Kommentar Afghanistan-Einsatz: Die kontaminierte Kanzlerin
Die Bomben auf Tankwagen in Afghanistan eignen sich als Thema im Wahlkampf. Doch nur die Linken trauen sich. Die restlichen Parteien sind zu tief in den Einsatz verstrickt.
M anche Beobachter schienen sich über die Bomben regelrecht zu freuen, die ein deutscher Befehlshaber über zwei Tanklastzügen in Afghanistan abwerfen ließ. Endlich ein Thema, das Leben in den langweiligen deutschen Wahlkampf bringt, endlich eine Auseinandersetzung, die Angela Merkels Beschwichtigungskampagne aus dem Tritt bringt - und das noch dazu bei einer Frage, die eine ernsthafte politische Debatte gerade vor einer Bundestagswahl in der Tat verdient hat.
Ralph Bollmann ist Leiter der Parlamentsredaktion der taz.
Daraus wird allerdings nicht viel werden angesichts der Einigkeit, die vier der fünf Bundestagsfraktionen weiterhin demonstrieren. Das liegt schon an den Ämtern, die das Führungspersonal innehat oder anstrebt. Selbst wenn SPD, Grüne oder FDP den Einsatz in Afghanistan grundsätzlich angreifen wollten - wofür trotz vieler Zweifel derzeit nicht viel spricht -, könnten sie es gar nicht tun.
Als Außenminister muss der Sozialdemokrat Frank-Walter Steinmeier mindestens so staatsmännisch auftreten wie die Kanzlerin. Das gilt auch für FDP-Chef Guido Westerwelle, schließlich will er Steinmeier beerben. Und die Grünen hätten das Amt gern wieder - und sie haben den Einsatz seinerzeit mit initiiert.
Für die SPD ist die Debatte dagegen höchst unbequem. Steinmeier wird mit seiner aufrechten Verteidigung der deutschen Staatsräson wieder einmal von zwei Seiten eingeklemmt. Auf der einen Seite steht die Linkspartei, die als Einzige für den sofortigen Abzug plädiert, auf der anderen die Kanzlerin, die gestern die vage Hoffnung auf einen Abzugstermin genährt hat. Innerhalb der nächsten fünf Jahre müsse es substanzielle Fortschritte geben, sagte sie. Das ist zwar äußerst unbestimmt, aber es klingt konkreter als bei Steinmeier.
Dabei beleuchtet das kommunikative und folglich auch politische Desaster, das Merkels Verteidigungsminister mit seinen hilflosen Beschwichtigungsversuchen übers Wochenende angerichtet hat, aufs Grellste die Schattenseiten des Merkelschen Machtsystems. Ähnlich wie einst Wirtschaftsminister Michael Glos erfüllte auch Franz Josef Jung für Merkel eine doppelte Funktion. Er diente der Einbindung eines früher mal mächtigen Landesverbands, und er eignet sich zur eleganten Entsorgung eines unangenehmen Themas, mit dem Merkel nach Möglichkeit nicht kontaminiert werden will. Das zumindest hat sich mit dem gestrigen Tag geändert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?