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Kommentar Bevölkerungspolitik in IndienMänner lassen Frauen im Stich

Kommentar von Michael Radunski

Bei einer Massensterilisierung sind 15 Frauen gestorben. Indiens Familienpolitik ist richtig, doch der Vorfall legt gravierende Probleme offen.

Vor der Sterilisation: Frauen warten in einem Krankenhaus in Bilaspur im Bundesstaat Chhattisgarh. Bild: reuters

Z uerst die Fakten: Aktuell leben in Indien knapp 1,2 Milliarden Menschen, nur in China gibt es mehr Menschen. Schätzungen zufolge wird Indien im Jahr 2030 China als bevölkerungsreichstes Land der Welt ablösen.

Im Gegensatz zu der mehr als fragwürdigen „Ein Kind“-Politik Pekings gibt es in Indien keine Gesetze, die Familien vorschreiben, wie viele Kinder sie bekommen dürfen. Delhi versucht, Paare durch kostenlose Angebote und materielle Anreize zur Empfängnisverhütung zu bewegen. Das spricht zwar zwangsläufig eher arme Bevölkerungsschichten an, trotzdem ist der Ansatz richtig.

Doch auch in Indien gibt es gravierende Probleme: Im Bundesstaat Chhattisgarh hat ein einziger Arzt innerhalb von fünf Stunden 83 Frauen ihre Eileiter durchtrennt, pro Eingriff benötigte er damit knapp drei Minuten. 15 Frauen sind bei dieser „Massensterilisierung“ ums Leben gekommen.

Die Tragödie zeigt: Eine Sterilisation ist ein gravierender gesundheitlicher Eingriff. Er muss vertraulich und mit der gebotenen Sorgfalt vorgenommen werden. In Deutschland wird dafür mindestens eine Stunde veranschlagt.

Zu Massenabfertigungen im Minutentakt wie in Chhattisgarh darf es nicht kommen. Darunter leidet zwangsläufig die Psyche der Patientinnen, von der nötigen Hygiene ganz zu schweigen.

Außerdem: Es ist traurig, dass die Hauptlast der Bevölkerungspolitik fast ausschließlich von Frauen getragen wird. Laut offiziellem Familiengesundheitsbericht von 2006 wurden 37 Prozent der verheirateten Frauen sterilisiert, die Vasektomie-Quote bei Männern liegt bei einem Prozent – obwohl eine Vasektomie weitaus unkomplizierter ist und rückgängig gemacht werden kann.

Indiens Männer gelten als stolz und fürsorglich. Doch bei diesem Thema lassen sie ihre Frauen im Stich.

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3 Kommentare

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  • Ich muss Anton Gorodezky nur Recht geben. Indien ist das Paradebeispiel für so ziemlich alles, was mit Bevölkerungskontrolle zu tun hat. Genau darum geht es nämlich. Die Ursprünge liegen in den 60er-Jahren und die Auswirkungen bekommen die Menschen immer noch zu spüren. Eine nachhaltige Armutsbekämpfung würde im Gegendsatz zu Sterilisierungen tatsächlich etwas bringen.

  • Keine Sorge, die Bill und Melinda Gates Stiftung in kooperation mit Monsanto finden da bestimmt eine ganz tolle Lösung.

  • Eine Vasektomie ist eben nicht einfach so reversibel, tatsächlich wird momentan fieberhaft an einer Möglichkeit der dauerhaften Empfängnisverhütung für Männer geforscht. Und ob eine Reversion für Bevölkerungsgruppen, deren Frauen sich eine Drei-Minuten-Sterilisation antun, bezahlbar ist, steht auch noch auf einem anderen Blatt.

     

    Im Artikel klingt es ja schon etwas an, aber die taz macht dann doch lieber ein Gender-Ding daraus: das Problem hat etwas mit arm und reich zu tun, nicht so sehr mit Mann und Frau.