Kommentar Absetzung „Gottschalk live“: Er hat alles, was uns fehlt
Warum ist Thomas Gottschalk mit „Gottschalk live“ in der ARD gescheitert? Weil seine Gesten zu groß waren fürs deutsche Vorabendprogramm.
E r hat alles, was uns fehlt. Die Leichtigkeit von Malibu, die Temperaturen schwanken dort von 18 bis 29 Grad. Die Unbefangenheit eines Mannes, der nach dem Wohlbefinden seines Gegenübers fragt, ohne Interesse daran. Die ausgeschlafene Bräune, die weißen Zähne, das Gold in den Locken.
Bei „Wetten, dass...?“ sahen wir Thomas Gottschalk, eingeflogen aus Übersee, unbelastet von deutschen Diskussionen um Mindestlohn und Rente, wie er mit den Großen aus Hollywood plauderte, die Hand auflegte.
Er entzündete das große Lagerfeuer, um das wir uns scharten. Er war das bisschen Amerika, das wir uns leisteten: seine unerschütterliche Laune, das Lachen auf Knopfdruck. Wir können es schaffen, wenn wir nur wollen. Er kam die Showtreppe herunter und breitete die Arme aus wie die Christusstatue in Rio de Janeiro: Ich erlöse euch von den Sorgen der Woche!
Thomas Gottschalk verkörperte seit jeher das Gegenteil dessen, was das Wort „Vorabend“ transportiert: Das Käsebrot, die Holzvertäfelung des Wohnzimmers, das Bier des Angestellten, der Feierabend macht. Gottschalk passte nicht in die glanzlose Enge zwischen 19.20 und 19.50 Uhr, er stieß an die Studiowand, wenn er die Arme ausbreiten wollte. Eingezwängt zwischen Wetter, Werbung, Börse und Tagesschau.
ist Medien-Redakteur der taz.
Die Idee von „Gottschalk Live“ war nicht schlecht. Fast täglich über Themen zu sprechen, die das Land bewegt. Eine Sicht auf die weichen Nachrichten, kurz vor der Tagesschau. Kleine Lagerfeuer entzünden, das war der Plan. Ein Experiment. Es ging schief. Warum?
Die Nonchalance mit der Gottschalk über seine Gäste und deren Antworten hinwegging war nüchtern betrachtet, und den Vorabend betrachtet man nüchtern, unangenehm. Das ging Samstagabend gut, da waren die Gespräche sowieso nur Simulation. Für eine Sendung, die das Gespräch zum Mittelpunkt macht, taugte Gottschalk nicht. Zuviel Leichtigkeit.
Jetzt sind wir ihn los, beißen ins Käsebrot und öffnen ein Feierabendbier. Er wird uns nicht vermissen, bei Temperaturen zwischen 18 und 29 Grad. Wir ihn aber auch nicht allzu sehr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Foltergefängnisse in Syrien
Den Kerker im Kopf
Parteiprogramme für die Bundestagswahl
Die Groko ist noch nicht gesetzt