Kommentar Bolivien: Weiße Oberschicht nun ohne Maske
Vorsicht, Autorität und entschlossene Rhetorik: Boliviens Präsident Morales agiert in der aktuellen Krise geschickt.
Evo Morales ist noch lange nicht am Ende. Der Indígena im bolivianischen Regierungspalast hat die bisher heftigste Attacke der Rechten auf seine "demokratische und kulturelle Revolution" geschickt gemeistert. Mit einer Mischung aus Vorsicht, Autorität und entschlossener Rhetorik für die eigene Basis hat der Staatschef die Möchtegern-Putschisten aus dem Tiefland in die Klemme manövriert.
Auf die Verwüstungen, Sabotageakte und physischen Aggressionen der "Autonomisten" reagierte er verhalten. Daraufhin wollte die Rechte ausgerechnet am symbolträchtigen 11. September den Bürgerkrieg provozieren: In der abgelegenen Amazonasprovinz Pando organisierte Gouverneur Leopoldo Fernández, ein langjähriger Verbündeter von Exdiktator Hugo Banzer, offenbar ein Blutbad an Dutzenden Kleinbauern.
Die Zentralregierung in La Paz reagierte mit der begrenzten Verhängung des Ausnahmezustands und nahm zugleich Gespräche mit dem konservativen Gouverneur Mario Cossío aus Tarija auf. Gleichzeitig hält Morales seine Anhänger, von denen manche am liebsten zum Sturm auf Santa Cruz blasen würden, mit klaren Worten bei der Stange - und in Zaum. Auch außenpolitisch agiert er klug: Durch die Ausweisung des US-Botschafters wies er auf die Agenda Washingtons in der Region hin, auf dem Gipfeltreffen in Santiago holte er sich die Rückendeckung seiner südamerikanischen KollegInnen.
Ganz im Gegensatz zu vielen seiner Kontrahenten hält sich Morales an Recht und Gesetz. Für sein durchaus gemäßigtes Reformprogramm zugunsten der ausgebeuteten Bevölkerungsmehrheit bekam er am 10. August erneut ein eindrucksvolles Mandat: Bei einer Wahlbeteiligung von 83 Prozent kam er auf 67,4 Prozent der Stimmen. Und im Gegensatz zu manchen seiner Kollegen bemüht er sich, seine Versprechen auch gegen die Interessen der alten und neuen Oligarchien umzusetzen, etwa durch eine Agrarreform. Die weiße Oberschicht aus dem Tiefland hingegen spricht nur für sich selbst. In der letzten Woche hat sie ihre demokratische Maske fallenlassen.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen