Kommentar Bosnien: Das Land benötigt einen großen Wurf
Bosnien benötigt endlich eine tragfähige Verfassung. Die erfolgreiche Reform des Polizeigesetzeszeigt, dass Einigungen zwischen Bosniaken und Serben möglich sind.
E ndlich kann der Stillstand der Politik in Bosnien überwunden werden: Bosniaken und Serben haben sich in Grundzügen auf eine Polizeireform geeinigt. Vier Jahre lang haben sie über die Grundsatzfrage gestritten, ob die Polizei völkisch definiert wird oder neutral für alle Bürger da ist, ob der Zentralstaat gestärkt wird oder die Macht der nationalen Politiker erhalten bleibt. Jede nationale Seite konnte die Verhandlungen blockieren. Gerade noch rechtzeitig haben sich die beiden wichtigsten Politiker der Bosniaken und Serben nun zusammengesetzt und einen Vorschlag an den Institutionen vorbei entwickelt. Denn eine Reform der Polizei war Voraussetzung für Verhandlungen mit der EU über ein Assoziierungsabkommen, und Brüssel hatte hierfür eine Frist bis zu diesem Wochenende gesetzt.
Das Gezerre um die Polizeireform war bei Besuchen internationaler Politiker immer ein Grund zu der Kritik, die hiesigen sollten endlich einmal selbst Verantwortung übernehmen. Dabei vergaßen sie sehr gerne, dass die komplizierten Verhältnisse in diesem Land durch die internationale Politik mit gestaltet sind. Das Friedensabkommen von Dayton 1995 hat einen derart komplizierten Staatsaufbau geschaffen, sodass reguläre demokratische Prozeduren zu durchlaufen fast unmöglich ist. Wie sollen schnelle Entscheidungen fallen, wenn nicht nur die Regierung des Gesamtstaates, das Parlament des Gesamtstaates, die Parlamente der beiden sogenannte Entitäten, der Föderation und der Republika Srpska und deren Regierungen, zu entscheiden haben? Dazu kommt noch das Büro des Hohen Repräsentanten.
Wichtiger als immer wieder mühsame Verhandlungen im Detail wäre für die Region ein großer Wurf. Die internationale Politik kann das Land sich nicht selbst überlassen, sondern muss zuallererst die Reform einer Verfassung voranbringen, die diesen Namen auch verdient. Nur im Rahmen einer demokratischen, den Gesamtstaat stärkenden Verfassung würden die Prozeduren und alle Verhandlungen vereinfacht. Die Polizeireform ist dazu ein kleiner Schritt. ERICH RATHFELDER
Lesen gegen das Patriarchat
Auf taz.de finden Sie eine unabhängige, progressive Stimme – frei zugänglich, ermöglicht von unserer Community. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!