Der neue ist der alte Bundespräsident: Kein Vorgriff auf Schwarz-Gelb

Zu früh jubelten CDU/CSU und FDP über ihren Sieg in der Bundesversammlung. Den Erfolg im ersten Wahlgang verdankt Köhler den Grünen.

Hotte Köhler oder doch der Präsident Jamaikas? Bild: dpa

Wo ihr Problem liegt, weiß Gesine Schwan zu diesem Zeitpunkt längst. Es ist Samstagmittag, kurz vor zwölf im Berliner Reichstagsgebäude. Gleich wird der Parlamentspräsident die Sitzung eröffnen und die Mitglieder der Bundesversammlung zur Wahl aufrufen. Schwan steht nicht bei den Abgeordneten, die sie zur Wahl vorgeschlagen haben, in den Reihen der SPD. Sie steht bei den Grünen, schüttelt Hände, demonstriert Nähe.

Es nützt nichts. Um kurz nach zwei betreten fünf Musiker den Plenarsaal, an den Plätzen der Fraktionsvorsitzenden werden Blumensträuße abgelegt. Damit ist klar: Gleich wird gratuliert und die Nationalhymne gespielt, Horst Köhler hat es im ersten Wahlgang geschafft. Bundestagspräsident Norbert Lammert steht derweil noch draußen und wartet auf das Staatsoberhaupt, das sich ins Schloss Bellevue zurückgezogen hat. Als das Ergebnis schließlich verkündet wird, ist es keine Neuigkeit mehr. Mit einer Stillosigkeit des Protokolls endet die Kandidatur Schwans, die vor gut einem Jahr mit einer Überrumpelung der eigenen Parteispitze begonnen hatte.

Mittlerweile haben Union und FDP ihren Triumph schon ausgekostet. Schon nach dem Einzug der fünf Musiker haben sie applaudiert, nach Bekanntgabe des Ergebnisses will der Beifall kein Ende nehmen. Ein Meer von wogenden Händen in der rechten Hälfte des Plenarsaals, es sieht aus wie ein Vorgriff auf eine neue schwarz-gelbe Mehrheit im Herbst. Die Parteichefs Angela Merkel und Guido Westerwelle genießen ihren vermeintlichen Sieg, bauen sich gleich vor den Fernsehkameras auf, stehen beim anschließenden Empfang unter der Reichstagskuppel ganz dicht bei Köhler.

Schon beim Konjunkturpaket wollte Westerwelle die große Koalition im Bundesrat vorführen, bis ihm die Landesgrünen aus Bremen und Hamburg zuvorkamen. Auch diesmal ist es eine Grüne, die den schwarz-gelben Triumph des FDP-Chefs zerstört. Noch am Abend wird bekannt, dass die niedersächsische Grünen-Abgeordnete Silke Stokar für Köhler gestimmt hat. Damit ist klar: Eine eigene Mehrheit für seinen Kandidaten hat das selbst ernannte bürgerliche Lager im ersten Wahlgang nicht zustande gebracht.

Tags darauf will Stokar am Telefon nicht mehr viel sagen. Sie habe ihrem Statement nichts hinzuzufügen, erklärt sie. "Ich wollte, dass Horst Köhler im ersten Wahlgang gewählt wird." Sie habe nicht in einem weiteren Wahlgang mit der Linkspartei verhandeln wollen. Sie wolle sich auch nicht für die Wahl eines Kandidaten rechtfertigen, "der von der Mehrheit der Bevölkerung gewollt wird". Ob noch weitere Grüne für Köhler stimmten, bleibt unklar. Dass einige der zehn Enthaltungen aus den eigenen Reihen stammten, glauben aber alle in der Partei.

Am Abend zuvor war es turbulent zugegangen im Sitzungssaal der grünen Bundestagsfraktion. Normalerweise sind die Treffen der Wahlmänner und -frauen eher Formsache. Nicht so an diesem Freitag. Marianne Birthler, oberste Verwalterin der Stasiunterlagen und von den Berliner Grünen als Wahlfrau entsandt, kritisierte Schwans Äußerungen heftig, wonach die DDR nur bedingt ein Unrechtsstaat gewesen sei. "Mindestens im Unterton", so soll Birthler der Kandidatin vorgeworfen haben, habe sich Schwan damit bei der Linkspartei angebiedert, sagen Teilnehmer. Schwan habe gereizt reagiert und damit "die Sache nicht verbessert". Auch einige der früheren DDR-Bürgerrechtler, die als Wahlleute nominiert waren, hätten sich vehement geäußert.

Von ihnen allerdings erklärten hinterher die meisten, Schwan gewählt zu haben. So äußerten sich am Sonntag der Leiter der Chemnitzer Stasiunterlagenbehörde, Martin Böttger, und die Studienleiterin bei der Evangelischen Akademie Berlin-Brandenburg, Ulrike Poppe. Die sächsische Ökolandwirtin Kornelie Blumenschein bezeichnete die Debatte mit Schwan als "interessant". Andere Themen seien für sie in der Präsidentschaftsfrage aber wichtiger gewesen als die Debatte über den Umgang mit der DDR.

Gleichwohl kommt es bei dem Empfang, den Lammert nach der Sitzung unter der Reichstagskuppel gibt, zu überraschenden Verbrüderungen. Während Schwan den Parlamentspräsidenten wegen der Protokollpanne zur Rede stellt und anschließend mit ihrer Familie im Aufzug verschwindet, begeben sich einige Wahlleute der CDU in den Sitzungssaal der Grünen. "Fußball gucken", sagen sie eilig. Damit keiner falsche Schlüsse zieht.

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