Kommentar Abschiebung Frankreich: „Lepenisierung“ statt Moral
Hollande versucht in der Kontroverse um die Abschiebung des Roma-Mädchens die extreme Rechte zu bremsen. Das ist kurzsichtig und falsch.
G egen den Strom zu schwimmen ist nicht der Lieblingssport des französischen Staatspräsidenten François Hollande. Auch er hat die Umfrageergebnisse nach der Abschiebung der 15-jährigen Kosovarin Leonarda gelesen.
Moralische Skrupel überlässt er deshalb seiner Lebenspartnerin Valérie Trierweiler, die sagt, was die meisten französischen Sozialisten wegen der harten Immigrationspolitik von Manuel Valls nur noch heimlich denken: „Gewisse Grenzen dürfen nicht überschritten werden, und die Schule ist eine davon. Denn die Schule ist ein Ort der Integration, nicht der Ausgrenzung.“
Hollande beruft sich in der Kontroverse um die Abschiebung des Roma-Mädchens derweil auf die Legalität. Er gibt seinem populären Innenminister Valls recht. Denn er hat, wie derzeit auch die Medien, nur eines vor Augen: den scheinbar unaufhaltsamen Vormarsch der fremdenfeindlichen Rechten. Und in der Logik dieser Panik gibt jedes Zeichen von Schwäche dieser Entwicklung neue Nahrung.
Über Jahre hatte man dabei zugesehen, wie die auf Neid und Ausschluss beruhenden Ideen von Marine Le Pens Front National für immer mehr Leute „banal“ wurden. Die Argumente gegen den nationalistischen Fremdenhass haben sich abgenutzt, weite Teile der bürgerlichen Wähler betrachten die extreme Rechte mehr als Partner, denn als Gegner. In Frankreich sprechen die Politologen von einer „Lepenisierung“ in den Köpfen.
Wenn Hollande sich nun scheut, Bedenken zu äußern und sich mit einer in Ausländerfragen reaktionären Mehrheit anzulegen, ist das kläglich – und kontraproduktiv: Aus Furcht vor feindlichen Mehrheiten einer Konfrontation auszuweichen, bringt keinem Staatschef die Anerkennung skeptischer Bürger ein. Hollandes Vorbild, François Mitterrand, hätte so nie die Todesstrafe abgeschafft.
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