Kolumne: Mach was aus Hass!
Wenn wir Ausländerfeindlichkeit endlich als Stärke begreifen, ist Deutschland das stärkste Land der Welt, meint unser Kolumnist – und ruft die geistlos-moralische Wende aus.
Von Cornelius W. M. Oettle
Hey, ihr Linken! (SPD und Grüne sind mitgemeint.) Setzt ihr angesichts der weltweiten Ungleichheit immer noch auf einen moralischen Aufstand der Gesellschaft? In einer Welt, in der es nur mäßige Empörung auslöst, wenn ein einziger Mann halb Venedig für seine Hochzeit mietet und man schon froh ist, dass er nur per 500-Millionen-Dollar-Yacht anreist und nicht mit seiner Penisrakete? Ihr seid ja lustig! Ich hab‘ eine bessere Idee.
Sagt euch „Moral Reframing“ etwas? Kein Problem, dafür habt ihr ja mich. „Moral Reframing“ beschreibt einen Kommunikationstrick, bei dem man seine Argumente im Sinne einer guten Sache an das fragwürdige Weltbild des Gegenübers anpasst. Will sagen: Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler.
Man kennt‘s aus der Kindererziehung. Am Esstisch hört man selten: „Iss dein Gemüse, weil es lebenswichtige Vitamine enthält!“ Nein, da heißt es: „Wenn du die Karotten jetzt nicht wegputzt, gibt‘s morgen schlechtes Wetter!
„Moral Reframing“ findet sich aber auch im politischen Kindergarten. Beispiel Klimaschutz: CDU-Anhänger sehen bekanntlich kein Problem darin, mittels Auto, Flugzeug, Kreuzfahrtschiff und Gasheizung die Menschheit auszurotten. Daher spricht man mit Konservativen eben nicht über „Klimaschutz“, weil der Begriff nach Habecks Küchentischunterhemden müffelt, sondern über das „Bewahren der Schöpfung“. Wider besseres Wissen setzt man also die Existenz eines christlichen Gottes voraus und jubelt ihm „Du sollst nicht Verbrenner fahren!“ als elftes Gebot unter.
Ein derartiges Vorgehen mag der reinen Lehre der Aufklärung widersprechen – aber wenn‘s doch funktioniert? Der Heiland der baden-württembergischen CDU, Manuel Hagel, hat jüngst bei einer Veranstaltung in seiner Heimatstadt Ehingen besondere Heimatgefühle entwickelt und den alten Nazi-Slogan „Umweltschutz ist Heimatschutz!“ gepredigt. Moral Reframing par excellence, gut gemacht, Herr Hagel!
So jemanden würde ich als CDU-Mitglied ungern unterstützen. Aber mei, der Mann kennt seine Partei besser als ich – und wenn‘s doch funktioniert? Insofern: Heil Hagel!
Überzeugt auch Rechte: Windräder als Flüchtlingszaun
Denn der Menschenfischer weiß, dass viele seiner heimischen Hechte nun mal gern in brauner Brühe schwimmen. Im Sinne des „Moral Reframing“ würde ich sogar noch einen Schritt weitergehen als der CDU-Jüngling, der für einen „konservativ inspirierten Umweltschutz“ plädiert. Mein Vorschlag: rechtsextrem inspirierter Umweltschutz! Sehr viele Deutsche ließen sich beispielsweise postwendend für Windräder begeistern, wenn wir selbige grenznah und ganz eng beieinander als Flüchtlingszäune aufstellten.
„Moral Reframing“ funktioniert aber auch in der Migrationsdebatte. Ihr könnt den gut 60 Prozent der rechtswählenden Deutschen noch so oft „Kein Mensch ist illegal!“ entgegenbrüllen – es hat sie bisher nicht interessiert und wird es auch in Zukunft nicht. Macht euch stattdessen lieber deren Herrenmenschendenken zunutze und ruft: „Ist doch super, wenn Migranten kommen und die ganzen Drecksjobs für uns machen!“
Ich weiß, ich weiß: In der reinen linken humanistischen Lehre verbietet sich das sogenannte „Nützlichkeitsargument“ – aber wenn‘s doch funktioniert?“ Falls der Migrant irgendwann zum Bundeskanzler avanciert, müsst ihr halt kreativ werden: „Ist doch prima! Jetzt kannst du auf Migranten schimpfen und trittst dabei sogar nach oben!“ Mit dieser verdrehten Argumentation könnte Cem Özdemir nächstes Jahr die absolute Mehrheit holen.
Gleiches gilt für Investitionen in Bildung: „Wenn wir im PISA-Test besser abschneiden, können wir uns im Urlaub über die dümmeren Länder lustig machen!“ Wenn wir Ausländerfeindlichkeit endlich als Stärke begreifen, ist Deutschland das stärkste Land der Welt.
So wird der Nazi-Nachbar zum Ober-Wokie
„Moral Reframing“ funktioniert auch sprach- und kulturpolitisch! Eingedenk mancher Mitbürger, die das Gendern für einen Ausdruck fehlender Bildung halten (vgl. Barth, Mario: „Ich gendere nicht, ich habe einen Schulabschluss.“ T-Shirt-Aufdruck in Talkshow, um 2023), proklamiere man also nicht länger: „Ich lege Wert auf inklusive Sprache!“ Sondern: „Wenn wir die Bildungsausgaben erhöhen und für mehr Chancengleichheit sorgen, hört das mit dem Gendern bald von allein auf!“
Haben wir unser Gegenüber auf diese hochgradig unmoralische Weise erstmal von der Weltoffenheit überzeugt, machen wir bei der Integration weiter: „Ist doch astrein, wenn wir mehr Geld für Integrationskurse ausgeben! Dann spricht der Pfleger besser deutsch und deine Mutter ruft nicht dauernd dich an, sondern quasselt dem das Ohr ab!“ So wird der Nazi-Nachbar ruckzuck zum Ober-Wokie – getrieben von abgrundtiefer Niedertracht! Genial!
Moralisch unbotmäßige Argumente für moralisch gebotene Ziele finden sich auch zu allen anderen gesellschaftlichen Zankäpfeln: Homo-Ehe? „Warum sollten nur Heteros Hochzeitsstress und Ehekrach durchmachen müssen!“ Ganztagesschulen? „Sehr gut! Dann sind deine Kinder abends völlig erschöpft und gehen dir nicht mehr auf den Geist!“ Balkonkraftwerk? „Die Sonne soll doch nicht nur für die Grünen scheinen!“
Selbst Entwicklungshilfe lässt sich reframen
Auch die Microsoft-Mumie Bill Gates hat die Strategie des „Moral Reframing“ für sich entdeckt. In einem offenen Brief an Friedrich Merz, dessen Regierung nach amerikanischem Vorbild die Entwicklungshilfe um eine Milliarde Euro kürzen will, schrieb er kürzlich: „Investitionen in Entwicklungshilfe können auch die deutsche Wirtschaft stärken. Die Bevölkerung in vielen afrikanischen Ländern wächst rasant, und Entwicklungszusammenarbeit trägt dazu bei, eine solide Grundlage für Wirtschaftswachstum zu schaffen. Durch die Finanzierung von Gesundheit und Entwicklung in Afrika kann Deutschland neue Handelspartner und neue Märkte für deutsche Waren erschließen – für eine Exportnation wie Deutschland von zentraler Bedeutung.“ Helft den Leuten beim Überleben, sonst können sie unseren Plunder nicht kaufen! Humanistisch wertvoll mögen Bill Gates und seine merkantilen Erziehungsmethoden nicht sein – aber wenn der kleine Friedrich dann sein Gemüse aufisst?
Den Begriff „Entwicklungshilfe“ hat man in progressiven Kreisen übrigens verabschiedet. Nur ich verwende ihn noch, weil ich doof bin. Mittlerweile heißt es Entwicklungszusammenarbeit. Wohingegen Schüler:innen noch immer Nachhilfe angeboten wird statt „Nachzusammenarbeit“ und man bei einem Unfall auch nicht „erste Zusammenarbeit“ leistet, sondern nach wie vor erste Hilfe. Ihr merkt: Diese amoralische Kolumne soll mir auch als Bewerbungsschreiben für den Posten des Gag-Autors bei „Nuhr im Ersten“ dienen. Scherz! Trotz „Moral Reframing“ bin ich moralisch nicht ganz so flexibel. Noch nicht!
Apropos Moral: Ich habe mich jüngst achtlos in eine ethische Zwangslage begeben, die gerne als „Das Oettle-Dilemma“ in den Kanon der Philosophie eingehen darf. Neuerdings spende ich für jeden Euro, den ich versaufe, einen Euro gen Malawi, Mosambik, Uganda und so weiter. Einerseits beschert mir diese künstliche Verdopplung des Bierpreises einen ökonomischen Anreiz, weniger zu trinken und auf meine Gesundheit zu achten. Andererseits: Bin ich jetzt nicht sogar moralisch verpflichtet, mich regelmäßig hart ins Delirium zu bechern? Mir fortwährend Tankerflotten an Bölkstoff in den Ösophagus zu manövrieren? Wenigstens einmal die Woche eine Alkoholvergiftung zu erleiden? Sei‘s drum, den Spendenempfängern wird‘s egal sein. Die werden sich sagen: Sicher nicht optimal, wenn der Oettle seine Leber dermaßen überbeansprucht – aber wenn‘s doch funktioniert?
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