Kommentar Afghanistan: Hilflos am Hindukusch
Die Unterstützung von daheim schwindet und auch Afghanistans Bevölkerung nimmt ausländische Truppen immer mehr als Besatzer wahr. Kurz: Die Taliban sind fast am Ziel.
In Afghanistan und vielen westlichen Ländern, die Truppen an den Hindukusch entsandt haben, kippt die Stimmung. Die Afghanen nehmen die ausländischen Truppen zunehmend als Besatzer wahr, die eine korrupte und immer weniger beliebte Regierung an der Macht halten. Gestützt wird ein politisches System, das Warlords mit demokratischer Legitimation versehen hat, aber weder Teile der Taliban integrieren noch demokratische Alternativen aufbauen konnte.
In den westlichen Ländern schwindet der Rückhalt, weil die entsandten Soldaten, statt willkommene Aufbauhelfer und Friedensbringer zu sein, zunehmend Opfer heimtückischer Anschläge wie auch rücksichtslose Täter in einem hässlichen Krieg werden. Dessen Sinn erschließt sich immer weniger Menschen, und es erscheint immer weniger möglich, ihn zu gewinnen.
Die internationale Gemeinschaft steht 7 Jahre nach dem 11. September mit ihrer Afghanistanpolitik vor einem Scherbenhaufen. Statt wirtschaftlicher Landschaften blühen nur Mohnfelder, statt eines demokratischen Neuanfangs wurden Warlords und politische Clans recycelt, und mit Hamid Karsai wurde ein Potentat inthronisiert, der eine stärkere politische Basis in Washington hat als im eigenen Land. Da es Frieden ohne erfolgreichen Wiederaufbau nicht geben kann, der Wiederaufbau in großen Teilen des Landes aber ohne Befriedung nicht möglich ist, wachsen Rat- und Hilflosigkeit.
Viele Gründe sprechen für eine strategische Neuorientierung oder gar den Rückzug der internationalen Truppen. Dessen Befürworter haben allerdings keine Antwort auf die Frage, wie man verhindern kann, dass Afghanistan wieder zur Heimat für Terroristen wird. Doch deshalb Soldaten in eine aussichtslose Mission zu schicken ist auch nicht überzeugend. Ebenso wenig zählt das Argument, dass es längst nicht mehr nur um Afghanistan geht, sondern um die Glaubwürdigkeit der Nato. Die Taliban müssen weder militärisch gewinnen noch die besseren Aufbaukonzepte haben. Ihnen reicht zum Sieg, den Preis für Afghanen und internationale Gemeinschaft unakzeptabel hochzutreiben. Sie sind davon nicht mehr weit entfernt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünen-Pläne zur Krankenversicherung
Ohne Schutzschild aus der Deckung
„Campact“ startet Anti-CDU-Kampagne
Kein Kreuz für Merz
Ökonom zu Habecks Sozialabgaben-Vorstoß
„Die Idee scheint mir ziemlich unausgegoren“
Abstoßender Wahlkampf der Rechten
Flugticket-Aktion sorgt für neue Forderungen nach AfD-Verbot
Hoffnungsträger Wasserstoff
Wünsch-dir-was reicht lange nicht
Debatte über Staatsbürgerschaft
Sicherheitsrisiko Friedrich Merz