Kommentar Atomausstieg: Kriterien für Gabriel
Ein schnellerer Ausstieg anfälliger Meiler ist überfällig. Aber zuerst müssen die Siedewasserreaktoren vom Netz, ganz egal, wie alt sie sind.
Reden wir mal nicht nur über das Alter, sondern auch über die Technik von AKWs. Denn in diesem einen Punkt kann man Kritikern des Atomkonsenses nicht widersprechen: Die Sicherheit eines Atomkraftwerks hängt nicht alleine am Alter.
In Deutschland werden derzeit noch zwei grundsätzlich verschiedene Typen von Reaktoren betrieben, die ein unterschiedliches Störfallrisiko bergen. Es gibt einerseits die Siedewasserreaktoren und andererseits die Druckwasserreaktoren. 6 der derzeit noch laufenden 17 Meiler in Deutschland sind Siedewasserreaktoren. Sie unterscheiden sich von den Druckwasserreaktoren darin, dass die Dampfturbine direkt mit dem Wasserdampf betrieben wird, der im Reaktordruckbehälter erzeugt wird. Damit ist der radioaktive Kreislauf nicht auf den Sicherheitsbehälter beschränkt - wodurch sich ein zusätzliches Risiko ergibt.
Zudem ist Wasserstoffbildung, die in Brunsbüttel im Dezember 2001 zu einer Explosion führte, typisch für Siedewasserreaktoren. Ganz nebenbei geben die Anlagen im Regelbetrieb auch mehr Radioaktivität an die Umwelt ab als die Druckwasserreaktoren. Sie sind zudem gegen Anschläge schlechter zu sichern, und sie leiden in der Regel auch noch unter stärkerem Verschleiß - viele Gründe also gegen die Siedewassertechnik. Vor allem die so genannte Baulinie 69, die sich in kastenförmigen Bauten äußert, ist untragbar.
So ist es kein Zufall, dass die beiden Skandalreaktoren Brunsbüttel und Krümmel sowie der Beinahe-GAU-Reaktor Forsmark in Schweden zur Gruppe dieser Siedewasserreaktoren zählen. Und deswegen müssen alle Siedewasserreaktoren so schnell wie möglich vom Netz - und das sind in Deutschland: Brunsbüttel, Krümmel, Philippsburg 1, Isar 1, Gundremmingen B und C.
Der Vorstoß von Umweltminister Sigmar Gabriel, den Atomausstieg zur Verminderung der Risiken zu beschleunigen und in großem Stil Stromkontingente von alten auf jüngere Meiler zu übertragen, ist gut. Wenn der Umweltminister sich am Ende nicht sklavisch am Alter der Reaktoren orientiert, sondern auch noch die Technik als weiteres Kriterium hinzuzieht, ist der Vorstoß grandios.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier