Kommentar Bolivien: Weiser Verzicht auf dritte Amtszeit
Regierung und Opposition in Bolivien legen Verfassungsstreit bei
M it dem Kompromiss über eine neue Verfassung und den Zeitplan für die Urnengänge 2009 haben Evo Morales und seine Regierung bis auf Weiteres die Gefahr gebannt, dass der Konflikt zwischen Teilen der Oligarchie in den Tieflandprovinzen und der indigenen Bevölkerungsmehrheit erneut eskaliert. Auf dem Weg zum sozialen Umbau Boliviens ist das ein wichtiger Schritt.
Die Devise "Dialog und Druck" hat sich ausgezahlt. Vizepräsident Álvaro García Linera, der auch Parlamentspräsident ist, war bereits seit Monaten mit Teilen der bürgerlichen Opposition im Gespräch. Staatschef Morales übernahm derweil die Aufgabe, durch einen Sternmarsch den Druck der Straße sichtbar zu machen - und zugleich zu kanalisieren: Seiner zu Recht ungeduldigen Basis machte "der Evo" die unvermeidlichen Konzessionen als Erfolg schmackhaft.
Gerhard Dilger ist Südamerika-Korrespondent der taz.
Als besonders gelungener Schachzug könnte sich sein Verzicht auf eine zweite Wiederwahl 2014 erweisen. Denn so wichtig populäre Führungsfiguren für Reformprozesse sind - wirklich tragfähig können gerade linke Projekte erst werden, wenn sie sich von der Machtkonzentration auf Einzelne freimachen. Zudem zeigt das Beispiel Bolivien, was unverzichtbar für einen wirklichen Systemwandel ist: Die Wählerbasis der Regierung wird nicht nur mit dringend nötigen Sozialprogrammen bedacht, sondern als politischer Akteur ernstgenommen. In Brasilien dagegen werden die sozialen Bewegungen viel mehr kooptiert - und so entpolitisiert.
Beim Kompromiss in Sachen Agrarreform wird aber auch deutlich, wie schwierig die angestrebte "Neugründung" Boliviens ist: Die neuen Obergrenzen für Landbesitz gelten nicht rückwirkend
Schon die bisherige Gesetzgebung hält Möglichkeiten zur Enteignung unproduktiver Ländereien bereit. Wie auch in den Nachbarländern liegt der Knackpunkt darin, wie fortschrittliche Bestimmungen umgesetzt werden. Voraussetzung dafür ist wiederum, dass sich die Machtverhältnisse zugunsten der Armen verschieben. In dieser Hinsicht haben Evo Morales und seine Anhänger nun allen Grund zum Feiern.
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