Kommentar Afghanistan: Ein Land in der Sackgasse
Es war die unverantwortliche Entscheidung, in Afghanistan binnen zweier Wochen einen zweiten Wahlgang durchzuführen.
Nicht der Rückzug des Karsai-Herausforderers Abdullah hat den afghanischen Wahlprozess in eine Krise geführt. Es war die unverantwortliche Entscheidung, in Afghanistan binnen zweier Wochen einen zweiten Wahlgang durchzuführen, nachdem die Glaubwürdigkeit des ersten in einer Flut von über einer Million gefälschten Karsai-Stimmen ertrunken war.
Die internationale Gemeinschaft trägt ein gerüttelt Maß an Verantwortung dafür. Denn die UN und die Regierungen ihrer Mitgliedsstaaten versuchen so zu tun, als ob mit einer Stichwahl alles wieder in Butter sei. Das ist aber keinesfalls so. Abdullahs Bedingungen für seine Teilnahme an einer zweiten Wahlrunde belegen das. Zwar waren das Maximalforderungen - auch Abdullah geht es ja in erster Linie nicht um saubere Wahlen, sondern um seine Siegeschancen -, aber dennoch durchaus berechtigt. Vor allem jene, die auf Schaffung einer halbwegs neutralen Wahlkommission zielten. Karsai aber ging nicht auf eine einzige Forderung Abdullahs ein.
Wenn Karsai wie angekündigt Runde zwei durchzieht, dann führt das zu weiterer Polarisierung. Er wäre dann endgültig nicht mehr Präsident aller Afghanen. Und wer behauptet, eine Karsai-Regierung, die ohne Gegenkandidaten und sehr wahrscheinlich ohne viele Wähler zustande kommen wird, besäße in den Augen einer hinreichenden Anzahl von Afghanen Legitimität, der muss aus einer anderen Galaxis stammen. Aber genau das hat Hillary Clinton schon getan.
Das größte Problem ist, dass der Weg zu einer breiten politischen Lösung in Afghanistan nun endgültig verbaut sein könnte. Jetzt sitzen alle noch tiefer in der Misere. Heraus käme man nur noch, wenn man Karsai zwingen würde, seine Macht wieder zu teilen und Reformen einzuleiten. Aber wer soll das noch tun? Die UN haben mit ihrem Skandal um Vizemissionschef Galbraith (bei dem es darum ging, ob man auf die Fälschungen in Wahlrunde eins reagieren soll) ihre Neutralität verspielt. Und Clinton hat gerade die der USA aufgekündigt.
Kein Wunder, dass jetzt ausgerechnet die Taliban im Internet voller Hohn Lektionen in Demokratie erteilen. Das hätte besser rechtzeitig die internationale Gemeinschaft getan.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
CDU will „Agenda 2030“
Zwölf Seiten rückwärts
Altkleider-Recycling
Alte Kleider, viele Probleme
Verteidigung, Trump, Wahlkampf
Die nächste Zeitenwende
Israelische Angriffe auf Gaza
Können Journalisten Terroristen sein?
Weidel-Musk-Talk auf X
Kommunisten-Hitler und Mars-Besiedlung
Julia Klöckner löscht AfD-Post
CDU bietet „was ihr wollt“