Kommentar Ausländische Berufsabschlüsse: Ein spätes "Hallo"
Endlich hat die Bundesregierung ein Gesetz zur besseren Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen vorgelegt – und betrachtet damit Einwanderung als gesellschaftliche Realität.
B efremdlich ist es schon, wenn man als Gast seit Stunden im Wohnzimmer des Gastgebers steht - und niemand begrüßt einen. Diese Erniedrigung erfahren viele Einwanderer, die nach Deutschland kommen, ohne dass jemand Notiz von ihren beruflichen Qualifikationen nimmt. Erstmals wendet sich die Bundesregierung nun jenen Menschen zu und legt ein Gesetz zur besseren Anerkennung von Abschlüssen vor. Ein spätes "Hallo". Aber ein wichtiges.
Indem sie Kammern und Behörden verpflichtet, die ausländischen Abschlüsse aller Menschen zu prüfen und gegebenenfalls anzuerkennen, betrachtet auch die Bundesregierung Einwanderung als gesellschaftliche Realität. Mit der Parole einer deutschen Leitkultur, wie sie CDU-Politiker noch vor Jahren verkündeten, lassen sich Stammwähler berauschen, der Standort Deutschland lässt sich so nicht sichern. Als unternehmerfreundliche Parteien lauschen CDU, CSU und FDP selbstverständlich auch dem Sound der Wirtschaft. Und die jammert über drohenden Fachkräftemangel und stimmt das Lied von der Willkomenskultur in Deutschland an.
Da wippt die schwarz-gelbe Bundesregierung nun also mit. Egal aus welchen Motiven sie das tut, es ist zu begrüßen. Man kann von einem türkischen Techniker nicht fordern, sich zu integrieren, und dann seinen Abschluss mit Füßen treten. Jeder vierte ausländische ALG-II-Empfänger gilt als ungelernt, weil sein Abschluss kein deutsches Gütesiegel trägt.
ANNA LEHMANN, Jahrgang 1975, ist Bildungsredakteurin der taz.
Aber Vorsicht: Die deutsche Qualifikation bleibt Standard für ausländische Bewerber. Von der Prüfung des Abschlusses bis zur Anerkennung des Berufs kann es Jahre dauern. Ein Rechtsanspruch ist das eine, nun muss sich die Praxis ändern. Die Unis müssten Seminare und Sprachkurse für Wiedereinsteiger anbieten. Und vielleicht setzt sich hier und da die Erkenntnis durch, dass deutsche Maßstäbe nicht immer die weltweit besten sind. Vom "Hallo" bis zur echten Willkommenskultur ist es noch weit.
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