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Komm zu Daddy

Meret Becker und Ars Vitalis mit ihrer „FFilmusic“ in der Bar jeder Vernunft

Das Timing hätte eleganter kaum sein können. Pünktlich zur Berlinale tritt Meret Becker in der Bar jeder Vernunft zur Neuvertonung der Filmgeschichte an. Bei Becker und dem Trio Ars Vitalis aus Köln wird nicht nachsynchronisiert, sondern Altes und Bekanntes radikal neu interpretiert. Ein Ritt mit Winnetou vorbei an Mary Poppins in die Arme von James Bond. Aber jetzt mal nicht zu hopplahopp.

Während Vater Sander und Brüderchen Ben Becker im glitzernden Schlangenlederimitatsjackett sich an verschiedenen Ecken unter die Premierengäste mischen, und man später den irgendwie sehr unauffälligen Blixa Bargeld sieht, der glamourmäßig sogar dem sympathischen Wolfgang Menge nicht die Fliege reichen kann, beginnt der Abend im voll besetzten Spiegelzelt behutsam. Meret Becker lässt eine große, angerostete Säge Filmmelodien singen. Ennio Moricone wird kurz angesägt, ein altes kleines Koffergrammophon gibt irgendwas Knarziges von sich.

Die drei Ars Vitalis Musiker verteilen sich auf ihre Grundpositionen. Diese seriösen Herren scheinen perfekt geschaffen, um superernsthaft und brüllend komisch zugleich zu sein. Gut ist auch, dass das Trio Meret Becker sich auf eine wohl ausbalancierte Distanz hält. So kann ihr mädchenhafter Charme wie gewohnt sprühen, ohne die Gemüter zu sehr zu strapazieren. „My name is Lolita“ schmachtet Becker, und natürlich ist ihr Herz schon an den Mann aller Männer vergeben: „My heart belongs to daddy, and I’m not supposed to play with boys.“ „Oooooh“, antworten die Jungs ehrlich geknickt.

Doch die Kölner werden in den kommenden zwei Stunden noch deutlich machen, dass sie nicht nur hervorragende Musiker, sondern auch große Kleindarsteller sind. Auch Bill Frisell oder John Zorn sind mit ihren Filmmusikadaptionen nicht so far out. „Wie Se sehn, sehn Se nix“ heißt das Programm von Ars Vitalis, wenn sie nicht gerade mit Meret Becker auf der Bühne stehen. Sie sehn natürlich jede Menge. Schlagzeuger Klaus D. Huber, ein Typ zwischen dem nicht mehr ganz schlanken Elvis und dem Italo-Bullenkollegen von Lena Odenthal im „Tatort“, ist ein wahrhaftiger und imposanter, und aufgepasst, das ist jetzt kein Buchstabendreher: Schalgerzeuger.

Einmal heftet Meret ihm mit Wäscheklammern zwei große weiße Pappseiten an die Ohren. Huber kann nämlich nicht nur mit Stöcken und Besen rumwedeln, er macht es auch mit den Ohren. Wie ein viel zu schwerer Vogel will er sich anhand seines Ohrantriebs in die Lüfte heben. Doch dann kommen ihm schon wieder diese Filmmelodien in den Sinn. „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“, das ist ausnahmsweise ein Song, den kaum einer schnell errät. Die vier singen und spielen den „Blauen Engel“ rückwärts. Dann aber holt Huber sein Diktiergerät raus, dreht die Kassette um und schon hören wir Marlene D. richtig rum. Die sollten ruhig mal im Berlinale-Palast auftreten.

ANDREAS BECKER

„Ffilmmusic“, bis 24. 2. täglich, 20 Uhr 30, Bar Jeder Vernunft, Schaperstr. 24, Wilmersdorf

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