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Kolumne von Hilal SezginGläubig ohne Verrenkungen

Tarik Ramadans brisante Thesen zu Islam und Homosexualität sind kein gefundenes Fressen für seien Feinde. Er argumentiert im Sinne des liberalen Progamms der Toleranz.

Bild: privat

Hilal Sezgin lebt als freie Publizistin in der Lüneburger Heide. In ihrer letzten Kolumne schrieb sie über die grausame Vorgeschichte der Dinge unseres täglichen Bedarfs. 2008 veröffentlichte sie gemeinsam mit Nasr Hamid Abu Zaid: "Mohammed und die Zeichen Gottes. Der Koran und die Zukunft des Islam".

Es scheint eine der ganz großen Gewissensfragen zu sein, der letzte Prüfstein, an dem sich entscheidet, ob Europas Muslime nun integrations- und demokratiefähig sind: wie sie sich zur Homosexualität äußern. Erkennen sie sie als gleichwertige Sexualität an oder nicht? Der Schweizer Islamwissenschaftler Tarik Ramadan, umtriebig auf allen Anwendungsgebieten des modernen Islam, hat sich nun auch dazu auf seiner Website geäußert.

Schon mehrfach ist Ramadan Opfer regelrechter Verleumdungskampagnen geworden, die ihn als "Wolf im Schafspelz" beschreiben, und wenn man seine neue Stellungnahme liest, hört man förmlich schon, wie sich seine Feinde die Hände reiben… Doch sie wären im Unrecht, das finde ich mit derselben Entschiedenheit, mit der ich mit Ramadan hier inhaltlich nicht einer Meinung bin.

Recht hat Ramadan zunächst mit der Annahme, dass die islamischen Traditionen Homosexualität ganz überwiegend zwischen Verirrung, Krankheit und Sünde ansiedeln. Und man muss ihm auch beim Folgenden zustimmen: "Die große Mehrheit der Rabbiner ist derselben Auffassung, ebenso wie der Papst und der Dalai Lama, der Homosexualität missbilligt. … Die moralische Ächtung der Homosexualität bleibt in allen Religionen die Mehrheitsmeinung, und der Islam ist da keine Ausnahme."

Allerdings hält Ramadan es für möglich, zwischen der Ächtung der Homosexualität und der Homosexueller zu unterscheiden. "Seit über zwanzig Jahren wiederhole ich…, dass Homosexualität im Islam verboten ist, dass wir aber vermeiden müssen, Individuen zu missachten oder abzulehnen. Es ist sehr wohl möglich, mit dem Verhalten einer Person (öffentlich oder privat) nicht übereinzustimmen und diese Person doch als Individuum zu achten."

Es mag uns postmodernen Liberalen, die sich selbst gern für ihre Toleranz gegenüber allen möglichen Lebensformen rühmen, nicht gefallen: Aber was Ramadan hier expliziert, entspricht exakt dem liberalen Programm. Unsere freiheitliche Grundordnung verlangt von allen BürgerInnen, die Lebensweise anderer hinzunehmen und im passiven Sinne zu tolerieren, solange sie Dritten nicht schadet; wir sind allerdings nicht verpflichtet, sie gutzuheißen.

Derselbe Grundsatz, der noch dem konservativsten Muslim auferlegt, sich Homosexuellen gegenüber fair zu verhalten, verlangt von uns Judith-Butler- oder Adrienne-Rich-geprägten Feministinnen, auch demjenigen Muslim fair zu begegnen, dem sich beim Gedanken an Sex unter Frauen oder unter Männern der Magen umdreht.

Nicht nur dem Muslim, übrigens. Es gibt genug nicht gläubige Deutsche, deren Sexualmoral hinsichtlich Schwuler und Lesben in den Fünfzigerjahren stehen geblieben ist; wir müssen damit leben, dass die katholische Kirche explizit und ganz legal Frauen aus dem Priesteramt ausschließt. Wir dürfen nicht jedem Teenager, der bauchfrei und mit gepierctem Nabel durch die Innenstadt schlendert, einen wärmenden Pulli überwerfen oder ungebetene Vorträge über Nierenerkrankungen und den Ausverkauf des weiblichen Körpers halten. Was blutet mir das Feministinnen-Herz, wenn ich aus den dem Erdboden entgegengleitenden Jeans junger Mädchen dieses Nichts von roter Spitze hervorlugen sehe…

Man wird alt, das ist der eine Schluss. Die Jungen aber sind jung, und sie brauchen jede Unterstützung, die sie bekommen können; das werden keine gestrengen Vorträge sein, sondern Wohlwollen und ein offenes Ohr für das, was sie tun. Gerade wenn man an die jungen homosexuellen Muslime denkt, merkt man da: Ramadans Position ist tolerant, aber in entscheidenden Lebensphasen dieser Jugendlichen nicht unterstützend genug. Es hilft ja nichts, wenn Eltern den deutschen Nachbarn und dessen Freund grüßen, dem eigenen Sohn aber vermitteln: Gott sei Dank sind WIR nicht so!

Für die jungen Muslime würde man sich wünschen, dass ihre Eltern die homosexuelle Partnerwahl genauso achteten wie die heterosexuelle. - Und noch mal: Im Namen der Demokratie und der Integration VERLANGEN kann man es nicht. Es wäre unrechtmäßig, den Einbürgerungstest anhand der Homosexualität zur ewigen Gesinnungsprüfung zu verlängern; auch als Arena für den Kampf um den richtig verstandenen Multikulturalismus taugt das Thema nicht.

Doch nun zu dem, in dem ich nicht mit Ramadan übereinstimme. Die überwiegende Mehrheit der Muslime hat Homosexualität als unislamisch verstanden, sagt er, doch wissen wir alle: Zu jeder Mehrheit gibt es eine Minderheit. Sind sie etwa vergessen, die persischen, arabischen, osmanischen Dichter, die die Homosexualität durch die Blume priesen oder unverblümt die Travestie besangen?

Zu allen Zeiten gab es Schwule und Lesben, und schon bevor die Menschenrechte konzipiert wurden, haben viele Gesellschaften einen halbwegs passablen Umgang mit ihnen gefunden. Heutige Gesellschaften können es sich unter Gesichtspunkten der Arbeitsteilung und der Reproduktion "leisten", nicht-heterosexuelle Lebensweisen auch offiziell anzuerkennen.

Ich verstehe zwar, was Ramadan mit der Bemerkung meint: "Es wäre sinnlos, … Gläubige zu zwingen, sie sollten intellektuelle Verrenkungen anstellen, um zu beweisen, dass ihre Ansichten dem Zeitgeist entsprechen." Aber wenn ich an die vielen anderen historischen Elemente der Bibel, des Korans und anderer Heiliger Schriften der Menschheit denke: Sie alle enthalten soziale Normen, die früheren Gesellschaften entstammen. Mal billigen sie unfaire Arbeitsverhältnisse bis hin zur Leibeigenschaft, mal beschreiben sie Gott als einen, der aus Rachedurst Städte vernichtet, finden Monarchien völlig in Ordnung oder auch, dass die Frau dem Mann als Arbeitslohn übereignet wird.

Das sind keine Argumente gegen Offenbarungsreligionen als solche; hinter den historischen Aussagen sehen wir heute übergeordnete Auffassungen von Frieden, Gerechtigkeit, Mitmenschlichkeit. Warum also nicht auch in puncto Homosexualität?

Nein, verrenken muss man sich dafür nicht.

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6 Kommentare

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  • H
    her

    @kvwupp:

     

    Wissen Sie überhaupt worüber Sie schreiben? Ja, es gibt Reform-Gemeinden die Homosexualität akzeptieren, aber sind diese in der Mehrheit? Das wage ich doch massiv zu bezweifeln. Reformjudentum ist KEIN monolitischer Block! Wussten Sie eigentlich, dass das Gros der ultrarechten Siedlerbewegung dem Reformjudentum angehört und freudig Bath-Mitzwen feiern? Sich in Ariel als Schwul zu outen, würde ich dennoch niemandem empfehlen.

     

    @Gert Hans Wengel:

     

    Auch hier sehe ich nichts als Halbwissen! Ja, nach unserer Vorstellung war "Homosexualität" im Altertum in vielen "Gesellschaften" akzeptiert, aber...

     

    1. Von Erzählungen aus/über die Oberschicht in Rom oder im antiken Athen (und nahezu alles was wir über das Altertum wissen, ist auf diese Kreise beschränkt) auf die Gesamtgesellschaft zu schließen, ist doch etwas gewagt.

     

    2. In Rom und in Athen war "Homosexualität" auch in der Oberschicht durchaus geächtet, wenn man akzeptiert, dass der, der "fickt", als männlich und gesellschaftlich akzeptiert gilt, während der "gefickte" als "niederträchtig", "verweichlicht" und "verweiblicht" gilt. Genauso (z.B.) in der Türkei.

    Im Türkischen gab es bis in die 60er Jahre eigentlich kein Wort für "Schwuler"/"Homosexueller". Die diskriminatorischen Begriffe (z.B. ibne oder pust bezeichnen AUSSCHLIESSLICH den "Gefickten"). Die heute gebräuchlichen türkischen Begriffe für "homosexuell" sind entweder Neologismen (vor Allem "escinsel" (TDK, 1967)), Fremdwörter ("gay", "homoseksüel") oder neuer Slang (z.B. "yumusak").

     

    3. Kennen Sie eigentlich klassische, "muslimische" Literatur? Wenn ja, dann müssen Sie vollkommen verständnisresistent sein, wenn Sie nicht an fast jeder Ecke homoerotische Themen sehen.

  • CR
    christine rölke-sommer

    Das eine ist, denke ich, wie religionen (womit ich hauptsächlich die monotheistisch-abrahamitschen meine, alldieweil ich von den anderen noch viel weniger ahnung habe) in der auslegung ihrer texte und traditionen mit anderem als heterosexuell ausgerichtetem begehren umgehen. Welche möglichkeiten sie finden, aus ihren texten und traditionen heraus einen anderen als einen verurteilenden und, christlich gesprochen, verteufelnden umgang zuzulassen und auch zu integrieren.

    Das andere ist, wie gesellschaften, welche von religionen (und deren vielfalt) mehr oder weniger stark geprägt sind und werden, mit religiös fundierten urteilen und vor-urteilen umgehen.

     

    Und das noch andere ist, wie wir damit umgehen, dass die vorurteile anderer den unseren zwar ähnlich sehen mögen, aber dennoch anders strukturiert sind. Will sagen: möglicherweise ist homosexualität im Islam wie in muslimisch geprägten gesellschaften ganz anders begründet und in- oder auch exkludiert als in christlich geprägten. So dass wir (auch die christlich säkularisierten), immer noch möglicherweise, der muslimischen ablehnung von homosexualität unsere eigene feindseligkeit unterstellen und darüber gar nicht mehr wahrnehmen, dass diese gar nicht so feindselig ist.

    Dass dies für den Iran wiederum ganz anders aussieht, ist mir auch bekannt. Mir zeigt dies, dass auch religion mit politik zu tun hat – und umgekehrt.

  • KB
    kopfundherz blog

    ich finde es gut, dass hier einmal jemand einem muslimischen geistlichen zugesteht eine andere meinung zu haben, insofern dieses sich nicht auf das wohl, die freiheit und die rechte von homosexuellen auswirkt. selbst wenn ich finde, dass etwas aus religiösen, traditionellen gründe sünde ist, darf dieses keine rechtfertigung dafür sein, bestimmten menschen bürgerliche rechte abzuerkennen, wie dieses im christlich verankertem deutschland passiert. ich finde aber auch, dass auch dieser artikel zu sehr schwarz/ weiß malt, es gibt auch homofreundliche muslime und es gibt ebenfalls homosexuelle muslime. und ähnlich, wie es obama in seiner kairo rede für die usa sagte, muss auch deutschland an den punkt gelangen, muslime nicht als etwas äußerliches zu betrachten, sondern als teil dieser gesellschaft, als teil der zukunft, die wir miteinander gestalten.

  • ER
    E. Roosen

    @kvwupp:

    Der Staat Israel mag gegenüber Homosexuellen formal tolerant sein, aber bei der israelischen Gesellschaft bin ich mir da nicht so sicher. Ich weiß von deutschstämmigen homosexuellen Israelis, die die deutsche Staatsangehörigkeit ihrer Vorfahren wieder aufleben lassen, da sie im heutigen (!) Deutschland mehr Toleranz erfahren, als in Israel.

  • K
    kvwupp

    Wenn Tarik Ramadan schreibt, die große Mehrheit der Rabbiner lehnt Homosexualität ab, dann kann er sich lediglich auf orthodoxe Rabbiner beziehen.

     

    Im Reformjudentum und in der rekonstruktionistischen Bewegung werden seit Jahren Schwule und Lesben zu Rabbinern bzw. Rabbinerinnen ordiniert.

     

    Am Jewish Theological Seminary in den USA (das Ausbildungsinstitut der konservativen Bewegung) werden seit März 2007 meines Wissens ebenfalls Lesben und Schwule als Rabbinatskandidaten akzeptiert.

     

    Im übrigen: Der Staat Israel ist im Hinblick auf Homosexualität einer der fortschrittlichsten Staaten, ungeachtet der vorhandenen Proteste orthodoxer Rabbiner.

  • GH
    Gert Hans Wengel

    Hilal Sezgin schreibt, Homosexualität sei in allen Religionen durch die Mehrheitsmeinung moralisch geächtet. Das bedarf zumindest der Präzisierung. Es war nicht der Fall in der Religion der alten Griechen und Römer. Zu deren Gottesbild gehörte, dass Zeus sich in einen Adler verwandelt und den schönen Knaben Ganymed zu sich in den Himmel entführt. Nun lässt sich einwenden: Diese Religion ist tot. Wie ja auch Latein eine tote Sprache ist. Aber wie Latein z.B. in Gestalt zahlloser Fremdwörter in unseren Sprachen weiterlebt, so die alte Religion in unserer Kultur. Goethes Gedicht "Ganymed" zum Beispiel ist eine Ode auf homoerotisches Welterleben. Tarik Ramadan lehnt Homosexualität aus religiösen Gründen ab, aber toleriert sie. Das ist Grund zum Optimismus. Die sinnenfrohe Religion der Griechen und Römer ist von der abrahimitischen Schwester des Islam, dem Christentum, brutal unterdrückt worden. Das ist Grund zum Pessimismus.