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Kommentar ArbeitsschutzMein Job, mein Burn-out

Eva Völpel
Kommentar von Eva Völpel

Der Gesellschaftsdiskurs muss revitalisiert werden: über gute Jobs und echte Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten. Die Gewerkschaften haben das lange vernachlässigt.

D er Boom ist da (aber die nächste Krise kündigt sich schon an), der Stress ist mehr geworden. Auf diese Formel lassen sich die Ergebnisse der Betriebsrätebefragung der IG Metall bringen. Während die Zahl der Menschen mit Burn-out-Syndrom in den letzten Jahren explodiert ist und die Weltgesundheitsorganisation warnt, beruflicher Stress sei die "größte Gefahr des 21. Jahrhunderts", hinken Analyse und Gegenmaßnahmen hinterher. In den Betrieben gibt es bis heute keine verbindlichen Mechanismen, um Frustration und Arbeitsverdichtung entgegenzusteuern.

Die Ursachen für psychische Erkrankungen sind vielfältig. Eine gewachsene gesellschaftliche Sensiblität lässt automatisch auch die Burn-out-Diagnosen ansteigen. Vor allem aber ist die Kapitulation von Körper und Seele immer mehr Beschäftigter ein Zeichen dafür, wie krank die Arbeit in einer globalisierten und auf immer mehr Wettbewerb, Restrukturierung, Schnelligkeit und Renditedruck getrimmten Ökonomie macht.

Dazu haben auch die Kommunikations-Revolution und die Verschiebung hin zur Dienstleistungsgesellschaft beigetragen: permanente Erreichbarkeit, höhere Ansprüche an die Kommunikationsfähigkeit, Projektziele statt fest umrissener Arbeitszeiten oder Personalabbau in den sozialen Diensten heben die Grenzen zwischen Job und Freizeit auf.

Bild: blidar
Eva Völpel

ist Redakteurin für die Themen Arbeit und Soziales im Inlandsressort der taz.

Neue Verordnungen für Unternehmen helfen nicht weiter. Der gesellschaftliche Diskurs muss revitalisiert werden: über gute Jobs und ihre Entschleunigung, über Arbeitszeitverkürzung, über echte Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten. Für die Gewerkschaften eigentlich ein dankbares Feld; doch die haben den Kampf um die Qualität der Arbeit viel zu lange hintangestellt.

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Eva Völpel
Inlandsredakteurin
Jahrgang 1976. Ist seit 2009 bei der taz und schreibt über Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik sowie die Gewerkschaften
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9 Kommentare

 / 
  • AS
    Andreas Suttor

    @Textman

    Ich lebe in Deutschland, übrigens im ärmsten Landstrich der Republik. Auch ich habe Familie - aber ich habe noch keine Sekunde meines Lebens einen Job gemacht, bei dem ich mich nícht wohlgefühlt hätte. Und da sind wir wieder bei der eigenen Persönlichkeit.

  • T
    Textman

    @Andreas Suttor

     

    na klar....ich kann mir meinen Arbeitsplatz aussuchen. Wo bitte schön leben Sie denn???

     

    Theoretisch haben Sie ja recht, leider sieht es in meinem wirklichen Leben anders aus und um einigermassen meine Familie zu ernähren muss ich halt mindestens 55 Stunden die Woche machen.

     

    Wir leisten uns mit Ausnahme meines 15jahre alten Passats keinen Luxus, da frage ich mich schon ob ich eine Wahl habe.

     

    Und dann erzählen sie mir das Problem sind die Anforderungen, die ich an mich selbst stelle.

     

    "Keiner wird gezwungen, irgendeinen Job zu machen", die Alternative wäre Harz4

    na dann mal noch nen schönen Tag

  • AS
    Andreas Suttor

    Das Problem sind nicht die Arbeitsbedingungen oder die neuen vielfältigen Herausforderungen: denn man muß sie ja nicht annehmen. Das Problem sind die Anforderungen, die die Menschen an sich selbst stellen. Keiner wird gezwungen, irgendeinen Job zu machen. Jeder hat die Chance, sich seinen Arbeitsplatz auszusuchen - oder eben diesen auch zu verlassen, wenn der Druck zu groß erscheint. Jeder selbst stellt an sich die zu hohen Anforderungen - deswegen muß auch bei jedem persönlich die Lösung des Problems beginnen, nicht im Betrieb und nicht im Diskurs, schon gar nicht in der Politik.

  • BD
    Bernd der Coole

    Was ist das denn für ein lächerlicher Kommentar? Ein Art Pamphlet gegen den "Renditedruck"? In welcher Welt lebt diese Autorin? Ist das eine Beamtin, die mit Erhalt der Verbeamtungsurkunde die Arbeit eingestellt hat? Vielleicht ist der Dame das nicht bekannt, aber manche Menschen, seien es Fußballtrainer oder Fleischerei-Fachverkäuferinnen, müssen für ihr Geld arbeiten - und, auch das ist kein Geheimnis, die Leute arbeiten zu 75 % bei kleinen und mittleren Unternehmen, wo der Chef mit seinem ganzen Privatvermögen haftet.

     

    Ein dummer, lebensunerfahrener und weltfremder Artikel.

  • BU
    Betsy Uphus

    Sehr geehrte Frau Völpel,

     

    vielen Dank für den differenzierten Bericht, der verdeutlicht, dass Burnout mittlerweile eine Zivilisationskrankheit und ein Massenphänomen ist. Eine Diskussion um Ursachen und mögliche Prävention nimmt langsam Form an - endlich!

    Ich bin überzeugt, dass der Bewusstwerdungsprozess über mögliche Folgen der schweren Erkrankung in die betreffenden Systeme getragen werden muss. Denn wenn Menschen krank werden, dann bedeutet das nicht nur großes Leid, sondern auch, dass die Funktionalität und Wirtschaftlichkeit der Systeme bedroht sind. Der private Haushalt funktioniert nicht mehr, wenn ein Elternteil erkrankt, der Lehrbetrieb an Schulen und Universitäten leidet, wenn Lehrer und Dozenten ausfallen, das Gesundheitswesen ist nicht mehr stabil, wenn Ärzte und Krankenschwestern erschöpft sind, und die Kosten für Unternehmen steigen enorm. Darüber muss endlich diskutiert werden.

    Herzliche Grüße aus München,

    Betsy Uphus

  • H
    Helga

    Das ist ja grausig, wie kann man denn so einen Vulgär-Populismus ernsthaft noch veröffentlichen? Nicht einmal mehr Sahra Wagenknecht spricht noch von Arbeitszeitverkürzung, immer mehr Junge müssen immer mehr Alte versorgen, aber die taz spielt hier ein sozialpolitisches Wunschkonzert unterster Schublade ab. Habe ich das jetzt überlesen, aber warum wird in dem Artikel nicht taz-reflexartig gefordert, "die Reichen" sollten mehr zahlen? Diesen taz-running-gag vermisse ich noch!

     

    Da hat echt jede linksalternative Pädagogen-AStA-Zeitung mehr wirtschafts- und sozialpolitischen Tiefgang als dieser Käse hier.

  • T
    Tim

    Der eigentliche Problembezug von Dienstleistungsgesellschaft und Burn-Out besteht darin, dass im Gegensatz zu den Erzeugnissen im produzierenden Gewerbe der Wert einer Dienstleistung über die Zeit kaum wächst, die Gewinne aber trotzdem steigen sollen. Da die Einnahmen kaum steigen können, muss das Wachstum durch Kürzung der Ausgaben erreicht werden, also durch Kostenreduzierung und Produktivitätssteigerung der Belegschaft.

    Oder einfacher formuliert: Die notwendige Arbeit zur "Herstellung" einer Dauerwelle ändert sich kaum mit der technologischen Entwicklung, will man aber mehr Geld damit verdienen, muss die/der FriseurIn mehr arbeiten und/oder weniger Lohn bekommen.

  • DK
    dis kurs

    Per anonymer Web-App hätte man das schon zu Schröder-Trittins Neue Markt Zeiten haben können.

    Oder die taz oder freie Programmierergruppen.

    Als Privatperson wird man ja für solche Projekte abgemahnt.

    Und die Linke und Grüne lehnen Computer anscheinend ab. Den Piraten ist es egal obwohl sie darüber als Arbeits+Verbraucherschützer und "die kriegen was gebacken"-Organisatoren dem Volk und den Mitwissern eine Stimme geben könnten. Aber wohl nicht wollen. Siehe Liquid-Democracy-Gezerre.

  • R
    RainerRobinson

    Solange die Gewerkschaften sich als Trittbrettfahrer und letztendlich Nutznießer individueller und existenzbedrohender Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Menschen und Unternehmen gerieren, kann ich deren Engagement für bessere Arbeitsbedingungen, seien sie nun mal stärker, mal schwächer, nicht wirklich ernst nehmen.

    Solange nicht auch die materielle Teilhabe als Grundrecht anerkannt wird, die sich eben nicht an Erwerbsarbeit orientiert, wird der Psycho-Stress steigen. Erst wer das unbedingte Recht hat, "Nein" zu sagen, ohne in seiner Existenz und TEilhabe bedroht zu sein, kann die Rahmenbedingungen für den Wunsch-Arbeitsplatz individuell aushandeln oder sich frei für kollektive Lösungen entscheiden.

    Wie der Verdi-Kongress gezeigt hat, ist dieses demokratische Prinzip der Selbstbestimmung für die Arbeitswelt längst nicht Allgemeingut.

    Letztendlich werden wir unsere Freiheit und unbedingte Teilhabe gegen die Gewerkschaften verteidigen und durchsetzen müssen. Als Spitze einer emanzipativen Bewegung für gute Arbeit haben sie ihre Glaubwürdigkeit längst verspielt.