer, die Interessen und Stimmungslagen des kirchentreuen Rentners und des agnostischen Jungunternehmers, der karriereorientierten Großstädterin und des von Abstiegsängsten geplagten und latent fremdenfeindlichen Arbeiters zu verbinden. Das, und nicht Stuttgart 21, ist das Problem der CDU.

Umso erstaunlicher ist, wie die Partei in Karlsruhe auf diese missliche Lage reagiert: irgendwie gar nicht. Die CDU war noch nie eine sonderlich debattenfreudige Partei. Aber dass niemand diese für die Partei doch beunruhigende Entwicklung wenigstens zur Sprache bringt, spricht für eine beachtliche Ignoranz.

Angela Merkel hat ihre Partei im Griff. Die Führungsspitze der CDU ist, mit Norbert Röttgen und Ursula von der Leyen, politisch äußerst homogen zusammengesetzt. So viel Merkel war nie in der CDU. Ihre Konkurrenten haben allesamt das Feld geräumt, die innerparteiliche Opposition ist an den Rand gedrängt.

Die Wirtschaftsliberalen haben es noch nicht einmal geschafft, Anträge für Steuersenkungen auf die Tagesordnung zu bekommen. Merkels Macht ist gefestigt. Aber auf die Krise ihrer Partei hat sie keine schlüssige Antwort.

Merkel inszeniert vorsorglich schon mal einen Lagerwahlkampf gegen Rot-Rot-Grün. Außerdem schimpft die CDU immer mal wieder auf Multikulti und spielt, zögerlich, mit antiislamischen Stimmungen. Das ist das klassisch konservative Rezept, auf Krisen zu reagieren: den Gegner verteufeln und, vielleicht, eine Minderheit bashen. Ein brauchbares Konzept für die CDU ist es nicht.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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8 Kommentare

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  • W
    wasmachtdasfürnunterschied

    Es war doch immer etwas naiv, anzunehmen, dass um die 80 Millionen Menschen ihre komplexen, jeweiligen politischen Wert-Vorstellungen, Wünsche und Gedanken in zwei Volksparteien, und 2-3 kleineren Koalitionspartnerparteien (für die exotischeren Vorstellungen und Wünsche) vorfinden würden, auf die sich dann die Stimmen entsprechend verteilen. Man muss doch nur die Mitgliedszahlen oder den Altersdurchschnitt von Parteien betrachten. Dazu kommen "Ochsentour", Parteiintrigen, Fraktionsdisziplin und Wahlversprechen, und schon hat man die ganzen Probleme einer modernen, interaktiven Mediengesellschaft mit der repräsentativen Demokratie im Stil der 50er vor sich. das war doch immer ein Spagat zwischen echter Demokratie, und den Erfordernissen der Wirtschaft oder effizienter Staatsführung. Und natürlich landet bei all diesen ragen ganz schnell beim Stuttgarter Konflikt, wo auch das alles sichtbar wird.

  • A
    Alleswisser

    Ich glaube, dass die CDU jetzt in Karlsruhe ahnt, dass sie strukturell das Schicksal der SPD bei Wahlen erleiden wird. Die Schadenfreude von Herrn Röttgen angesichts des Desasters von Frau Ypsilanti in Hessen habe ich nicht vergessen. In sofern wünsche ich seiner Partei die baldigen Endlagerung.

  • RK
    Rüdiger Kalupner

    Wer sich nicht auf den anstehenden Epochenwechsel (= Exodus aus dem Wachstumszwang-Regime und Übergang unter die Ordnung des KREATIVEN Evolutionspfades) einstellt, d.h. die Zeichen des Niedergangs des Ancien régime ignoriert, der wird als Partei untergehen.

     

    Die 'grüne Idee' hat die Dimension dieses Epochenwechsels. Aber: Die GRÜNEN bereiten sich nicht auf diese revolutionäre Dimension vor, d.h. nicht auf die anstehende Diskussion der Epochenwechsel-Dimension ihrer eigenen Idee vor. Sie werden von der Öffnung der Medienmauer über den hinreichenden Erkenntnisstand überrascht werden.

     

    Das tut allein Angela Merkel. Sie schweigt über das, was sie ausgehend 'vom Ende der Systemkrise' gedacht und erkannt hat. Ihr Erkenntnisvorsprung ist die Quelle ihrer zunehmenden Machtstellung.

     

    Die GRÜNEN gehen schweren Zeiten entgegen.

  • US
    Uwe Sak

    Wieso ist denn ein Jungausbeuter Agnostiker?

  • B
    bauesel

    "Das, und nicht Stuttgart 21, ist das Problem der CDU." kann man als Quintessenz des Artikels betrachten. Die Polarisierung ist aber völlig unzutreffend. Beides gilt: S21 ist sehr wohl ein Problem der CDU, es ist nicht das wichtigste Problemen, aber ein ganz wichtiges. Es geht, wie schon zu Adenauers Zeiten um die Arroganz der Macht, symbolisiert durch Stefan Mappus, seine Fehdehandschuhpolitik mit dem schwarzen Donnerstag, der ihm sicher von Dirk Metz, dem Wadenbeißer von Roland Koch, eingeflüstert wurde. Wer regelmäßig auf den Demonstrationen gegen Stuttgart 21 ist, spürt sehr wohl, dass hier eine Bewegung im Gange ist, die mit den normalen Maßstäben nicht zu beschreiben ist, für Baden-Württemberg absolut atypisch ist und schon deshalb so bedeutsam ist, dass sie nicht sachgerecht gegen andere Probleme relativiert werden kann.

  • RD
    Richard Detzer

    Kluger Kommentar.

  • S
    Steffi

    Dass Probleme nicht ausdrücklich thematisiert werden ist kein Zeichen von Arroganz, sondern ein Zeichen dafür, dass sich niemand so gut wie Merkel auf's Stimmen gewinnen versteht.

    Das, wofür sie so oft zu recht kritisiert wird, nämlich dass sie, so lange es sich irgend durchhalten lässt, zu nichts, aber auch zu gar nichts inhaltlich Stellung bezieht, ist nämlich genau das, was die Wähler an ihr lieben.

     

    Klare Aussagen, bei den gleichzeitig auch immer klar ist, wem man damit weh tut, will das Wahlvolk nicht hören. Übrigens keineswegs nur das Wahlvolk der CDU. Wenn die Grünen damals an ihren 5 Mark pro Liter Benzien festgehalten hätten, dann hätten sie heute noch an der 5%-Hürde zu schlucken.

     

    Mit Aussitzen kommt man immer noch am weitesten. Das hat Merkel von Kohl gelernt und bisher hat es auch noch jedes Mal gestimmt.

  • M
    Mac-Lennox

    Am Kommentar von Herrn Reinecke stört mich folgende Zuschreibung. Weder dem kirchentreuen Rentner, dem agnostischen Jungunternehmer noch der karriereorientierten Großstädterin wird eine latente Ausländer-/Fremdenfeindlichkeit bescheinigt. Dem Arbeiter aber schon. Ging es dem Autor um die Lesbarkeit seines Textes oder pflegt er tatsächlich diese Anschauung? Ich unterstelle ihm Ersteres, doch kann ich mich auch täuschen, was ich sehr bedauerlich finden würde.