Kommentar Arbeitslosenzahlen: Überwintern funktioniert nicht mehr

Die Regierung ruht sich auf der Kurzarbeit aus - dabei ist das nicht die richtige Lösung für die steigende Arbeitslosigkeit.

Die Agentur für Arbeit erhebt in Deutschland seit 1928 die Arbeitslosenzahlen. In über 80 Jahren offizieller Statistik ist es noch nie vorgekommen, dass im März mehr Menschen ohne Job dastehen als im Februar. Frühjahrsbelebung heißt dieser Effekt, auf den bisher immer Verlass war: Wenns wärmer wird, werden auf Baustellen Arbeiter gebraucht, in Straßencafés Kellnerinnen und in der Landwirtschaft Hilfskräfte. In diesem März war alles anders. Die Frühjahrsbelebung ist ausgeblieben, als hätte es sie nie gegeben - stattdessen ist die Zahl der Arbeitslosen um 34.000 angestiegen.

Dies ist das bedrohlichste Detail der aktuellen Arbeitsmarktstatistik. Weil es belegt, wie einzigartig die Wirtschaftskrise ist. Und weil es andeutet, wie einzigartig ihre Folgen für den Arbeitsmarkt sein können. Wie diese genau aussehen werden, weiß im Moment niemand. Während der Chef der Arbeitsagentur vier Millionen Arbeitslose in diesem Jahr nicht mehr ausschließt, rechnet die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung für 2010 mit fünf Millionen Arbeitslosen. Noch pessimistischere Prognosen von Experten, das ist absehbar, werden folgen.

Die Regierung antwortet auf dieses düstere Szenario seit Monaten immer gleich. Sie propagiert Kurzarbeit als Wundermittel, welches Firmen ermögliche, ihre Beschäftigten sicher durch die Krise zu bringen. In der Tat boomt dieses Instrument, seit Oktober haben Unternehmen Kurzarbeit für 2,2 Millionen Beschäftigte angemeldet. Doch ist Kurzarbeit nicht so omnipotent, wie es die Koalition suggeriert. Wenn die Krise länger dauert, landen die Menschen, die heute in Kurzarbeit sind, mit Zeitverzögerung auf der Straße.

Mehr politische Fantasie wäre also dringend angebracht. Und durchaus möglich. In Zeiten milliardenschwerer Konjunkturprogramme könnte die Regierung Hilfen mit klaren Bedingungen verknüpfen, etwa mit dem Ausbau grüner Technologien. Und dies auf dem Arbeitsmarkt durch Umschulungen stützen. Denn eins ist absehbar: Überwintern und weitermachen wie bisher, funktioniert in dieser Krise nicht.

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Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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