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Kommentar AfghanistanWer rausgeht, muss aufnehmen

Kommentar von Gordon Repinski

Echte Verantwortung aus westlicher Sicht – aus deutscher Sicht! – würde bedeuten, bei einem Abzug aus Afghanistan den vielen gefährdeten zivilen Kräften ein Angebot zu machen.

M it großer moralischer Geste ist Deutschland vor bald einem Jahrzehnt in den Afghanistaneinsatz gestartet. Es ging um internationale Verantwortung, um humanitäre Hilfe, um Frauenrechte, kurz um einen entwicklungspolitischen Einsatz in Uniform. Nichts hat das mit der Realität im Jahr 2010 zu tun - was viele schon lange vermuteten, sich darin aber nun durch die Veröffentlichung der Geheimakten bestätigt sehen. Es geht um gezielte Tötungen, um Kollateralschäden, es geht um Krieg.

Die deutschen Parteien hingegen sehen den Afghanistaneinsatz - mit Ausnahme weniger Stimmen - längst als eine rein taktische Angelegenheit. Im Fokus steht das Jahr 2013 - da wird ein neuer Bundestag gewählt. Viele Spitzenpolitiker erwarten, dass der Einsatz sich zum Wahlkampfthema schlechthin entwickelt. Angela Merkel etwa wird kein Interesse daran haben, sich mit einem den Pazifismus entdeckenden SPD-Chef Sigmar Gabriel zu duellieren - und eine eigene, möglichst konkrete Abzugsperspektive bieten. Gabriel wiederum lauert auf den richtigen Zeitpunkt, sich als Friedensbringer zu positionieren. Ist es 2012? Oder gar schon im kommenden März zur anstehenden Mandatsverlängerung?

Fragen über Fragen. Aber eben nur im politischen Berlin. Die afghanischen Realität setzt andere Themen: Was passiert vor Ort, wenn der Abzug umgesetzt wird? Viele zivile Kräfte haben sich für die Sache der Alliierten engagiert, ihnen wurde implizit oder ganz direkt versprochen, dass sich ihr Leben eines Tages bessern werde. Viele sind ein hohes Risiko eingegangen. Denn sie haben sich gegen bedeutende Teile der Bevölkerung gestellt. Ein Abzug würde diese Menschen ihrem Schicksal überlassen. Sie müssten sich dafür verantworten, gemeinsame Sache gemacht zu haben mit den ausländischen Soldaten. Echte Verantwortung aus westlicher Sicht - aus deutscher Sicht! - würde bedeuten, bei einem Abzug aus Afghanistan den vielen gefährdeten zivilen Kräften ein Angebot zu machen. Das müsste konsequenterweise lauten, sie in die westlichen Gesellschaften aufzunehmen, deren Einsatz sie mitgetragen haben.

Es wäre eine immense Herausforderung, denn darin einbegriffen wären auch verbrecherische Warlords, mit denen man sich verbündet hat. Doch es ist der einzige Weg, einen verlorenen Krieg wenigstens mit Anstand zu beenden.

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9 Kommentare

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  • L
    Laila

    @ Werner G: Die Taliban-Regierung in Afghanistan wäre kooperativ gewesen gegen Terroristen. Sie machte entsprechende Angebote; gegen die Zusicherung der USA, Afghanistan nicht anzugreifen. Allerdings wollte das die US-Regierung unter keinen Umständen annehmen. Von Seiten der USA wurde auch dieser Krieg gewollt.

     

    Ansonsten: "Mit großer moralischer Geste ist Deutschland vor bald einem Jahrzehnt in den Afghanistaneinsatz gestartet. Es ging um internationale Verantwortung, um humanitäre Hilfe, um Frauenrechte, kurz um einen entwicklungspolitischen Einsatz in Uniform".

    Wie sonst sollten ausgerechnet die SPD und v.a. die Grünen gegenüber ihrer Klientel den Krieg rechtfertigen? Also wurde die zitierte Mär konstruiert. Jeder hätte es auch damals anders wissen können. Aber den Kriegslügen der Regierung wird nicht nur unter schwarz-gelb von den Medien immer noch zu gern geglaubt.

    V.a. bei den fadenscheinigen Kriegsbegründungen der SPD/Grünen-Regierung halfen die Medien (v.a. auch die taz!) als Multiplikatoren. Baff war ich über diese Kriegsbegeisterung in den deutschen Medien!

    Erinnern Sie sich noch Frau Petersen, mit welchem Enthusiasmus Sie noch zu Beginn des Jahres eine Aufstockung der Truppen im Namen der zitierten hehren Ziele forderten?

    Krieg ist immer das Problem, nicht die Lösung. Auch wenn uns dies der Kriegsnobelpreisträger Obama mit seiner (frei zitierten) Formel vom "Krieg ist Frieden" weis machen möchte.

  • K
    Krause

    "Das müsste konsequenterweise lauten, sie in die westlichen Gesellschaften aufzunehmen, deren Einsatz sie mitgetragen haben."

     

    Och nöh, lieber nicht. Eine Morsal reicht.

  • MD
    Mirko Dietrich

    Diesen Krieg kann ich Rot-Grün nicht so leicht verzeihen, vielleicht irgendwann mal...

    Wer jetzt damit kommt dass die LINKE dagegen war und ich diese Wählen soll dem sage ich die NPD ist auch dagegen, d.h. eine Partei zu wählen nur weil sie gegen den Krieg ist ist ziemlich dumm.

     

    Ich bin Nichtwähler.

  • WG
    Werner G.

    Ich versuch's jetzt zu X-sten Mal.

    Es ging bei diesem Krieg nie um Menschenrechte, sondern darum, dass Bush irgendjemand hinrichten musste.

    Es gab vor dem Einmarsch in Afghanistan ein Ultimatum der Bushclique an die Taliban:

    Entweder ihr liefert Ussama bin Laden aus, oder wir marschieren in Afghanistan ein.

    Das heißt:

    Hätten die Taliban bin Laden ausgeliefert, hätten sich Bush,Cheney, ihr Rumsbums und ihre damaligen Enddarmbewohner - die Schröderfischers - für die Menschenrechte in diesem geplagten Land genauso interessiert wie vor NINE ELEVEN, nämlich einen Sch...dreck.

  • V
    vic

    Wenn die Bundeswehr das Land verlässt, was ich noch nicht sehe, dann soll gefälligst ihr Auftraggeber "aufräumen" (was soll das bedeuten?)

    Und da Bush nicht mehr da ist, heißt der jetzt Obama.

  • F
    Frank

    Meinen Sie das wirklich ernst? Sehen Sie nicht, wie unsere liberale Gesellschaft von der 68iger Generation geschaffen immer mehr in eine konservative moslemische gesellschaft verfällt? (zumindest in den Großstätten)

  • R
    Raus_Aus_Afghanistan

    Wer mir den Abzug verspricht bekommt meine Stimme - und sei es die FDP!

  • DH
    Dr. Hendrik Faßmann

    Dieses Zitat fand ich heute (29.7.2010) in der Süddeutschen Zeitung in einem Leserkommentar zum Afghanistankrieg. Man sollte es sich unter Berücksichtigung dessen, der diese zynischen Ausführungen gemacht hat, auf der Zunge zergehen lassen!

     

    18. April 1946. Abend im Gefängnis. Görings Zelle: " ... Nun, natürlich, das Volk will keinen Krieg", sagte Göring achselzuckend. "Warum sollte irgendein armer Landarbeiter im Krieg sein Leben aufs Spiel setzen wollen, wenn das Beste ist, was er dabei herausholen kann, dass er mit heilen Knochen zurückkommt. Natürlich, das einfache Volk will keinen Krieg; weder in Russland, noch in England, noch in Amerika, und ebenso wenig in Deutschland. Das ist klar. Aber schließlich sind es die Führer eines Landes, die die Politik bestimmen, und es ist immer leicht, das Volk zum Mitmachen zu bringen, ob es sich nun um eine Demokratie, eine faschistische Diktatur, um ein Parlament oder eine kommunistische Diktatur handelt. ... das Volk kann mit oder ohne Stimmrecht immer dazu gebracht werden, den Befehlen der Führer zu folgen. Das ist ganz einfach. Man braucht nichts zu tun, als dem Volk zu sagen, es würde angegriffen, und den Pazifisten ihren Mangel an Patriotismus vorzuwerfen und zu behaupten, sie brächten das Land in Gefahr. Diese Methode funktioniert in jedem Land." Zitat von Herrmann Göring (S. 270) Aus: Nürnberger Tagebuch / von G.M. Gilbert. Ehemaliger Gerichts-Psychologe beim Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher. Aus dem Amerikanischen übertragen von Margaret Carroux ... - Fischer: Frankfurt a.M., 1962. - 455 S.

  • V
    vic

    "Es ging um internationale Verantwortung, um humanitäre Hilfe, um Frauenrechte, kurz um einen entwicklungspolitischen Einsatz in Uniform."

     

    Ich zweifle nicht daran, dass einige das geglaubt haben. Aber darum ging es nie.

    Die Bundeswehr war und ist dort für die USA. Die hatten immer völlig andere Beweggründe, die zudem mit humanitären Einsätzen nicht kompatibel sind.