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Kolumne22 blutleere Jahre

Jörn Kabisch
Kommentar von Jörn Kabisch

Warum ich mich bald auf die Suche nach dem "feinen Beigeschmack schwachduftigen Urins" machen werde

D ie Erleuchtung kam in Form von Blunznkrapferln. Blunzn heißt in Österreich die Blutwurst, und hier in Österreich, also auf 1.650 Meter Höhe in einem verschneiten Kärntner Berggasthof, entdeckte ich die Blunznkrapferln auf der Karte.

Bild: taz

Jörn Kabisch (36) ist Leiter der Schwerpunktredaktion der taz. Er meint: Linke Gourmets müssen keine aussterbende Minderheit bleiben.

Etwas mulmig war mir dabei schon. Blutwurst gehörte bis dahin alles andere als zu meinen Lieblingsspeisen, wie überhaupt Innereien an und für sich. Gabs einfach nie. Nicht bei Oma. Nicht bei Muttern. Nur einmal bei Nachbarn. Und da sah die Blutwurst einfach köstlich aus. Damals habe ich mich nicht getraut, zu probieren. Leider. Aber das Bild und der Duft von dem Teller, die hab ich immer noch gespeichert.

Und nun lief mir so ein leckeres Wort über die Speisekarte: Blunznkrapferln. Klingt doch appetitlich, viel appetitlicher wenigstens als die deutsche Übersetzung: Blutwurstberliner. Auf den Tisch kam dann natürlich kein mit Blutwurst gefülltes Faschingsgebäck, sondern das waren panierte und ausgebackene talerförmige Scheiben, außen kross, im Innern noch weich. Da schmeckte vor allem Speck, Majoran, alter Wein und ein bisschen Hautgout raus. Ich fand das großartig. So also bin ich vergangenen Winter auf die Wurst gekommen. Und nun, das geht mir öfter so, versuche ich, etwa 22 blutleere Jahre aufzuholen, also genau die Zeitspanne seit der besagten verpassten Kostprobe bei den Nachbarn.

Ein aus zwei Gründen ziemlich anstrengendes Unterfangen. Der erste heißt: Blutwurst ist nicht gleich Blutwurst. Der zweite Grund ist mein Bekanntenkreis. Eine echte Herausforderung, den auf den Geschmack zu bringen. Dabei ist Blutwurst wirklich eine tolle Zutat: beispielsweise für eine Sauce Bolognese. Oder haben Sie schon mal Blutwurst-Risotto probiert? Geben Sie geschmorten Fenchel dazu. Es gibt nichts Besseres. Sonst ist Himmel und Erde natürlich der Klassiker.

2007 dürfte also in weiten Teilen mein persönliches Blutwurstjahr werden, auch wenn es voraussichtlich ein einsames werden wird. Aber es ist tatsächlich so, dass sich kulinarische Obsessionen kalendarisch festhalten lassen. Oft schwimmt man dabei natürlich im Mainstream - wie 1989, mein Nudelsalat-Jahr. Oder 1992, das im Stern des Tiramisu stand, bis ich feststellte, dass das Faible für Löffelbiskuit doch übertrieben populär geworden war und den Leuten das Zeug allmählich aus den Ohren rauskam.

Aber meistens geht es doch mehr darum, ein Rezept richtig zu verinnerlichen, so wie ein Pianist beispielsweise eine Sonate so lange übt, bis er sie mit links beherrscht und zum Interpretieren übergehen kann: Dafür stehen Risotto (2003), Sauerbraten (1998) oder Kartoffelsalat (1988).

Und ich weiß, ich bin da nicht allein. Kürzlich hat mir beispielsweise mein Bekannter T. berichtet, dass für ihn nun schon das zweite Soufflé-Jahr angebrochen ist. Immer und immer wieder gibt es das bei ihm zum Dessert, auch wenn der Eiweißschaum in mehr als der Hälfte der Fälle nicht aufgeht, wenn er im Backrohr steht. Dafür gibt es viele Fehlerursachen, von denen T. die meisten bereits ausgeschlossen hat, nur die verbreitetste nicht. "Du, ich glaube, in meinem Ofen ziehts doch, vor allem bei Tiefdrucklage", sagte T.

Dafür muss man wissen, Zugluft ist der Tod jedes Soufflés. T. denkt nun über einen neuen Ofen nach. Das hat echt Stil, vor allem wenn man bedenkt, dass T. gegen Eier allergisch ist.

Was das Nächste ist, das ich ausprobieren werde? Lammnieren. Weil mir dieser Satz aus dem "Ulysses" nicht aus dem Kopf geht, mit dem James Joyce seinen Held Leopold Bloom vorstellt: "Mr. Leopold Bloom aß mit Vorliebe die inneren Organe von Vieh und Geflügel. Er liebte dicke Gänsekleinsuppen, leckere Muskelmägen, gespicktes Bratherz, panierte kroß geröstete Leberschnitten, gerösteten Dorschrogen. Am allerliebsten hatte er gegrillte Hammelnieren, die seinem Gaumen einen feinen Beigeschmack schwachduftigen Urins vermittelten." Am 16. Juni ist Bloomsday. Bis dahin werden Lammnieren doch irgendwo aufzutreiben sein. T. meint, ein Jahr wird aus dem Tag nicht werden.

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Jörn Kabisch
Autor
Wirt & Autor für taz und FuturZwei

1 Kommentar

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  • IN
    Ihr Name Dr Franz Grell

    Lieber Herr Kabusch, ich kenne die irische Lammnierenvariante nicht, wahrscheinlich ist sie kulinarisch den mediterranen Versionen, wie auch viele andere nordeuropäische Gerichte, unterlegen.

    Ich kann Ihnen jedenfalls die italienischen Lammnierenspieße empfehlen, bei denen die aufgespießten Nieren in (Lamm-) Dünndarm gewickelt werden und dann mit Knoblauch,Rosmarin,Thymian etc auf dem offenen Feuer (wenn möglich) geröstet werden. Der bei bloßem Nierenrösten(auch bei Schweinenieren) in der Tat wahrnehmbare Uringeruch fehlt da (fast)völlig.

     

    Guten Appetit.