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Kommentar BundestagswahlWer wählt schon Verlierer?

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Die SPD hat noch eine Chance, ihre komplette Niederlage zu verhindern. Sie muss am Sonntag in Erfurt oder Saarbrücken siegen.

E s gibt bei Wahlen einen Zeitpunkt, an dem Programm und Profil nicht mehr so wichtig sind. Dann regiert allein die Logik des Erfolges. Täglich wächst dann die Hemmung, den Verlierer zu wählen - ebenso wie die Versuchung, doch lieber auf der Seite der Mehrheit zu stehen. Und weil derzeit jeder annimmt, dass Schwarz-Gelb die Bundestagswahlen gewinnt, kommt es auch so. Der Teufel scheißt auf den größten Haufen.

Die SPD hat noch eine Chance, ihre komplette Niederlage zu verhindern. Sie muss am Sonntag in Erfurt oder Saarbrücken siegen. Gelingt dies nicht, dann dürfte niemand den schwarz-gelben Durchmarsch mehr stoppen können. Noch nicht mal schwächelnde CDU-Kandidaten wie Dieter Althaus und Peter Müller.

Und was ist mit dem Rot-Rot-Gespenst? Die Union wird routinemäßig den Untergang des Abendlandes an die Wand malen. Nutzen wird ihr das nicht viel. Heiko Maas und Christoph Matschie sind nette, kompetente, brave Politiker, an denen die Antivolksfrontpropaganda abperlen wird. Steinmeier, auch kompetent und brav, hat so oft beteuert, dass die SPD im Bund mit der Linkspartei nichts im Sinn hat, das ihn gar niemand mehr danach fragt. Und die SPD-Rechte wird, schon aus Selbsterhaltungstrieb, nicht noch mal so ein Desaster wie in Hessen anrichten. Kurzum: Die SPD ist vor einer Glaubwürdigkeitskrise wie in Hessen gefeit.

Bild: taz

Stefan Reinecke ist Parlamentsredakteur der taz.

Anders kann es bei den Grünen ausgehen, für die sich bislang niemand so recht interessiert. Zu Unrecht. Im Saarland wollen sie vielleicht Rot-Rot, vielleicht Schwarz-Gelb stützen. Das ist ein ziemlicher Spagat. Wenn die Saar-Grünen, trotz tiefem Dissens in der Bildungspolitik, wirklich Peter Müllers Posten retten, steht den Bundesgrünen eine unschöne Debatte ins Haus. Denn die Grünen versichern immer wieder, dass sie im Bund Merkel keinesfalls zur Kanzlerin machen werden. Warum aber soll man das glauben, wenn sie in Hamburg geräuschlos mit der CDU regieren und in Saarbrücken die SPD links liegen lassen?

Die Grünen haben den Weltverbesserungsfundamentalismus von vorgestern längst abgestreift. Sie haben eine treue Stammwählerschaft und gelten als offen und pragmatisch, aber irgendwie auch als links und sozial. Doch vom aufgeklärt Postideologischen zur puren Beliebigkeit ist es nur ein ganz kleiner Schritt. In Saarbrücken können sie diese Grenze überschreiten.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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2 Kommentare

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  • A
    Andreas

    Ich glaube, dass es ein wenig optimistisch ist, der SPD überhaupt einen Sieg in die Urne zu legen. Wenn, dann kann sie sowieso nur durch andere Parteien, sprich durch Grüne und Linke gewinnen, aber wie Joel Simpson bereits schreibt, habend ie Grünen durchaus bürgerliche Bündnisse im Auge.

    Ist bei der SPD auch eine Möglichkeit: Es könnte für einen Heiko Maas ein rettender Anker sein, sich als stellvertretender Ministerpräsident unter einem CDU-Müller vereidigen zu lassen und sich das Chaos mit Linken und Grünen zu ersparen.

    Die Linken treten zudem noch als Anti-Hartz-IV-Partei auf und ist eine Kriegserklärung an die SPD-Sozialpolitik - wie soll das zusammen gehen?

    Ich sehe für Sonntag eher Ergebnisse der Ratlosigkeit voraus.

    Der SPD wird das vielleicht nützen, aber bei Umfragen von 22 bis 26 Prozent kann das wohl kaum die Wende sein ...

  • JS
    Joel Simpson

    Als Parlamentsredakteur der taz wird es Stefan Reinecke sicherlich nicht entgangen sein, dass (anders als bei Jamaika) die Grünen bei ihren Koalitionsfestlegungen eine Koalition mit der CDU nicht ausgeschlossen haben. Warum sagte er denn das Gegenteil, in dem er behauptet, „die Grünen versichern immer wieder, dass sie im Bund Merkel keinesfalls zur Kanzlerin machen werden“? Vielleicht damit er später mit Inbrunst „Verrat!“ rufen kann, falls eine Schwarz-Grüne Koalition in Berlin tatsächlich kommt?

     

    Die funktionierende Hamburger Koalition hat in der Tat Signalwirkung bezüglich möglicher Koalitionen auf Bundesebene. In kürzester Zeit hat der schwarz-grüne Senat den Weg geebnet für sehr weitgehende Schul- und Wahlrechtsreformen, ein ehrgeiziges Klimaschutzprogramm beschlossen, eine Wende im Strafvollzug und sogar die Gleichstellung von Ehe und Lebenspartnerschaft im Landesbeamtenrecht zustande gebracht. Sind diese Ergebnisse, wie Reinecke meint, „irgendwie links“ oder „irgendwie sozial“? Nein, sie sind links, sie sind sozial und sie sind tatsächlich zusammen mit der CDU erreicht worden.

     

    Wie die Hamburger CDU ist auch die Bundes-CDU in manchen Hinsichten fast wie eine leere Hülle (der inhaltslose Wahlkampf der CDU zeigt das deutlich). Entscheidend für ihre Regierungspolitik ist wer mit ihr koaliert (siehe Große Koalition). Natürlich kann man von einer Koalition zwischen CDU und Grüne keine Wunder erwarten, aber da, wo aufgrund der Wirtschafts- und Klima-Krisen die Weichen auf ökologischen Umbau gestellt werden müssen, könnte Schwarz-Grün Fortschritte erzielen, die in keiner anderen CDU-Koalition möglich wären.

     

    War die Mehrwertsteuer- und Energiepolitik der Großen Koalition ‚links’ oder ‚sozial’? Nein.

    Sie hat die unteren Einkommensgruppen übermäßig belastet bzw. die Macht der Energieriesen gestärkt. Kann mit der Kohlepolitik der SPD die Klimaschutzziele erreicht werden? Nein. Ist die Große Koalition wirklich die beste Alternative wenn es nicht zu Schwarz-Gelb kommt? Nein.

     

    Falls es weder zu Schwarz-Gelb noch zur Ampel kommt, und die SPD weiter Rot-Rot-Grün verweigert, wäre es für die Grünen nicht, wie Reinecke andeutet, ein Zeichen von Beliebigkeit, wenn sie eine Koalition mit der CDU eingehen würden, sondern ein Zeichen von Konsequenz. Die Große Koalition hat gezeigt, dass sie unfähig ist, die notwendigen Maßnahmen zur Bewältigung der aktuellen Krisen zu treffen. Die Grünen würden ihre eigene Politik leugnen, wenn sie nicht versuchen würden, eine Neuauflage von Schwarz-Rot zu verhindern.