Kommentar Atompolitik: Opportunistischer Eiertanz
Die 180° Grad-Wende der Kanzlerin von der Laufzeitverlängerung zum Atomausstieg ist peinlich und politisch unerträglich.
K ein Bundespolitiker von Relevanz in der deutschen Nachkriegsgeschichte hat die Kunst der opportunistischen 180-Grad-Wende bisher so beherrscht wie die jetzige Kanzlerin. So alternativlos - um Merkels Unwort zu nutzen - die Laufzeitverlängerung für die Kanzlerin im Herbst noch war, so alternativlos ist für sie plötzlich offenbar die Laufzeitverkürzung geworden.
Rein von der Sache her betrachtet, könnte man nun jubeln. Jeder Mitstreiter beim Atomausstieg ist schließlich ein Gewinn für die Sicherheit und den Schutz des Landes. Doch die Freude fällt diesmal schwer. Denn das Merkelsche Wendemanöver ist menschlich hochgradig peinlich und politisch unerträglich. Denn wer kann einer Politikerin noch vertrauen, die selbst bei einem ihrer Kernthemen mal eben die Seiten wechselt, weil die politische Stimmung es gerade gebietet? Wenn das einzig Verlässliche in der Politik nur noch der opportunistische Eiertanz ist, dann ist die politische Kultur am Ende.
Allein aus machtpolitischer Sicht ergibt der Schwenk in der Atomfrage Sinn. Schließlich hat die FDP sich so systematisch ruiniert, dass die Kanzlerin ihre politische Zukunft auf diese nicht mehr stützen kann. Da gleichzeitig die Grünen sich wahlarithmetisch zu einer Machtoption entwickeln, sucht die Kanzlerin nun die Annäherung zu jener Partei, die sie noch im Herbst mit ihrem harten Atomkurs brüskierte. So weit, so plausibel.
Eine andere Interpretation ist kaum glaubhaft - etwa jene, dass der Kanzlerin durch die Katastrophe von Fukushima wirklich ein Licht aufgegangen ist. Dann nämlich würde sie beschämt abtreten. Dann wäre ihr der Laufzeitverlängerungsdeal vom Herbst so peinlich, dass sie erkennen müsste, dass sie nicht die richtige Person ist, um nun einen beschleunigten Ausstieg durchzuziehen.
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