Kommentar Ärztemangel: Rösler plant am Problem vorbei
Eine ehrliche Reform würde die Zweiklassenmedizin abschaffen, die Privatpatienten bevorzugt. Dort, wo sie leben - auch auf dem Land - gibt es nämlich keinen Ärztemangel.
E s wäre unfair, Gesundheitsminister Philipp Rösler vorzuwerfen, er habe sich bei der Neuordnung der ärztlichen Versorgung nicht bemüht. Er hat nicht nur die Leistung vollbracht, seine aufmüpfigen Fachkollegen aus den Ländern durch Umarmung mundtot zu machen. Er hat auch die eigenen Koalitionäre mit ins Boot genommen, allen voran die stets nörgelnde CSU. Vorerst jedenfalls, denn bis zum 1. Januar, an dem das Gesetz in Kraft treten soll, bleibt noch viel Zeit für Störfeuer.
Nötig ist auch das Ziel des neuen Gesetzes: Es soll sicherstellen, dass Patienten in ländlichen Regionen, die Ärzte gemeinhin als unattraktiv empfinden, wieder wohnortnah medizinisch versorgt werden. Problematisch ist aber, dass die Anreize, die Philipp Rösler gibt, am eigentlichen Problem vorbeigehen. Denn warum weigern sich Ärztinnen und Ärzte, sich auf dem Land niederzulassen? Erstens: weil ihre akademischen Ehepartner hier keine qualifizierten Jobs finden. Zweitens: weil sie sich ängstigen, dass ihre Kinder hier womöglich mit denen von Hartz-IV-Empfängern oder anderen aus ihrer Sicht nicht Umgangswürdigen gemeinsam zur Schule gehen müssten. Auf diese Umstände freilich hat ein Gesundheitsminister kaum Einfluss.
Auf den dritten, den gewichtigsten Grund für die Weigerungshaltung vieler Ärzte aber könnte der Minister einwirken: die höchst ungerechte Honorierung ärztlicher Leistungen, die sich in Deutschland nicht nach der Intensität der Behandlung, sondern einzig nach dem Versichertenstatus des Patienten richtet. Die Grenze zwischen attraktiver und unattraktiver Gegend verläuft nicht zwischen Stadt und Land, sondern zwischen privat und gesetzlich Versicherten. Der Starnberger See, eine der bestversorgten Regionen der Republik, ist der beste Beweis dafür, dass ländliche Gebiete mit hohem Rentneranteil und entsprechendem Krankenstand durchaus Ärzte anlocken, wenn nur der Anteil von Privatversicherten stimmt und damit die Einnahmenseite.
Heike Haarhoff ist Redakteurin für Gesundheitspolitik im taz-Inlandsressort.
Eine ehrliche Reform würde auf die Abschaffung dieser Zweiklassenmedizin zielen. Das wäre ein wirklicher Anreiz für Ärzte, Patienten entsprechend ihrer Bedürftigkeit zu behandeln und nicht nach ihrem Geldbeutel. Die flächendeckende Verteilung ergäbe sich - wetten? - von selbst. Stattdessen darf nun befürchtet werden, dass die Ärzte das tun, was sie noch bei jeder Reform erfolgreich getan haben: so lange jammern, bis ihre Rekordhonorare um eine weitere Rekordsumme erhöht werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier