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Kommentar Angela MerkelThatcher, ganz vorsichtig

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Die schwarz-gelbe Koalition tut jetzt das, was sie angekündigt hat: Am Ende wird die Spaltung zwischen Arm und Reich noch krasser sein.

A ls Schwarz-Gelb vor knapp einem Jahr zu regieren begann, geschah etwas Überraschendes. Von Durchregieren konnte keine Rede sein. Schwarz-Gelb versank in erbittertem Zank, FDP und CSU blockierten sich mit erstaunlicher Energie. Diese Regierung war ihre eigene Opposition.

Der linken Agitation gegen den schwarz-gelben sozialen Kahlschlag fehlte das Beweismaterial. Keine Kopfpauschale, der Kündigungsschutz wurde nicht angetastet, dafür das Schonvermögen von Hartz-IV-Empfängern erhöht.

Das war eher symbolisch für die Regierung als finanziell wertvoll für Hartz-IV-Empfänger, aber immerhin. Westerwelle machte demonstrativ in Warschau seinen Antrittsbesuch und begrenzte Erika Steinbachs Einfluss.

Bild: taz

Stefan Reinecke ist Redakteur im Berliner Parlamentsbüro der taz.

Natürlich war die in seltener Eintracht von FDP und CDU forcierte Senkung der Mehrwertsteuer für Hoteliers skandalös, ein schlagendes Indiz für die Durchlässigkeit gegenüber Klientelinteressen.

Doch insgesamt machte diese Regierung eher einen grotesken, zerzausten Eindruck. Als neoliberales, reaktionäres Schreckgespenst taugte sie nicht. War die ganze Angst vor einem schwarz-gelben Rollback nicht doch wieder mal nur atemloser Alarmismus der Linken?

So konnte man es sehen, bis vor ein paar Wochen. Mittlerweile ergibt sich ein anderes Bild. Schwarz-Gelb tut nach Langem das, was das Bündnis angekündigt hatte.

Die AKWs werden länger laufen, die Energiekonzerne Milliarden über Milliarden an Extragewinnen einstreichen. Schwarz-Gelb steigt damit nicht komplett aus dem Großprojekt des Umbaus auf erneuerbare Energien aus, tritt aber scharf auf die Bremse. Ökologie ja, aber zuerst kommen die Konzerninteressen.

Diese Atompolitik steht pars pro toto für die schwarz-gelbe Politik. Man zettelt keine thatcheristische Revolte an, keinen Endkampf gegen Gewerkschaften oder andere missliebige Gruppen. Vor allem Merkel scheut das Extreme: Deshalb wurde aus der FDP-Idee, mitten in der größten Staatsverschuldung kräftig die Steuern zu senken, nichts. Dafür setzt Schwarz-Gelb andere nachhaltige, im Effekt drastische Verschiebungen in Gang.

Zum Beispiel in der Gesundheitspolitik, dem vielleicht zentralen Spielfeld künftiger Sozialpolitik. Die Kopfpauschale, die so beliebt war wie Mundgeruch, wäre ein Frontalangriff auf das von Unternehmern und Arbeiternehmern finanzierte soziale Netz gewesen.

Röslers Reform ist kleinteiliger. Sie sprengt das bisherige, auf Ausgleich zwischen Kapital und Arbeit bedachte System nicht in die Luft - sie zersetzt es in Zeitlupe. Alle Kostensteigerungen im Gesundheitssystem müssen künftig allein die Arbeiternehmer zahlen.

Das wird, in einer alternden Gesellschaft mit steigenden Gesundheitsausgaben, eine der einschneidendsten Umverteilungen von unten nach oben in der bundesrepublikanischen Geschichte. Und fast alle mit sozialversicherungspflichtigen Jobs werden das spüren.

Der schwarz-gelbe Umbau der Republik geschieht somit nicht per Schocktherapie, sondern in kalkulierten Dosen. Schwarz-Gelb hält sich an das Grundgesetz der hiesigen Konsensdemokratie: Man verändert schrittweise und redet besser nicht zu viel drüber.

Die Richtschnur ist dabei leicht erkennbar: Was der Industrie und dem oberen Drittel guttut, wird der Gesellschaft schon nicht schaden. Was am Ende dieses Weges stehen wird, ist auch klar: eine noch krasser in Arm und Reich gespaltene Gesellschaft. Die bescheidene Erhöhung des Hartz-IV-Satzes passt in dieses Bild.

Noch fataler ist, was diese Regierung nicht getan hat. Die Union hat zwar aus der Bankenkrise gelernt, dass die Besteuerung der Finanzmärkte kein sozialistisches Teufelszeug ist. Doch was ist passiert? Die Bankenabgabe ist hübsch, aber keine Versicherung gegen neuerliche Erdbeben in der Finanzwelt.

Und international ist Deutschland mitnichten eine treibende Kraft bei der Finanzmarktregulierung. Das ist fatal, weil die Chancen, die globale Finanzindustrie beherrschbar zu machen, so gut standen. Die SPD ist 2009 nach elf Jahren abgewählt worden.

Sie war ausgelaugt, hatte keine Idee mehr, kein Personal, die Generalrenovierung war lange überfällig. Ein Jahr nach dem schwarz-gelben Sieg sieht man: Eine Regierung ohne SPD, ohne deren mittlere Vernünftigkeit, tut diesem Land nicht gut.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

1 Kommentar

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  • A
    andrete

    Mir fällt richtig ein Stein vom Herzen, zu sehen, dass

    die Menschen, eine größere Anzahl von Bürgern endlich

    wacher zu werden scheinen. Ich betone "werden scheinen".

    Bis jetzt kam da, außer ein etwas lauteres Medienecho, kaum etwas im reallife an. Kann ja noch werden.

     

    Ich lese seit Jahren Zeitungen,Netz&Paper,Blogs,Foren

    etc. und bin zumindest ein ganz klein wenig erstaunt,

    wieviel sich Menschen bieten lassen.

    Wieviel sie sich von anderen Menschen gefallen lassen -müssen.

    Wehren ist, besonders wenn es sozial und finanziell sowieso schon ganz eng ist, kaum möglich. Finanziell

    massiv eingeengt, von kafkaesken

    Behördenkonstruktionen belästigt, von selbstverliebten Politikdarstellern ver....äppelt.

    Kennt hier jemand Martin Lindner(FDP)?

     

    Die Krawattenkrätze, die sich in gesellschaftlich

    entscheidender Position immer weiter ihren ganz persönlichen Vorteil sichert.Gegen jeden und alles;

    nur für sich selbst und vielleicht noch für sein Umfeld. Für die vierte Prachtvilla und den exklusiven Segeljachtclub.

    Ich sage nur: Investmentbanken&Politik. Den Rest könnt ihr euch selbst ausmalen.

    Gesellschaftlich schön von oben nach unten.

    Viel Spaß (-: