Kommentar Bürgerschaftswahl in Hamburg: Was ist dieser Sieg für die SPD wert?
Olaf Scholz agierte in Hamburg mittig und geschickt. Doch weil sich die CDU in Hamburg quasi selbst vernichtet hat, kann die SPD aus dieser Wahl nicht wirklich etwas ableiten.
O laf Scholz hat einen schier unmöglichen Sieg errungen. Ausgerechnet er, der farblose Parteibeamte, hat die CDU vernichtend geschlagen und der SPD eine absolute Mehrheit beschert. Und das in einer Stadt, in der die SPD jahrelang nur durch allerlei groteske Affären aufgefallen war. Doch Scholz hat die Partei wieder auf den rechten Weg zurückgeführt: pragmatisch, mittig, bescheiden und solide. So kann die SPD wieder gewinnen.
So ungefähr lautet die Erzählung der SPD - aber das ist nur die halbe Wahrheit. Diesen Sieg gäbe es nicht ohne die Selbstvernichtung der Hamburger CDU. Erst das Fiasko der schwarz-grünen Schulreform. Dann Ole von Beusts Abgang, der fast eine Flucht war, dann ein Nachfolger, der wirkte, als wäre er im falschen Film. Jetzt, ohne den weltoffenen von Beust, sieht man, dass die CDU eben keineswegs in den urbanen Milieus angekommen ist.
Kurzum: Angela Merkel und der Frust über Schwarz-Gelb in Berlin waren nicht der Grund für Ahlhaus Absturz. Hamburg lässt sich nicht auf den Bund hochrechnen. Dass sich die Westerwelle-FDP, der ein paar frustrierte Ex-CDU Wähler über die 5-Prozent-Hürde geholfen haben, sich dies als eigenes Verdienst zuschreibt, hat schon etwas Verzweifeltes.
STEFAN REINECKE ist Redakteur im Berliner Parlamentsbüro der taz.
Für die Linkspartei liegt die Sache so ähnlich wie bei der FDP. So wenig Westerwelle sich den Hamburger Erfolg ans Revers heften darf, so wenig dürfen dies bei der Linkspartei die Chefs Lötzsch und Ernst. Die Hamburger Linksfraktion hat die von Lötzsch ausgelöste Kommunismus-Debatte tapfer überstanden und danach auch mediale Versuche, sie zu verbiesterten Linksextremen zu stempeln. Wiedergewählt wurde die Linkspartei wegen unspektakulärer Sacharbeit. Und wie bei Westerwelle ist auch bei der Linkspartei offen, ob der Hamburger Hoffungschimmer die Agonie der Bundes-Führung nicht bloß unnötig verlängert.
Klar ist aber auch: Die SPD sollte sich womöglich doch noch in diesem Jahrzehnt mit dem Gedanken vertraut machen, dass die Linkspartei im Westen nicht wie ein böser Spuk verschwinden wird. Sogar wo die SPD wie ein Staubsauger wirkt und die absolute Mehrheit gewinnt, bringt sie die Linkspartei partout nicht zum Verschwinden. Wo dann?
Die Schlüsselfrage lautet: Was ist dieser Sieg für die SPD wirklich wert? Ist es ein Sieg, der doch irgendwie über Hamburg hinausstrahlen wird? Ein Weckruf für die ermüdete Sozialdemokratie? Ein Wegweiser, wohin es geht? Scholz hat gewonnen, weil er die CDU geschickt auf ihrem eigenen Feld angegriffen hat und die ohnehin taumelnden Konservativen damit vollends zu Boden gestreckt hat. Scholz hat einen neoliberalen Wirtschaftssenator nominiert, den auch die CDU schon mal gern haben wollte (und den ihr damals die Grünen ausgeredet haben). Und Scholz hat den Grünen, die nach der schwarz-grünen Bruchlandung sowieso kleinlaut klangen, ihre Rolle zugewiesen: als Kellnerin, die nun doch nicht gebraucht wird. Alles kühl kalkuliert. So hat auch Gerhard Schröder Wahlen gewonnen. Wirtschaftsnah und machtbewusst. Im nüchternen Morgenlicht werden manche Grüne vielleicht ganz froh sein, dass sie nicht mit dieser zu Machtarroganz neigenden SPD regieren müssen
Doch ein Passepartout für die sechs Landtagswahlen 2011 ist diese Wahl nicht. In Hamburg kam zusammen, was es sonst nirgends gibt: das Scheitern von Schwarz-Grün in einem Stadtstaat, der auch in zehn Jahren CDU-Regierung seine sozialdemokratische Grundierung nie verloren hat. Nichts wäre törichter, als zu glauben, dass die SPD als Volkspartei alten Stils wieder auferstanden ist, mit uneinnehmbaren Hochburgen und treuer Stammwählerschaft. Und auch Schwarz-Grün ist, trotz dieser Niederlage und Flüchen von beiden Seiten, im Bund längst nicht erledigt.
Was kann die SPD also aus Hamburg lernen? Dass das enge Bündnis mit den Wirtschaftseliten wirklich die Rettung für die Bundes- SPD wäre, darf bezweifelt werden. Bei Schröder endete dieser Kurs für die SPD in einer bis heute währenden Sinnkrise.
Olaf Scholz, hört man, sei nun der zweitmächtigste Mann in der SPD. Man weiß nicht, ob das für die SPD wirklich eine gute Nachricht ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus