Kommentar Atomwende: Generation Tschernobyl
Auch die Politiker haben die Lehre aus Tschernobyl begriffen: Die Gefahr verleugnen und darauf beharren, dass deutsche Atomkraft sicher sei, könnte den Job kosten.
U nsere Toppolitiker sind in ihrer großen Mehrheit zwischen 45 und 65 Jahre alt. Sie sind also politisch die Generation Tschernobyl. Das erklärt ihre rasche Reaktion auf das Atomdesaster in Japan.Von Merkel bis in die Hinterbänke der CSU haben fast alle sofort erfasst, dass sie nicht den Fehler ihrer Vorgängergeneration machen dürfen.
Als 1986 der Reaktor 4 in Tschernobyl explodierte, wurde in der Union und teilweise auch in anderen Parteien erst einmal abgeleugnet, dass es Auswirkungen auf die Bevölkerung hier geben könnte, und behauptet, dass die Atomkraft insgesamt sicher sei.
Und wurden dann Stück für Stück von der Wirklichkeit als Lügner und Büttel der Atomindustrie überführt.
Es gab damals noch keinen Internetvideodienst wie YouTube, deshalb ist alles nicht so griffig dokumentiert wie heutzutage. Aber mancher erinnert sich vielleicht noch an die Tiraden des damaligen CSU-Innenministers gegen die Anti-Atom-Spinner, im Fernsehen wie in bayerischen Bierzelten.
Die CSU und die Union verlor damals eine ganze Generation an Wählern. Sie kam beim Umweltschutz strategisch in die Defensive und hat sich bis heute nicht davon erholt. Es gab natürlich überdeckende Ereignisse wie die Wiedervereinigung oder die Terroranschläge vom 11. September.
Aber ihre Kompetenz beim Thema "Zukunft" - und das nicht nur im technischen Bereich - hatte die Union auf Dauer stark geschwächt.
Nun trifft die nächste Reaktorkatastrophe in die gleiche atomare Wunde. Die Explosionen in Fukushima dürfte bei den Spitzenpolitikern genauso zum Film im Kopf geführt haben wie bei denjenigen, die Tschernobyl noch erlebt haben.
Jetzt müssen die Wähler entscheiden, ob sie eine solche Kehrtwende honorieren. Dafür muss die Union aber bei der Energiepolitik noch nachlegen und die Erneuerbaren wirklich fördern. Ein dreimonatiges Moratorium für sieben AKWs dürfte nicht reichen.
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