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Kommentar Behinderten-VersorgungOhne Zivis wird es teurer

Ilka Kreutzträger
Kommentar von Ilka Kreutzträger

Die Zivildienstleistenden sind gerade bei der individuellen Schwerstbehindertenbetreuung nicht mit Freiwilligen zu ersetzen. Es gibt schlicht niemanden.

I m Artikel 3 des Grundgesetzes heißt es, dass niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf. Und benachteiligt ist nicht nur, wer aufgrund einer Körperbehinderung beispielsweise einen Job nicht bekommt. Benachteiligt ist auch, wer nicht ins Kino gehen, an die Elbe fahren oder entscheiden kann, was abends gekocht wird.

Nun fallen die Zivildienstleistenden ersatzlos weg. Sie haben den Schwerstkörperbehinderten aber diese Freiheiten und damit die Teilhabe am sozialen Leben ermöglicht. Und wenn man den Zuständigen in der Gesundheitsbehörde so zuhört, bekommt man den Eindruck, dass das alles ganz überraschend kam.

Denn statt Lösungen gibt es Denkmodelle. Man denke beispielsweise darüber nach, wie junge Leute für freiwillige Arbeit zu motivieren seien. Darüber hätte letztes Jahr nachgedacht werden müssen, als entschieden wurde, den Zivildienst auszusetzen.

Die Zivildienstleistenden sind gerade bei der individuellen Schwerstbehindertenbetreuung nicht mit Freiwilligen zu ersetzen. Es gibt schlicht niemanden, der freiwillig für ein Taschengeld eine so verantwortungsvolle Aufgabe übernehmen will.

Also müssen feste Kräfte eingestellt und nach Tarif bezahlt werden. Auch wenn Hamburg das nicht passt. Freiwillige kann auch das schönste Modell nicht herbei denken.

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Ilka Kreutzträger
Redaktionsleiterin Nord
Jahrgang 1977, die Soziologin arbeitete lange für die taz nord als Autorin und CvD sowie für den NDR in Hamburg als Nachrichtenredakteurin Online und Radio, ging dann kurz zum stern und war stellvertretende Ressortleiterin Lokales bei der Hamburger Morgenpost. Sie gibt an der Uni Bremen seit 2013 Schreib-Workshops. Seit 2023 ist sie Redaktionsleiterin der taz nord.
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1 Kommentar

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  • E
    Ex-Fsj'ler

    Stimme dem Kommentarinhalt nahezu komplett zu, muss aber bei den freiwilligen Helfern widersprechen.

    Bin selbst seit 2 Wochen ehemaliger FSJ'ler einer Wohngruppe für Menschen mit Behinderung und durfte einen Einblick in die soziale Arbeitswelt gewinnen.

    In der Behindertenbetreuung sind meinem Eindruck nach derzeit sehr viele junge Leute im Rahmen eines freiwilligen sozialen Jahres tätig und das obwohl sich die Arbeit von der eines Zivis nicht unterscheidet und gleichzeitig deutlich geringer entlohnt wird (sog. Taschengeld).

    Die Einsatzfelder und Aufgabenbereiche sind nahezu identisch mit denen eines Zivis.

    Ich kann nur hoffen, dass das FSJ in Zukunft noch mehr gefördert und vor allem etwas attraktiver beworben wird. Gerade Freiwillige müssen für ihren Idealismus besser belohnt werden.

    Ich kann mir nach meinem Jahr aufgrund der immer schlechter werdenden Arbeitsbedingungen keine Zukunft im sozialen Sektor vorstellen und muss dabei mit schlechtem Gewissen an meine ehemaligen Klienten denken.