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Kommentar BundeshaushaltWeltweite Rezession wird ignoriert

Ulrike Herrmann
Kommentar von Ulrike Herrmann

Es ist jetzt schon klar, dass die ausgehandelten Zahlen für den Bundeshaushalt 2009 nicht eingehalten werden können. Er geht an der Wirklichkeit vorbei.

E in seltsamer Politikstil: Monatelang wird um den Bundeshaushalt fürs nächste Jahr gefeilscht - nur damit ein Zahlenwerk herauskommt, das schon bei seiner Verabschiedung überholt ist. Es ist jedenfalls völlig eindeutig, dass es 2009 nicht bei einer Neuverschuldung von 18,5 Milliarden Euro bleibt. Die Risiken der Zukunft wurden in den offiziellen Entwurf einfach nicht eingepreist. Besonders erstaunlich ist der Einfall, die Aufwendungen für die Hartz-IV-Empfänger 2009 niedriger anzusetzen als während des Booms der vergangenen Jahre. Schließlich ist hinlänglich bekannt, dass in jeder Rezession die Zahl der Arbeitslosen steigt.

taz

Ulrike Herrmann ist wirtschaftspolitische Korrespondentin der taz.

Diese Schönfärberei hätte die Regierung eigentlich nicht nötig. Sie muss nicht krampfhaft verbergen, dass die Neuverschuldung stark zulegen wird. Defizite sind in einer Rezession in Ordnung - ja, sie sind sogar zwingend. Es wäre katastrophal, wenn mitten im Abschwung auch noch der Staat spart und damit die Gesamtnachfrage senkt. Die Jahre unter Rot-Grün mit Finanzminister Eichel waren da eine Lehre: Krampfhaft wurde versucht, durch Etatkürzungen die Neuverschuldung zu reduzieren, was den Abschwung nur noch verschärfte und am Ende die Neuverschuldung weiter steigen ließ. Es war ein Teufelskreis.

Doch am Bundeshaushalt ärgert nicht nur, dass er die Wirklichkeit leugnet. Der Etat offenbart auch erneut, mit welchen Minisummen die Konjunktur angekurbelt werden soll. Nur ganze 1,6 Milliarden Euro wurden bei den Ausgaben draufgelegt, um der Rezession zu begegnen. Hinzu kommen einige Steuererleichterungen wie die degressive Abschreibung für Unternehmen oder die verfehlte Befreiung bei der Kfz-Steuer. Das war es dann. Wie damit Investitionen von 50 Milliarden Euro angestoßen werden sollen, bleibt das Rätsel der Bundesregierung.

Es ist schon erstaunlich: Die Weltwirtschaft erlebt einen Abschwung, wie er in den letzten 80 Jahren nicht mehr vorgekommen ist. Der Niedergang verläuft rasend schnell und erfasst alle Industrieländer gleichzeitig. Die Branchen kippen wie die Dominosteine. Aber die Bundesregierung stellt gelassen einen Haushalt auf, als sei Normalität das Motto dieser Tage.

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Ulrike Herrmann
Wirtschaftsredakteurin
Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).
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5 Kommentare

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  • V
    vic

    Unsere PolitikerInnen in den jeweiligen Ressorts haben nicht die geringste Ahnung auf ihrem Fachgebiet. Die zahlreichen und hochbezahlten Berater derselben leider auch nicht.

    Letztere kochen das Süppchen des Konzerns, auf dessen Gehaltsliste sie stehen auch noch auf Kosten des Steuerzahlers.

  • M
    Mistral

    Ein punktgenauer und klarsichtiger Kommentar. Klasse!

     

    Allerdings glaube ich nicht, dass die weltweite Rezession hierzulande ignoriert wird, nur fehlt unserer Elite die geistige Flexibilität und - wie es Thomas Fricke, Ftd vermutet - eventuell sogar das Know-How um angemessen reagieren zu können.

     

    Wie heißt es so schön: Wer nicht aus den Fehlern der Vergangenheit lernt, ist verdammt sie zu wiederholen! Man schaue nur auf die Fehler der Rot/Grünen-Regierung während der letzten Wirtschaftsflaute. Ursache für diese Rezession war das Platzen der "New-Economy"-Blase. Dies war ebenfalls ein Nachfragezusammenbruch und in vielerlei Hinsicht ein Vorläufer der aktuellen Krise:

     

    Gegenmaßnahmen hierzulande:

     

    Deficit-Spending durch Einkommensteuersenkungen - ein grandioser Fehlschlag! Es folgte eine Deflation. Anschließend verfiel Hans Eichel in ein prozyklisches Sparen - dies verlängerte die Rezession. Erst das Investitionspaket 2006 der großen Koalition brachte Deutschland zurück auf einen Wachstumspfad (trotz Mwst-Erhöhung )

     

    Ergo: Es wäre sinnvoll ein richtiges Investitonsprogramm aufzustellen und zur Stimulierung des privaten Konsums die Mwst temporär zu senken (was auch Peter Bofinger vorschlägt)

     

    Zu diesm Thema ein interessanter Artikel von dem oben bereits erwähnten Thomas Fricke:

     

    http://www.ftd.de/wirtschaftswunder/index.php?op=ViewArticle&articleId=1688&blogId=10

     

    PS: Übrigens, verhält sich Deutschland mit seiner aktuellen Investitionsverweigerung auch im internationalen Kontext nicht besonders solidarisch - höflich formuliert.

  • LW
    Lür Waldmann

    Die Neuverschuldung im Bundeshaushalt steigt auf 18,5 Milliarden Euro.

    Bei 3% Zinsen sind das 555 Mio Euro pro Jahr, also 3 Mio mehr als für den Stadtschlossbau in Berlin als Investition geplant sind. Jedes Jahr ein Zinsenschloss :-)

  • P
    Petronius

    Ja, das mit dem Ignorieren ist so ein deutsches Phänomen.

    Wir können uns das auch noch nicht erklären. Erforschen es aber schon lange. Vorallem ein Herr Knopp.

     

    Da gab´s mal den Fall von dem Typen mit nem Oberlippenbart. Der glaubte immer noch ans Endspiel und sah das Wunder von Bern voraus. Obwohl schon einige russische Schlachtenbummler mit Kalaschnikows vor der Tür standen und sich für den Sieger der Partie erklärten.

     

    Aber mal ganz im Ernst. Wer soll denn die Staatsverschuldung anschließend zurückzahlen? Wir können gerne noch ein paar Autos produzieren um ja keine Arbeitslosen zu haben. In unserer Straße haben wir aber keinen Platz mehr, um welche abzustellen. Können wir dafür was bekommen was wir noch nicht im Überfluß haben. Danke!

  • H
    Hochbahnopfer

    Selbstverleugnung gehört einfach zur Wirtschaftsdiktatur ala Steinmerkel. Die Lobbybediener verhalten sich ja auch nicht anders als Ihre leuchtenden Lobby-Vorbilder Banker, Autobauer, Pharma Lobby usw. usw.

    Geht schon weiter, solange selbst gekaufte Umfragen und Presse-Lobby die Unfähigkeit weiter durchwinken. Bis zum abwinken.