Kommentar Arbeitsschutz: Mein Job, mein Burn-out
Der Gesellschaftsdiskurs muss revitalisiert werden: über gute Jobs und echte Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten. Die Gewerkschaften haben das lange vernachlässigt.
D er Boom ist da (aber die nächste Krise kündigt sich schon an), der Stress ist mehr geworden. Auf diese Formel lassen sich die Ergebnisse der Betriebsrätebefragung der IG Metall bringen. Während die Zahl der Menschen mit Burn-out-Syndrom in den letzten Jahren explodiert ist und die Weltgesundheitsorganisation warnt, beruflicher Stress sei die "größte Gefahr des 21. Jahrhunderts", hinken Analyse und Gegenmaßnahmen hinterher. In den Betrieben gibt es bis heute keine verbindlichen Mechanismen, um Frustration und Arbeitsverdichtung entgegenzusteuern.
Die Ursachen für psychische Erkrankungen sind vielfältig. Eine gewachsene gesellschaftliche Sensiblität lässt automatisch auch die Burn-out-Diagnosen ansteigen. Vor allem aber ist die Kapitulation von Körper und Seele immer mehr Beschäftigter ein Zeichen dafür, wie krank die Arbeit in einer globalisierten und auf immer mehr Wettbewerb, Restrukturierung, Schnelligkeit und Renditedruck getrimmten Ökonomie macht.
Dazu haben auch die Kommunikations-Revolution und die Verschiebung hin zur Dienstleistungsgesellschaft beigetragen: permanente Erreichbarkeit, höhere Ansprüche an die Kommunikationsfähigkeit, Projektziele statt fest umrissener Arbeitszeiten oder Personalabbau in den sozialen Diensten heben die Grenzen zwischen Job und Freizeit auf.
Neue Verordnungen für Unternehmen helfen nicht weiter. Der gesellschaftliche Diskurs muss revitalisiert werden: über gute Jobs und ihre Entschleunigung, über Arbeitszeitverkürzung, über echte Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten. Für die Gewerkschaften eigentlich ein dankbares Feld; doch die haben den Kampf um die Qualität der Arbeit viel zu lange hintangestellt.
Lesen gegen das Patriarchat
Auf taz.de finden Sie eine unabhängige, progressive Stimme – frei zugänglich, ermöglicht von unserer Community. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Frauen und Krieg
Krieg bleibt männlich
Ergebnis der Sondierungen
Auf dem Rücken der Schwächsten
Vertreibung von Palästinensern
Amerikaner in Gaza
Schwarz-rote Sondierungen abgeschlossen
Union und SPD wollen gemeinsam regieren
Schwarz-Rote Finanzen
Grüne in der Zwickmühle
Wählen mit Migrationshintergrund
Studie zu Wahlverhalten und Herkunft