Kolumne: Und still steht die Post
Privatisierung ist besser? Na, da kennen Sie aber den gesellschaftlichen Mehrwert der staatlichen US-Post noch nicht
W ir Leute aus der Alten Welt verstehen ja nicht so richtig, warum diese Amis so wenig Staat wie möglich haben wollen. Lieber fahren sie auf Löcherpisten, genannt Highways, oder verzichten auf Hallenbäder, als dass sie Vater Staat auch nur einen Cent mehr Steuern zugestehen. Klar, Steuern zahlen wir auch nicht gerne, sehen aber ein, dass sie zum Nutzen des Großen und Ganzen irgendwie notwendig sind. Die US-amerikanischen Freunde schütteln, unbeeindruckt ob so viel braven Bürgersinns, den Kopf. Und ich kann es ihnen nicht verdenken. Meine sporadischen Besuche bei der staatlichen US-Post reichten aus, um mich zu einer überzeugten Privatisiererin zu machen.
Adrienne Woltersdorf (40) berichtet seit 2005 für die taz aus Washington. Faszinierend an den USA findet sie, dass sich alle Vorurteile bestätigen lassen - und zugleich widerlegen.
Wer das "US Postoffice" betritt, wird Zeuge der seltsamsten Spontanentschleunigung, die ich je erlebt habe. Aufgekratzte Jungunternehmer nehmen sofort eine Haltung devoten Fatalismus an. Stadtneurotiker scheinen sich zusammenzunehmen, Selbstdarstellerinnen werden ganz klein. Nichts bewegt sich, es läuft gute Jazzmusik, während die einzige Angestellte hinter dem Tresen ein seltsames Kundenmantra für jeden, der bei ihr vorstellig wird, vollführt. US-Bürger, die sonst ja fest davon überzeugt sind, dass nur der Himmel ihnen Grenzen setzt und alles eine Frage des Willens - und, sorry, des Geldes - ist, verhalten sich so, als hätten sie gerade einen Joint geraucht und "Koyaanisqatsi" geschaut. Stumm und irgendwie ins Leere starrend, stehen sie regungslos in der stets endlos erscheinenden Schlange. Und da vorne tut sich - nichts.
Denn da steht LaDonna oder Trisha, eine ziemlich rundliche Frau mittleren Alters jedenfalls, und fragt bei jedem Brief oder Päckchen, das ihr auf den Tresen gelegt wird: "Enthält der Inhalt dieser Sendung schnell verderbendes, flüssiges oder feuergefährliches Material?" Dann folgt unweigerlich die Aufzählung aller erdenklichen Versendungsarten. Meist antworte ich dann, dass ich gerne wüsste, was die verschiedenen Optionen kosten, bevor ich das entscheide, was natürlich den Ablauf des Verkaufsgesprächs empfindlich stört. Denn zu den Preisen gehören die verschiedenen Versicherungsarten, mit denen ein Brief auf den Weg geschickt werden kann. Wenn mir alles in monotoner Stimme aufgezählt wurde, habe ich schon wieder vergessen, welche Versendungsarten es denn gibt. Wenn schließlich alles beisammen und entschieden und in die Computer der Gründergeneration eingegeben ist, fragen sie "Brauchen Sie vielleicht noch 5-, 10- oder 43-Cent-Marken oder Sondermarken?" Wenn ich verneine, fragen sie weiter: "Oder darfs noch ein Zehnerpaket Briefumschläge, Klebeband oder Schreibwaren sein?"
Draußen tobt der Weltmarkt, und hier drinnen geht das so - Briefumschlag um Briefumschlag, Einschreiben um Einschreiben, Paket um Paket. Ich habe anfangs versucht, den freundlichen, aber völlig vorhersehbaren Dialog zu unterlaufen, indem ich sagte: "Hier ist ein einfacher Brief nach Deutschland, keine Versicherung, einfache Air Mail, es ist nichts Verderbliches, Feuergefährliches oder Flüssiges drin, und ich brauche wirklich nichts weiter!" Doch davon ließen sich die abgebrühten Postbeamtinnen nicht aus der Fasson bringen, keine Chance. "Enthält der Inhalt dieser Sendung " Heute weiß ich, den US-Staat in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf.
Erst nach vielen Wochen, nachdem ich eine ähnlich abgeklärte Haltung wie meine Mit-Schlange-Stehenden eingenommen hatte, fiel mir etwas Seltsames auf: Insgeheim scheinen diese Maker in der Post-Schlange ganz tief drinnen zufrieden zu sein. Offenbar erleichtert darüber, dass jemand da vorne das immer gleiche Programm durchzieht, egal wie die Börsenkurse stehen. Zwangspause vom "Sich-selbst-neu-Erfinden", vom "Hoppla, hier komme ich".
Also, liebe US-Bürgerinnen und US-Bürger, an eurer Stelle würde ich jetzt mal diese albernen Blümchen-Yoga-Matten wegpacken und einfach täglich zur Post gehen. Da ist kollektives Entspannen garantiert und jeder Steuerdollar wirklich mal goldrichtig investiert.
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