Kommentar Bundespräsident: Das Oberhaupt Jamaikas
Die Wahl von Horst Köhler ist das Resultat einer informellen Jamaika-Koalition und ein Hinweis darauf, dass der für den Herbst inszenierte Lagerwahlkampf eine Schimäre ist.
Ralph Bollmann ist Chef des Parlamentsbüros der taz.
Es war einer jener Triumphe des FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle, die nur für wenige Stunden halten. Strahlend stellte sich der Außenminister in spe am Samstag neben Kanzlerin Angela Merkel und verkaufte die Wiederwahl des Bundespräsidenten als Vorzeichen für ein schwarz-gelbes Bündnis nach der Bundestagswahl im Herbst. Wenig später stellte sich heraus, dass es die schwarz-gelbe Mehrheit in der Bundesversammlung gar nicht gab. Mindestens die eine entscheidende Stimme für Horst Köhlers Kür im ersten Wahlgang stammte von einer Abgeordneten der Grünen.
Vier Monate vor der Bundestagswahl hat sich die von den Parteien inszenierte Lagerlogik einmal mehr als trügerisch erwiesen. Nach Kurt Beck und Andrea Ypsilanti ist mit Gesine Schwan eine dritte Sozialdemokratin an den Fliehkräften potenzieller rot-rot-grüner Bündnisse gescheitert. Mit harscher Kritik hatte sie die Linkspartei erst verschreckt, um sie dann mit einer betont milden Sicht der DDR-Verhältnisse wieder einzufangen - was dann manche Grünen irritierte.
Kaum besser steht es um Schwarz-Gelb. Seit 2005 hat die Union bei allen Wahlen Stimmen verloren und ihre eigene Mehrheit in der Bundesversammlung eingebüßt. Das wacklige Dreierbündnis mit den Freien Wählern hielt nicht, weil es mindestens zwei Abweichler gab. Auch inhaltlich liegen Welten zwischen Merkels moderater Krisenpolitik und der Brachialrhetorik Westerwelles.
Gegen den erklärten Willen der Grünen-Führung, die ein solches Signal vor dem 27. September um jeden Preis vermeiden wollte, hat nun mindestens eine Abgeordnete für Köhler gestimmt. Der neue Amtsinhaber ist deshalb nicht mehr der alte. Aus dem einstige Vorboten von Schwarz-Gelb wurde der erste Bundespräsident, der sein Amt einem - wenn auch informellen - Jamaika-Bündnis verdankt. Daran hat Köhler konsequent gearbeitet. Sein Interesse an Afrika und mehr globaler Gerechtigkeit bot seit je Anknüpfungspunkte für die Grünen, denen Köhler im Wahlkampf zuwinkte - mit Bekenntnissen zu den Grenzen des Wachstums oder aktiverer Klimapolitik.
Für die Bundestagswahl ist die Präsidentenkür ein Hinweis darauf, dass der inszenierte Lagerwahlkampf eine Schimäre ist. Alternativen zur großen Koalition gibt es allenfalls, wenn sich die Parteien für neue Bündnisse öffnen. Auf Schwarz-Gelb können sie sich nicht verlassen, auf Rot-Rot-Grün ohnehin nicht.
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