Kolumne am Gerät: Das Ross
Die Studienrätin Frau Ohm liebt das Reiten. Sie möchte auch ihre Jungs für Pferde begeistern. Doch gegen Fußballhelden wie „Özil“ und „Messi“ kommt sie nicht an.
F rau Ohm hat Pausenaufsicht in dieser Woche. Nach den großen Ferien ist das meist noch einfach. Viele Problemschüler gibt es nicht auf ihrer Schule und die Drogendealer brauchen meist ein paar Tage, bis sie merken, dass ihre Kunden wieder zur Schule gehen. Die Kinder erzählen sich, wo sie in den Freien waren, oder beschreiben Urlaubsorte, in denen sie gern gewesen wären.
Frau Ohm hat eine Leidenschaft für Pferde und hat schon seit ihrer frühen Kindheit jede freie Stunde auf dem Reiterhof verbracht. Seit sie Studienrätin ist, leistet sie sich ein eigenes Ross und reitet mit ihrem „White Diamond“ auch ab und zu ein regionales Turnier.
Sie ist eine engagierte Lehrerin und bietet den Kindern ihrer Schule in ihrer Freizeit Reitstunden an. Gerade hat sie wieder eine Liste ausgehängt, in der sich eintragen kann, wer Lust auf's Reiten hat. Vielleicht ist ja auch mal ein Junge dabei, hat sie sich gedacht, als sie diese an die Pinnwand geheftet hat. Die Mädchen, die sich eintragen, reiten doch sowieso, haben alle Pflegepferde in ihrem Reitklub.
ist taz-Sportredakteur. Er berichtet während der Olympischen Spiele aus London.
Der kleine Mohamed hat so eine schöne Haltung, der würde sich ganz gut auf einem Pferderücken machen. Versonnen blickt sie zu den Jungs, die auf dem Schulhof toben.
Auch der Ahmed gäbe einen guten Reiter ab und würde sicher gut aussehen auf „White Diamond“. Sie fragt sich, warum es kaum Pferdebücher gibt, in denen Jungs die Hauptrolle spielen? Schon oft hat sie sich vorgenommen, ein solches mal zu schreiben: „Die Reiterboys vom Buchenhof“, „Kühne Kerle in der Box“, „Starke Jungs am Hindernis“. Titel fallen ihr viele ein. Nur welche Story soll sie erzählen?
Am Tag zuvor hat sie mitgelitten, als Desperados in London seinen Hüpfer tat. Es war ein irrer Wettbewerb. Die ganze Nacht hat sie davon geträumt. Sie hat Mohammed und Ahmed gesehen, wie sie auf dem Schulhof die deutsche Silbermedaille nachspielen. „Ich mach Traversale“, hat sie Ahmed sagen hören und Mohammed hat auf allen Vieren eine Galopppirouette vorgeführt. Sind sie nicht süß die beiden, hat sie sich im Schlaf gedacht.
Versonnen steht Frau Ohm am Schultor und würde am liebsten einfach weiterträumen. Sie sieht sich um. Wo sind ihre beiden Freunde? Ahmed und Mohammed toben, so wie sie es von den beiden kennt. „Ich bin Özil“, hört sie Ahmed sagen. „Und ich Messi“, schreit Mohammed. Frau Ohm schüttelt den Kopf. Die beiden werden sich auch dieses Jahr nicht in ihre Liste eintragen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!